Datenschützer über die Volkszählung: "Es gibt Wichtigeres"

An diesem Freitag erhebt eine Bielefelder Initiative Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus 2011. Die taz sprach mit dem schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert.

Protest in der Berliner Innenstadt gegen die geplante Volkszählung im Mai 1987. Bild: dpa

taz: Herr Weichert, ist die geplante Volkszählung aus Sicht des Datenschutzes bedenklich?

Thilo Weichert: Eine derart aufwändige, personenbeziehbare Datensammlung ist immer eine Gefährdung des Datenschutzes der Menschen, weil in der Praxis viel schief gehen kann. Deshalb ist eine gute Organisation genauso wichtig wie gute Kontrolle.

Statt wie 1987 jeden Bürger zu befragen beschränkt sich der Zensus 2011 auf größere Stichproben und führt stattdessen vorhandene Daten über den Einzelnen zusammen. Ein Datenschutz-Fortschritt?

Der Fortschritt, dass die Menschen nicht mehr so belästigt werden, geht einher mit Datenerhebungen hinter dem Rücken der Betroffenen. Wer nicht gefragt wird, kann nicht boykottieren. Darin mag mancher Statistiker einen Fortschritt sehen.

Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 hob darauf ab, dass die spätere Anonymität der Befragten nicht gesichert war, weil Erhebungsbogen und Ausfüller über eine Kennummer zusammengeführt werden konnten. Hat sich das verändert?

Hier befindet sich die Achillesferse der aktuellen Volkszählung. Es wird ja wieder massenhaft Verfassungsbeschwerden geben. Dann muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Sicherungen zur Verhinderung von Persönlichkeitsbildern und von Zweckentfremdungen der Daten ausreichen.

Der 9. Mai 2011 ist der Stichtag der nächsten Volkszählung in Deutschland, die offiziell Zensus 2011 heißt.

10 Prozent aller Deutschen bekommen im kommenden Jahr Besuch vom Volkszähler. Die restlichen Informationen werden bei diesem "registergestützten Zensus" aus der Zusammenführung von Daten aus den Melderegistern und der Arbeitslosenstatistik erstellt.

13.000 Personen unterstützen die Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszählung, die eine Bielefelder Datenschutzinitiative am heutigen Freitag beim Karlsruher Bundesgerichtshof abgibt.

17,5 Millionen Immobilienbesitzer können ganz sicher sein: Sie werden von den Volkszählern zu ihrem Wohneigentum befragt; egal ob es selbst bewohnt oder vermietet ist.

750 Millionen Euro soll der Zensus insgesamt kosten.

Thilo Weichert, 54

ist Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD). Er war für die Grünen im Landtag Baden-Württemberg.

Besondere Kritik lösen die Fragen nach dem Migrationshintergrund und der Religion der Befragten aus. Zurecht?

Hierbei handelt es sich nach aktueller Lesart um hoch diskriminierungsträchtige Daten. Heute ist nicht mehr relevant: katholisch oder evangelisch, wohl aber Christ oder Moslem. Auch die familiäre Herkunft kann zu massiven Benachteiligungen führen. Wenn das absolute Verbot der Nutzung der Statistikdaten für Verwaltungszwecke beachtet wird, dann hab ich wenig Bedenken. Doch lohnt sich die Befragung angesichts der hier vorliegenden Sensibilität? Da habe ich meine Zweifel.

Was kann der Befragte tun, der seine Auskünfte verweigern will?

Zwangserhebungen haben es an sich, mit der Androhung von Zwangsgeldern durchgesetzt zu werden. Wer das in Kauf nimmt, dessen Risiko ist kalkulierbar. Falschangaben waren schon bei der Volkszählung 1987 ein individueller Ausweg, was aber weder persönlich, noch rechtlich oder politisch Früchte bringt.

Setzt Auskunftsehrlichkeit bei einer solchen Befragung nicht Freiwilligkeit voraus?

Das steht nach meiner Erfahrung in keinem direktem Zusammenhang. Die Auskunftsehrlichkeit ist stattdessen stark abhängig von der Akzeptanz der Zielsetzung der Erhebung.

Warum löst der Zensus 2011 viel weniger Protest als die Volkszählung 1987 aus?

Der Volkszählungsboykott 1987 war Protest gegen eine konkrete staatliche Aktion. Inzwischen gibt es Wichtigeres als die Volkszählung. Der Gesetzgeber versucht, immer mehr Befugnisse für die Polizei und andere Behörden durchzudrücken, etwa die Vorratsdatenspeicherung. Gegen dieses Gesetz haben 30.000 Menschen Verfassungsklage eingelegt und 20.000 sind dagegen auf die Straße gegangen. Dieser Protest muss sich wahrlich nicht hinter dem der Volkszählung von 1987 verstecken.

Das heißt: Aus ihrer Sicht ist der Zensus nicht der datenschutzrechtliche Aufreger.

Die Volkszählung ist eher ein Randthema. Die Datenschutzprobleme von heute liegen nicht bei Verwaltungsstatistiken, sondern in der personellen Überwachung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Konsumentinnen und Konsumenten durch Wirtschaftsunternehmen. Deren Begehrlichkeiten müssen eingeschränkt werden. Zudem gibt es eine Vielzahl von Sicherheitsgesetzen, wie das BKA-Gesetz, die Telekommunikationsüberwachung oder eben die Vorratsdatenspeicherung, die weit über das verfassungsrechtlich Erlaubte hinausgehen. Deshalb muss die staatliche Datengier weiter gezähmt werden.

Die Befürworter betonen, eine Aktualisierung der Datenbestände durch den Zensus sei unerlässlich, um politische Fehlplanungen zu vermeiden.

Für mich ist nicht einsichtig, wieso eine so teure und aufwendige Aktion überhaupt durchgeführt wird. Statistiken sind heute allgegenwärtig und in der Regel ausreichend. Politische Fehlplanungen basieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf der falschen Bewertung vorhandener Daten.

Was wäre die Alternative?

Unabdingbar sind Einzeluntersuchungen von aktuell relevanten politischen Fragestellungen, ergänzt durch Markt- und Meinungsumfragen. Und Fehlplanungen lassen sich am besten durch weniger Einfluss von Lobbyisten und transparente Verfahren mit einer starken Bürgerbeteiligung vermeiden.

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