Das Stadtbad Neukölln wird 100: Dieses Bad rockt

Wer nur schwimmen will, ist hier verkehrt: Unter der Säulenarchitektur wird der Müßiggang gepflegt. Zum 100. Geburtstag gibt’s Musik am Beckenrand.

Opulent und wunderbar: Das Geburtstagskind Bild: dpa

Das Beste am ganzen Stadtbad Neukölln sind die beiden Walrösser aus Bronze, die mit den nackten Knaben auf dem Rücken. Unter der Apsis sitzen die lebensecht nachempfundenen Tiere am Beckenrand und speien Wasserfontänen. Der muskelbepackte Bademeister, der – oben ohne – eine gepiercte Brustwarze zur Schau stellt, ist aber auch nicht schlecht.

Das Stadtbad Neukölln ist ein Kleinod unter den Bädern der Stadt. Sportler, die eben mal schnell ihre Bahnen ziehen wollen, sind hier verkehrt. Das Bad mit der Anmutung einer antiken Therme ist ein Ort für Genießer und Müßiggänger. „Das Auge badet mit“, sagt der Sprecher der Berliner Bäder-Betriebe (BBB), Matthias Oloew.

Zwei Weltkriege

Genau 100 Jahre ist es her, dass das Stadtbad Neukölln am 10. Mai 1914 in der Ganghoferstraße im damaligen Ortsteil Rixdorf und heutigen Bezirk Neukölln erstmals seine Tore geöffnet hat. Zwei Weltkriege hat es überstanden und zwei Sanierungen, und immer noch ist es in Betrieb. Mehr noch: Das Bad wird sehr gut angenommen. 116.000 Besucher wurden im Vorjahr gezählt, laut Oloew ein sehr guter Schnitt. Zum Jubiläum am Samstag wird deshalb ordentlich gefeiert (siehe Kasten).

Es war der frühere Rixdorfer Stadtbaurat Reinhold Kiehl, der das Stadtbad mit seinem späteren Nachfolger und Architekten Heinrich Best auf die Beine gestellt hat. Auch das Rathaus und das Krankenhaus Neukölln sind in dieser Zeit entstanden.

Antike Thermenanlagen und Basiliken haben beim Bau des Stadtbads Pate gestanden: Es gibt ein Hauptschiff, Seitenschiffe, Säulen, Wandelgänge, Glasmosaike, Wandgemälde und Galerien, die von schmiedeeisernen Geländern eingefasst sind. „Es sollte ein opulentes Bad werden“, erzählt Oloew. Auch Gutsituierte wollte man ansprechen.

Genutzt wurde das Bad von allen Bevölkerungsschichten, zumal man auch lediglich für ein Wannen- oder Duschbad kommen konnte. In einer Zeit, in der es in den Arbeiterwohnungen noch keine Bäder gab, war das ein Angebot, das zog.

Das Schild, das den Weg zu den Dusch- und Wannenbädern weist, hängt noch an der Wand. 1928 habe das Bad 834.000 Besucher im Jahr gezählt, sagt Oloew. Ganze Schulklassen seien nur zum Duschen gekommen

Das Stadtbad hat bis heute zwei Hallen: In der großen, mit dem 25 Meter langen Becken, badeten früher die Männer. In der kleinen Halle war der Platz für die Frauen. Mit der Novemberrevolution 1918/19 war dann nicht nur die Monarchie im damaligen Deutschen Reich erledigt – auch die Geschlechtertrennung im Stadtbad war Geschichte.

Klaus Schaalburg war von 1964 bis 2004 Schwimmmeister im Stadtbad Neukölln. Der heute 73-Jährige hat noch erlebt, dass Nichtschwimmer an einem Bauchgurt von einem Kran ins Wasser gelassen wurden, um auf der Stelle Schwimmübungen zu machen. Den Kran mit dem gebogen Rohr gibt es sogar noch. Die Einzelkabinen am Beckenrand und andere historische Stücke sind der ersten Sanierung Anfang der 1980er Jahre zum Opfer gefallen.

Als er 1984 zur Wiedereröffnung nach sechs Jahren Bauzeit an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, traute Schaalburg seinen Augen kaum. Die Fließen an den Wänden: eine einzige hellbraune Fläche. „Früher war jede einzelne Fliese handgemacht. Es gab lila- und orangefarbene, grüne und beige.“ Ein bisschen wehmütig zeigt der hagere Mann mit den grauen, schütteren Haaren auf die Fotos, die er zum Gespräch mit ins Bad gebracht hat.

Sieben Säulen der Weisheit

Immerhin: Die vierzehn Säulen aus Travertin, ein heller italienischer Kalkstein, jede sieben Meter hoch, sind in der Haupthalle erhalten geblieben: sieben auf jeder Seite des Beckens. „Die sieben Säulen der Weisheit, die sich unter dem dorischen Kapitell um sieben Zentimeter verjüngen“, erzählt Schaalburg. Ja, sagt er, er habe sehr gern in der Halle gesessen, über das Leben sinniert – und dabei die Architektur studiert. „Das war mein Ambiente.“ Immer noch komme er regelmäßig zum Schwimmen hierher.

Zum 100. Geburtstag haben die Bäder-Betriebe eine Broschüre mit historischen Fotos über das Stadtbad Neukölln aufgelegt. Die Deutsche Post gibt extra einen Sonderstempel mit Walrossmotiv heraus.

Den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) brauchten die Bäder-Betriebe nicht lange bitten, bei der heutigen Party das Grußwort zu sprechen: „In dem Bad habe ich schwimmen gelernt, das muss so 1958 gewesen sein“, erzählt der Bezirkschef bereitwillig. „Ich hatte damals eine Dreiecksbadehose, so wie heute die Tangas.“ Wann er das letzte Mal abgetaucht sei? Buschkowsky winkt ab. „Ich glaube, ich habe nicht mal mehr eine Badehose.“

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