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Dealer in Hannover abkassiertPolizisten verwandeln Koks in Kohle

Ein Polizeibeamter, der Kokain-Dealer abgezockt haben soll, hat seinen Kollegen belastet. Die Staatsanwaltschaft fordert fünf Jahre Haft.

Wie bei einem Zaubertrick: Verschwunden war danach nicht das Koks, sondern das Geld Foto: pond5 images/Imago

Hannover taz | Am Ende ist ihm doch noch der Kragen geplatzt. Seit Ende Juni muss sich der 34-jährige Ex-Polizist vor dem Landgericht Hannover verantworten, weil man ihm vorwirft, albanischen Kokain-Dealern Geld abgeknöpft und für sich behalten zu haben. Mit auf der Anklagebank: sein 50-jähriger Kollege.

Von Anfang an wandelte der junge Beamte dabei auf einem schmalen Grat: Er wollte gestehen, Reue zeigen, über seine Motive Auskunft geben – ohne den Mitangeklagten zu belasten. „Ich möchte die Verantwortung für meine Taten übernehmen“, lautete seine Formel. Betonung auf meine, nicht seine.

Die Strategie des älteren Kollegen war eine andere. Er leugnete jede Tatbeteiligung, will nichts gesehen und nichts gehört haben, gestand nur einen kleinen Versicherungsbetrug, bei dem er – mit der Hilfe des gleichen Kollegen – einen Kratzer an seinem Privatwagen nach einem Umzug abgerechnet hatte.

Doch als sich am Montag der Verteidiger des 50-Jährigen bereit machte, weitere Beweisanträge zu stellen, die den Prozess verlängern würden, verlor der junge Kollege die Nerven. Er ertrage das nicht mehr, sagte der 34-Jährige plötzlich zur Überraschung aller Prozessbeteiligten. In seiner Familie habe es einen schweren gesundheitlichen Schicksalsschlag gegeben. Er wolle jetzt seine Aussage ergänzen, um das Verfahren abzukürzen.

Überraschend den Kollegen belastet

Dann holte er tief Luft und sagte: „Wir haben das zusammen gemacht, alleine geht das gar nicht.“ Die Vorsitzende Richterin sah ihn verblüfft an und brauchte einen Moment, bevor sie nachfragt: „Was genau heißt das jetzt? Wer hat was gemacht?“

Was geschehen ist, ist zu diesem Zeitpunkt in groben Zügen klar: Die beiden Streifenpolizisten haben immer wieder gezielt Kontrollen durchgeführt an Orten, von denen sie wussten, dass sich dort Kokain-Dealer tummeln – in der Nähe des Stellwerks, einer Anlaufstelle für Suchtkranke, aber auch in einer bestimmten Shishabar und einem Bistro mit Spielautomaten.

Dabei führten sie das durch, was man im Polizeisprech „präventive Gewinnabschöpfung“ nennt und nahmen den mutmaßlichen Dealern die zusammengefalteten Geldscheine aus der Tasche – allerdings manchmal ohne das vorgeschriebene Sicherstellungsprotokoll anzufertigen oder entsprechende Strafverfahren einzuleiten.

Haupttäter soll dabei der 34-Jährige gewesen sein, der die Durchsuchungen durchführte und – wie bei einem Zaubertrick hieß es vor Gericht – die Beute in seinem blauen Einweghandschuh verschwinden ließ. Der Ältere soll in erster Linie die Einsätze abgesichert haben.

Ich schäme mich unendlich

Angeklagter Polizeibeamter vor dem Landgericht Hannover

Aufgeflogen ist das Ganze, weil einige der Bestohlenen Anzeige erstatteten. Der 34-Jährige, der von Anfang an als Haupttäter verdächtigt wurde, landete Anfang Januar in U-Haft. Und litt sehr unter den schwierigen Haftbedingungen, wie sein Verteidiger bei jedem Prozesstag wieder betonte. Das war wohl auch der Grund, warum er den Kollegen am Ende doch noch belastete.

