Debatte Aktivismus für Tierrechte: Hoffen, handeln – und beten?

Demonstrationen wie vor 20 Jahren bringen das Tierwohl und den Veganismus nicht voran. Wie lassen sich derzeit Menschen überzeugen?

Menschen in weißen Gewändern sitzen um ein Tisch, auf dem rohes, blutiges Fleisch liegt

Auch eine Form der Demonstration für mehr Tierrechte. Die Tierbefreiungsbewegung „269life“ in Lausanne Foto: dpa

Zwei Freunde von mir organisieren gelegentlich Demonstrationen. Tierrechtsdemonstrationen. Und sie sind frustriert. Vor fünf Jahren, erzählt der eine, seien 80 Leute zu ihrer ersten Demo erschienen. Ihre Gruppe wuchs, der Vegantrend setzte sich fort, und auf den nächsten Demos erschienen … wieder nur 80. Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, da müsste es doch möglich sein, ein paar hundert Menschen gegen Schlachthöfe oder Pelzläden auf die Straße zu kriegen? Aber es bleibt bei einer Zahl so um die 80. Jetzt fragen sich die beiden, ob sie etwas falsch machen: Müssten sie lauter die Werbetrommel rühren oder spektakulärere Aktionen bieten?

Vielleicht beides. Dennoch glaube ich nicht, dass sich meine Freunde Versäumnisse vorzuwerfen haben. Eher nehme ich an, dass die meisten Menschen, die sich durchaus für Politik und Veränderung interessieren, gleichzeitig so stark vom allgegenwärtigen Leistungs- und Selbstoptimierungswahn gefordert sind, dass sich ihnen zu wenige „Zeitfenster“ (allein das Wort!) für politischen Aktivismus bieten. Auch der Aktivismus erscheint da nur als ein Selbstverwirklichungsgenre neben anderen wie Yoga, Sport, In-sich-Gehen, Aus-sich-heraus-Gehen und ähnlichen Tätigkeiten, mit denen wir uns unserer Individualität versichern und gleichzeitig den Nachweis erbringen wollen, dass wir das obligatorisch glückliche Leben führen, ohne das man quasi als Paria gilt.

Auch mit der Überlegung, ob Demonstrationen „spektakulärer“ werden sollten, liegen meine Freunde sicher nicht falsch; aber der altmodische Appeal einer üblichen Trott-und-Brüll-Demo ist schließlich nicht ihre Schuld. Jeder Demozug, der sich heute mit Lautsprecherwagen und Plakaten durch eine Innenstadt schiebt, konkurriert nun mal mit zig Märkten, Marathons und Werbeaktionen um Aufmerksamkeit. Sogar der Sinn von Demos selbst wird heute weniger als vor 20 Jahren darin gesehen aufzurütteln, „die da oben“ herauszufordern oder schlicht Unmut kundzutun; sondern heute suchen Demos vor allem Aufmerksamkeit.

Sie wollen nicht stören, sondern gefallen. Eigentlich verstehen sie sich selbst als so etwas wie Werbung, und weil die anderen Menschen, die in denselben Innenstädten unterwegs sind, längst nicht mehr neugierig stehen bleiben, bloß weil da ein paar hundert (oder gar 80) Menschleins zwischen zwei Polizeiwagen durch die Straßen ziehen, muss man sich etwas einfallen lassen. Vor allem auch für „die Medien“: Ob sie über eine Aktion berichten oder nicht, ist fast schon Synonym für Erfolg oder Misserfolg geworden.

Während meine Freunde und ich uns mit diesen etwas betrübten Gedanken trugen, las ich das soeben ins Deutsche übertragene Buch von Micah White, einem Mitbegründer der Occupy-Bewegung. Es heißt „Die Zukunft der Rebellion“ (Blumenbar), und White argumentiert wieder und wieder, dass alte Protestformen (darunter auch klassische Demos) heute nicht mehr denselben Erfolg haben könnten wie noch im 20. Jahrhundert. Seine doppelte Erklärung: Die alten Formen überraschten nicht mehr, und die Staatsgewalt hätte es nicht mehr nötig, sich dem Druck der Straße zu beugen. Es könnten an die Millionen protestieren wie 2003 gegen den Irakkrieg oder weltweit wie bei Occupy, doch das ringe den Regierungen nur ein mildes Lächeln ab.

Die richtigen Adressat*innen

Hier besteht natürlich ein großer Unterschied zwischen der Tierrechtsproblematik und Micah White. Während Letzterer davon ausgeht, dass sich auf Demos sozusagen „das Volk“ an die Regierung wendet, richten sich unsere Tierrechtsdemos zunächst einmal … an das Volk! IHR, liebe Leserinnen und Leser – so ihr nicht schon vegan seid – seid unsere Adressat*innen. Euch wollen wir daran erinnern, dass Tiere nicht eingesperrt und nicht ihres Lebens beraubt werden wollen; und dass sie entsprechende Rechte haben, zumal hier und heute niemand tierische Produkte zum Überleben braucht. Uns geht es weniger darum, die Polizeigewalt auszutricksen oder „die Mächtigen“ zu nerven – sondern genau jene Mischung zwischen Nervigsein und Nettigkeit zu finden, die EUCH auf unsere Seite beziehungsweise die der Tiere zieht.

Micah White aus der Occupy-Bewegung plädiert für die Rückkehr des Spirituellen in den politischen Aktivismus

Micah Whites Überlegung, dass man für die eigenen Ideen neue Anhänger gewinnen könne, indem man im Internet Bots mit ihnen diskutieren lässt, lehne ich daher ab. Auch wenn wir Veganer*innen oft dasselbe Argument 1.000 Mal wiederholen und dabei Frustrationen einfahren ohne Ende – ich glaube an die Notwendigkeit, sich von Mensch zu Mensch an die anderen zu richten. Demos und Diskussionen sollten wir nicht als Werbung ansehen, sondern als Möglichkeiten aufrichtiger Kommunikation. Dabei bitten wir die anderen, die Welt einmal mit unseren Augen oder denen der Ausgebeuteten zu sehen und sich uns anzuschließen, und wir vertrauen darauf, dass solche Bitten fruchten (können).

Dies wiederum berührt sich mit einem Punkt, in dem ich mit White einer Meinung bin, mit dem er mich kolossal überrascht hat und sicher einige seiner antikapitalistischen Mitstreiter*innen vor den Kopf stößt: Er plädiert für die Rückkehr religiöser/spiritueller Formen in den politischen Aktivismus. Die marxistisch motivierte Konzentration auf die materiellen und ökonomischen Grundlagen gesellschaftlicher Stagnation und Veränderung lasse zu viele andere Kräfte und Potenziale außer Acht.

Vertrauen. Hoffen. Handeln. – Und beten? Weil Micah Whites Buch mit der provokanten Idee schließt, für Veränderung (auch) zu beten, und zudem gestern Abend der Ramadan begonnen hat, schließe ich mit einem Gebet. Ich spreche es jedes Mal, wenn ich auf der Straße einen Tiertransporter sehe: „Oh Allah, stehe ihnen bei in ihrer Angst und ihrem Leiden. Gib uns die Kraft, für sie zu kämpfen, und gib uns allen ein Einsehen, um diese Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu beenden.“ Ob es an uns oder ob es an Gott liegt, dieses Gebet Wirklichkeit werden zu lassen, weiß ich nicht.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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