Das Montagsinterview: "Gern mal einen freien Tag"

Andrea Funcke lebt mit ihren Tieren auf einem Hof in einem 400-Seelen-Dorf im niedersächsischen Elbtal. Ihr Ziel: möglichst unabhängig sein.

Fühlt sich frei: Andrea Funcke auf ihrem Hof in Walmsburg. Bild: Gudrun Drews

taz: Frau Funcke, Sie versuchen, alles für Ihren täglichen Bedarf auf Ihrem Hof selbst zu erzeugen. Gehen Sie nie einkaufen?

Andrea Funcke: Doch, das tue ich. Schon allein, um mir Milchprodukte zu besorgen. Auch Kaffee, Tee und Schokolade gönne ich mir. Die kann ich nicht selbst erzeugen.

Alles andere erwirtschaften Sie selbst?

Wenn irgend möglich, ja. Ich habe schon als Kind davon geträumt, als Eigenversorger zu leben. Auf dem Weg dahin habe ich auch zahlreiche andere Jobs gemacht: in Bioläden gearbeitet oder bei der Post – aber ich war immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, meinen Traum zu verwirklichen. Am liebsten wollte ich in einer Gruppe Gleichgesinnter arbeiten. Irgendwann habe ich den Entschluss gefasst, es allein zu versuchen.

Ein ziemlich einsames Leben, hier draußen im Elbvorland, gleich hinter dem Deich.

Finde ich nicht, ich vermisse nichts. Die Nachbarschaft hier in Walmsburg funktioniert sehr gut. Es kommt immer jemand vorbei, um zu plauschen. Der Zusammenhalt unter den Menschen ist groß. Ich habe vorher in Dithmarschen gelebt, aber an der Elbe gefällt es mir besser. Ich habe Gänse, Enten, zwei Esel und ein Maultier, außerdem Schafe, Hühner, einen Hund und Katzen. Da fühlt man sich nicht allein.

45, geboren in Hamburg, lebt seit 2006 in Bleckede-Walmsburg (Landkreis Lüneburg). Sie studierte Landschaftsplanung an der Technischen Hochschule Berlin, arbeitete als Altenpflegerin und als Schäferin in Dithmarschen und in der Lüneburger Heide. 2006 pachtete sie eine eigene Hofstelle, den Funckenhof in Walmsburg, die sie seitdem allein bewirtschaftet. Nebenbei bietet sie vom Frühjahr bis in den Herbst Kurse und Workshops an. Funcke lebt auf ihrem Hof mit 76 Schafen, einem Hund, Katzen, Gänsen, Hühnern und Enten.

Aber ganz ohne Geld geht es auch in Ihrem Fall nicht. Sie müssen Steuern, Krankenkassenbeiträge und die Pacht für den Hof bezahlen – das tun Sie mit Bargeld, nehme ich an?

Ja, sicher, es geht nicht ganz ohne Geld. Um das nötige Bargeld zu erwirtschaften, vermarkte ich meine selbst erzeugte Ware im Hofladen. Da gibt es Schaffelle, Wolle oder Gefilztes. Ich biete außerdem naturkundliche Führungen mit den Eseln als Packtiere an. Und ich veranstalte Kurse und Workshops für diejenigen, die etwas lernen wollen in Sachen Selbstversorgung. Das Wissen vergangener Generationen geht ja verloren. Die meisten Menschen haben kaum noch Kenntnisse darüber, wie man Lebensmittel selbst erzeugt und verarbeitet. Wir hängen alle am Tropf, was das angeht.

Ist das nicht manchmal zu viel Arbeit, so ganz allein und immer ohne fremde Hilfe?

Naja, ich hätte schon gern ab und an mal einen freien Tag. Aber das geht nicht, die Tiere müssen versorgt werden. Es ist schon hart, einen Hof ganz allein zu bewirtschaften. In meinem Fall sind das elf Hektar Grünland und der Garten am Haus. Auf der anderen Seite fühle ich mich frei, ich gestalte meinen Tag selbst.

Und Sie sehen, was Sie geschaffen haben?