Dessen Verteidigung setze alles daran, die Hauptbelastungszeugen in Zweifel zu ziehen. Was in manchen Fällen nicht sehr schwierig war: Einer konsumierte selbst so viel Alkohol und Kokain, dass er sich an kaum etwas erinnern konnte. Der nächste wurde in Handschellen aus der Haft vorgeführt. Der übernächste war längst im Ausland untergetaucht, sodass nur noch die Audiodatei seiner Vernehmung bei der Polizei verfügbar war – an deren Übersetzung die Verteidigung ebenfalls so ihre Zweifel hatte.

Trotzdem, resümierte der Staatsanwalt am Ende in seinem Plädoyer, blieben in seinen Augen genügend Indizien übrig: Da waren alte Sprachnachrichten an den Kollegen, in denen von „speziellen Teamkenntnissen“ die Rede war und von „den paar Kröten, die du da draußen mehr behalten hast“. Da waren Bestohlene, die – für mehrere Zeugen vernehmlich – lautstark protestiert hatten, weil sie ihr Geld wieder haben wollten. Da war ein Abstecher zum Privat-PKW des Kollegen, um das Geld unter der Fußmatte zu deponieren. Überhaupt sei es lebensfremd anzunehmen, der 50-Jährige habe zwar vorschriftsgemäß immer in Hör- und Sichtweite gestanden, aber nie etwas mitbekommen, sagte der Staatsanwalt.

Zugutehielt er dem 50-Jährigen allerdings seine bisherige Laufbahn und die günstige Sozialprognose: Er galt vorher als Vorzeigebeamter; 30 Jahre Diensterfahrung, Vertrauensperson, beliebter Chatpartner für Jugendliche im polizeieigenen Twitchstream, muss sich überdies um seinen autistischen Sohn kümmern. Auch deshalb forderte die Staatsanwaltschaft für ihn – als Helfer und Mittäter – nur zwei Jahre Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnten.

Der 34-jährige mutmaßliche Haupttäter musste da schon härter schlucken: Fünf Jahre Haft forderte der Staatsanwalt für ihn – trotz seiner Geständnisse und seiner Versuche, seine Motive zu erklären.

Versuch, für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen

Auf die gingen seine beiden Strafverteidiger in ihren Schlussplädoyers noch einmal ausgiebig ein. Da war viel vom Frust des jungen Beamten die Rede und seinen sehr eigenwilligen Versuchen, für so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen.

In seiner langen Einlassung am zweiten Prozesstag hatte der ausgiebig geschildert, wie er bei seinen Vorgesetzten vor Wände gerannt war. Seine intensiven Szenekontrollen seien mal als Übereifer abgestempelt und dann wieder gelobt, ein von ihm erarbeitetes Konzept erst im Papierkorb gelandet, dann aber wieder herausgefischt worden.

Dazu kam eine Art Robin-Hood-Mentalität: Den jungen Beamten störte der Hohn und die Aggressivität der Dealer, im Kontrast zu der Verelendung der Konsumenten. Einen Teil seiner Beute will er Obdachlosen hingeworfen haben. Zeugen hierfür wurden im Prozess aber nicht gehört. Seinen Dienst hat er mittlerweile freiwillig und ohne ein Disziplinarverfahren abzuwarten, quittiert.

Er schäme sich zutiefst und wünsche sich eigentlich nur noch eine Gelegenheit, bei seinen Großeltern und anderen Menschen, die er enttäuscht habe, reinen Tisch zu machen, sagte der 34-Jährige in seinem Schlusswort. Ob er die bekommt, wird sich erst am Mittwoch herausstellen. Am 27. August will die Kammer ihr Urteil verkünden.

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1 Kommentar

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  • Herrschaft noch mal, können die sich nicht entscheiden, ob sie das Recht schützen oder brechen wollen? Einer von beiden geht immerhin freiwillig.