Datennetz „Commotion Wireless“: Das Anti-Zensur-Paket

Die US-Regierung finanziert ein Online-Projekt, mit dem Bürger in repressiven Staaten eigene Netzwerke aufbauen können. So soll Zensur umgangen werden.

Bei Mesh-Datennetzen ist jeder Nutzer ein Knoten. Bild: morningside / photocase.com

Mesh-Datennetze sind schon technisch gesehen eine spannende Sache: Statt zur Kommunikation untereinander auf eine zentralisierte Infrastruktur zu setzen, bei der ein großer Mobilfunkbetreiber oder Internet-Anbieter die zentralen Leitungen und Austauschpunkte kontrolliert, wird aus jedem Teilnehmer ein eigener Knoten. Daten werden so von Gerät zu Gerät weitergegeben, bis der Empfänger erreicht ist – und falls einer der Zwischenknoten ausfallen sollte, wird eben der Weg über die Hardware eines anderen Benutzers gewählt.

Mesh-Netzwerke sind sehr robust, wenn es eine ausreichende Anzahl von Knoten gibt. Außerdem sind sie effizient, weil sich die Infrastruktur quasi wie von selbst aufbaut. Das Projekt „Commotion Wireless“ („Drahtloser Tumult“), dass der Washingtoner Think Tank New America Foundation mit Mitteln der US-Regierung angeschoben hat, will Mesh-Datennetze nun für eine besondere Anwendung nutzen: Zum Aufbau alternativer Infrastrukturen in Zensurstaaten und repressiven Regimen.

Statt auf ein von Geheimdiensten und Schnüffelbehörden kontrolliertes Internet angewiesen zu sein, sollen sich Aktivisten mit „Commotion Wireless“ selbst ein eigenes Netzwerk herstellen, über dass sie dann ungestört kommunizieren können. Ein Anschluss an das restliche weltweite Datennetz ist dabei möglich, muss aber nicht sein.

Die verwendete Hardware ist dabei sehr einfach: Neben einem kostengünstigen WLAN-Router, auf dem eine von der New America Foundation entwickelte Software läuft, können auch Laptops, Desktop-Rechner mit WLAN-Karte oder Smartphones und Tablets verwendet werden. Selbst einfache GSM-Mobilfunkgeräte lassen sich mit etwas Aufwand und einem – allerdings vergleichsweise teuren – Stück Hardware für SMS- und Sprachkommunikation einbinden. (Letzteres kann allerdings dazu führen, dass Aktivisten Ärger mit ihren lokalen Telekommunikationsanbietern bekommen, was z.B. in Krisengebieten aber wohl niemanden ernstlich interessieren dürfte.)

Anleitungen und Handbücher

Wie genau „Commotion Wireless“ in der Praxis funktionieren wird, ist noch nicht ganz klar – die Macher peilen derzeit einen Starttermin für Anfang nächsten Jahres an und bitten externe Entwickler um Mithilfe. Auch müssen Anleitungen und Handbücher geschrieben und in möglichst viele Sprachen übersetzt werden, damit das Projekt auch wirklich weltweit genutzt werden kann.

An Systemen sollen Windows, Mac, GNU/Linux, WLAN-Router-Plattformen wie OpenWrt und Smartphone- und Tablet-Betriebssysteme wie Android unterstützt werden – eventuell auch Apples iPhone, sollte es technisch möglich sein. Die Macher versprechen, dass man ihr Netz möglichst anonym und sicher nutzen können wird: So soll etwa nicht mit nachverfolgbaren IP-Adressen gearbeitet werden, und die Kommunikation zwischen Knoten erfolgt stets verschlüsselt.

Ganz ausschließen, dass „Commotion Wireless“ infiltriert wird, lässt sich allerdings nicht: Sollte sich eine Regierung entschließen, einen eigenen Knoten im Netz anzubieten, könnten zumindest Daten, die direkt an diesen Knoten gehen sollen, entschlüsselt und gelesen werden. Anderer Datenverkehr, der den Regierungsknoten nur zur Weiterleitung nutzt, wäre davon allerdings nicht betroffen. Die Gefahr, dass gelauscht wird, ist so geringer als im offenen Internet, hoffen die Macher.

Jedes Netz prüfen

Allerdings bestehe stets die Gefahr, dass jemand versuchen könne, das „richtige“ Mesh-Netzwerk nachzuahmen, weshalb man jedes neue Netz zunächst misstrauisch prüfen sollte. Hier hilft ein zusätzlich verschlüsselter Datenverkehr – etwa für E-Mails zwischen Knoten. Letztlich soll innerhalb von „Commotion Wireless“ alles möglich sein, was auch im regulären Internet geht – vom Dateitransfer bis zum VoIP-Telefonat.

Die Anbindung an den Rest der Welt könnten Aktivisten dann beispielsweise in einem angrenzenden Land herstellen, in dem das Netz nicht zensiert wird – dazu würde dann das WLAN-Signal vom letzten inländischen Knoten gen Ausland gesendet. Wen stört, dass die US-Regierung das Projekt mitfinanziert, sollte Vertrauen daraus schöpfen, dass „Commotion Wireless“ ein quelloffenes Vorhaben ist – der gesamte Code wird im Netz nachlesbar sein.

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