Ja. Unsere Gesellschaft ist einfach von zu vielen Dingen abhängig, finde ich. Das ganze System ist zu fremdbestimmt. Viele Menschen haben den Bezug zu ihrer Arbeit verloren, das finde ich traurig. So macht Arbeiten keine Freude.

Wie empfinden das Ihre Besucher? Hat Ihnen schon mal jemand angeboten mit einzusteigen?

Nein, bisher nicht. Meine Gäste finden es meistens ganz idyllisch, wie ich lebe, aber für sie kommt das nicht in Frage. Ein solches Leben ist zu weit weg von dem Alltag meiner Besucher. Für sie wäre der Schritt ganz einfach zu groß.

Und wie sieht es aus mit Ihrer sozialen Absicherung? Im Fall der Krankheit oder im Alter?

Ich bin krankenversichert, das ist für Landwirte ebenso Pflicht wie für alle anderen Berufstätigen. Es ist allerdings nicht einfach, die hohen Beiträge jeden Monat aufzubringen. Und eine Rente werde ich wohl nicht bekommen. Aber ich bin an das Prinzip der Selbstversorgung gewöhnt, das Alter schreckt mich nicht. Ich habe mir über Jahre ein entsprechendes Wissen erarbeitet.

Was Sie betrifft, könnte man das Geld also abschaffen?

Nein. Ich bin nicht dagegen, dass es Geld gibt. Man wird es niemals ganz abschaffen können. Aber der Wert, den wir den Dingen geben, stimmt im Bereich der Landwirtschaft nicht mehr. Das Verhältnis zwischen der Arbeit, die ich für ein Produkt aufwende, und dem Preis, den ich dafür bekomme, rechnet sich für den Erzeuger nicht.

Das heißt, Lebensmittel sind zu billig.

Ganz überwiegend ist das so, ja. Wenn ich den Preis für meine Lebensmittel so festsetze, dass er meine Kosten deckt, bin ich damit schon zu teuer. Die Ware nimmt mir keiner ab. Ich kann runtergehen mit dem Preis, aber dann wird meine Arbeit nicht mehr bezahlt. Bei uns werden immer nur die billigsten Lebensmittel gekauft. Unser Lammfleisch kommt aus Neuseeland, weil unsere deutschen Lämmer den Kunden zu teuer sind. Unsere eigenen Lämmer gehen stattdessen angeblich nach Frankreich, dort ist der Verbraucher bereit, mehr Geld für erstklassige Ware zu bezahlen. Was kostet das an Energie und Aufwand? Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Aber Sie produzieren doch Bio-Ware. Da ist der Preis in der Regel schon etwas höher.

Das war mal so, inzwischen sinken auch für Bio-Erzeugnisse die Preise. Die Märkte für konventionelle Ware und Bio-Ware gleichen sich immer mehr an. Deshalb sehen sich viele Bio-Bauern genau wie konventionelle Landwirte gezwungen, immer mehr zu erzeugen, damit es rentabel bleibt. Das geht aber nur mit immer mehr Maschinen und immer schnelleren, vereinheitlichten Arbeitsabläufen. Das geht in Richtung industrielle Produktion – und neben allen anderen Problemen, wie der Massentierhaltung, bedeutet das auch, dass die Arbeit stumpfsinnig wird. Um in dieser Situation zu überleben, brauchen viele Landwirte Subventionen. Oder sie leben von der Substanz. Und irgendwann steigen sie aus, weil es sich für sie nicht mehr lohnt.

Wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Ausweg aus unserer freudlosen Arbeitswelt?

Ich finde die Idee gut. Ich glaube auch nicht, dass dann weniger attraktive Arbeit liegen bleiben würde, weil jeder nur noch macht, wozu er Lust hat. Wenn die Notwendigkeit da ist, findet sich auch jemand, der mit anpackt. Schon allein, weil sonst die Basis für andere Tätigkeiten und Beschäftigungen nicht mehr da wäre.

Sie sind seit sechs Jahren Selbstversorgerin im Elbvorland. Würden Sie den gleichen Weg noch einmal gehen?

Ein bisschen leichter hätte ich es manchmal schon gern. Aber alles in allem würde ich mich wieder so entscheiden: Für genau diese Lebensweise an genau diesem Ort.

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