Das Nationale an der WM: „Sie haben es für ihr Land getan“

Patriotismus und internationaler Wettbewerb schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Die Partie Nigeria gegen Island zeigt das auf ihre Weise.

Ein Mann posiert, dahinter weitere Fans

Hatten Spaß: Fans in Lagos, Nigeria Foto: AP

WOLGOGRAD taz | Es war wieder kein normales Fußballspiel. Wenn Nigeria gegen Island spielt, dann erwartet gewiss niemand den ganz großen Sport. Die Spieler sollen gefälligst alles geben, nicht für ihr Team, für ihr Land sollen sie es tun. So ist das eben bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. Da geht es um mehr als darum, in 90 Minuten herauszufinden, wer die bessere Mannschaft ist, wer vielleicht auch nur gewinnt, weil er das Glück auf seiner Seite hat.

Auch deshalb ist Weltmeisterschaftsfußball ein großes Gefühlstheater. In der Champions League mögen die fußballerischen Maßstäbe gesetzt werden, aber intensiver geht es bei einer WM zu. Da fließen schon in der Gruppenphase die Tränen, dass es kaum ein Halten gibt. Würde Neymar weinen nach einem Hinrundensieg mit Paris Saint-Germain in der Gruppenphase der Champions League? Unvorstellbar.

„Sie haben es für ihr Land getan“, das hat Gernot Rohr, der Trainer der nigerianischen Auswahl nach dem 2:0 gegen Island gesagt. Angespielt hat er auf seine taktischen Umstellungen. Er verdonnerte den langjährigen Kopf der Mannschaft, Jon Obi Mikel, der seine besten Premier-League-Zeiten hinter sich hat und seit zwei Jahren in China kickt, dazu, die Spielmacherposition zu verlassen und vor der Abwehr zu spielen.

Dem anderen Star des Teams, Victor Moses vom FC Chelsea, hat er vor dem Spiel beigebracht, dass es doch besser für ihn sei, nicht als Stürmer, sondern im rechten offensiven Mittelfeld zu spielen. „Sie haben ein Opfer für ihr Land gebracht“, sagte Rohr dazu. Das war es wieder, dieses ganz Große, das bei diesem Nationenwettbewerb mitschwingt. Ein Positionswechsel wird zur nationalen Pflicht.

„Fußball ist nicht alles“

Bei Island ist ohnehin offensichtlich, dass jedes Spiel ein sportlicher Feldzug im Wettbewerb der Nationen ist. Ein guter Teil der Bevölkerung hat sich auf den Weg nach Russland gemacht, um das Team, nein, die Nation zu unterstützen. Wolgograd war fest in Wikingerhand.

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Wer zu Hause geblieben ist, schaute sich das Spiel im Fernsehen an. Wenn stimmt, was vermeldet wurde, dann hat es beim isländischen Auftaktspiel so gut wie keinen Fernseher im ganzen Land gegeben, auf dem etwas anderes gelaufen ist. Weil die Isländer wissen, dass sie trotz all ihrer kleinen Erfolge in der Vergangenheit in jedem Spiel Außenseiter sind, geht es ihnen darum, eine eigene, nationale Botschaft auszusenden. Sie sind bei der WM unterwegs, um zu zeigen, dass man auch dann gut Fußball spielen kann, wenn es im Leben auch noch etwas anderes als Fußball gibt.

Ob es nicht falsch gewesen sei, den Spielern mitten im Turnier einen Tag frei zu geben, den sie mit Freundinnen, Frauen und Kindern verbringen konnten, wurde Trainer Heimir Hallgrimsson nach der Niederlage gefragt. Seine einfache Antwort: „Fußball ist nicht alles.“ Mit dieser Botschaft ziehen Tausende Isländer derzeit durch Russland.

In Gruppe D geht noch was

Woanders wird diskutiert, wie wichtig es ist, bei der Hymne mitzuträllern und wenn ein Zweifel daran besteht, dass sich ein Spieler nicht ausreichend zur Nation bekennt, dann kriegt er einen Termin beim Staatspräsidenten. Wieder woanders fragt man sich, ob ein Schweizer in einem Spiel gegen Serbien eine kosovarisch-nationalistische Jubelgeste machen kann, ohne das Recht zu verwirken, ein guter Schweizer genannt zu werden.

Auch bei Island geht es um mehr als um das Spiel auf dem Platz. Auch Island hat eine Botschaft. Es ist das vielleicht verrückteste Paradoxon dieser WM. Um der Welt zu zeigen, dass Fußball nicht alles ist, steht eine ganze Nation hinter ihrer Mannschaft.

Die ist übrigens nach der Niederlage gegen Nigeria noch nicht ausgeschieden. Island hat noch eine Chance, wenn es das schon fürs Achtelfinale qualifizierte Kroatien schlägt. Auch Nigeria kann mit einem Sieg gegen Argentinien in die K.o.-Runde aufsteigen. Und selbst die Argentinier sind noch im Rennen. Es geht am letzten Gruppenspieltag am Deinstag, wie kann es anders sein, um mehr als Fußball.

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