Debatte Bosnien und Herzegowina: Zündeln auf dem Balkan

Die politische Lage in Bosnien und Herzegowina wird immer brisanter. Russland und die Türkei verfolgen dort jeweils eigene Interessen.

Eine Frau im Profil vor einer Masse von Menschen, in Hintergrund eine russische Flagge

Das Land hat lange für seine Unabhängigkeit gekämpft Foto: ap

Vor wenigen Wochen sprach man erstmals wieder über einen Krieg in Bosnien und Herzegowina. Die hochgeschwappte Diskussion hat sich inzwischen zwar beruhigt, sie hat jedoch ein Schlaglicht auf die nach wie vor angespannte Lage an der Südostflanke Europas geworfen. Das Land, das in den letzten einhundert Jahren dreimal das zentrale Schlachtfeld in der Region war, ist immer noch ein Seismograf für deren Entwicklung.

Wenn es auf dem Balkan kriselt, dann zeigt sich dies zuerst in Bosnien und Herzegowina. Die Krisen in der Region hingen in der Geschichte immer mit Konflikten der Großmächte zusammen. Im Schnittpunkt Sarajevo zeigen sich auch heute die Interessen der internationalen Akteure deutlicher als anderswo in der Region.

Hier spielen nicht nur die Gegensätze der Nachbarstaaten Serbien und Kroatien eine Rolle, sondern auch jene der EU, Russlands, der USA – und sogar jene der islamischen Mächte: der Türkei und neuerdings auch der Golfstaaten und Saudi-Arabiens.

Mit den Einmischungen von außen werden die Konflikte zwischen den drei bestehenden Lagern in Bosnien und Herzegowina selbst angeheizt. Mit der versuchten Zerstörung der multinationalen und multireligiösen Gesellschaft durch den Krieg der 90er Jahre und der darauf folgenden administrativen Teilung des Landes in die serbische Teilrepublik und die bosniakisch-kroatische Föderation fällt dies sogar noch leichter als zuvor.

Dayton wird infrage gestellt

Der serbische Nationalismus hat einen langen Atem. Er hat den seit dem 19. Jahrhundert bestehenden Traum, ein Großserbien zu schaffen, nie aufgegeben. Ähnlich liegen die Dinge auf kroatischer Seite. Beide Nationalismen sprechen Bosnien und Herzegowina bis heute das Existenzrecht ab, wollen das Land beherrschen oder es unter sich aufteilen.

Nur die Bosniaken – Muslime – und die nichtnationalistischen linken Strömungen haben bis heute an dem multinationalen Staat festgehalten. Immerhin haben die internationalen Mächte im Abkommen von Dayton 1995 das Existenzrecht des Staates Bosnien und Herzegowina garantiert.

Doch jetzt wird auch international das Abkommen wieder infrage gestellt. Zwar hat die EU 2003 in Thessaloniki das Versprechen gegeben, die Staaten des Balkans könnten langfristig in die EU eintreten, wenn sie sich in Richtung Demokratie und Rechtsstaat entwickeln. Das hat große Hoffnung in den Bevölkerungen ausgelöst.

Rechtsstaat und Demokratie sollten die Region stabilisieren und damit den Weg zu einer positiven Wirtschaftsentwicklung öffnen. Doch mit der Krise in der EU und mit dem Schwinden der Überzeugungskraft der europäischen Vision könnte sich die Waage bedenklich auf die andere Seite neigen. Hinzu kommt, dass die USA mit sich selbst beschäftigt sind.

Russland will westliche Integrationspolitik stören

Diese Grundkonstellation hat ein politisches Vakuum eröffnet, das weitere politische Spieler auf dem Balkan nutzen, um die Lage für ihre eigenen Interessen zu funktionalisieren. Nachdem Wladimir Putin einen Kurswechsel in seiner Europapolitik vollzogen hat, versucht Russland, auf dem Balkan Verbündete zu finden, um die westliche Integrationspolitik zu stören.

Wichtigstes Pfund für die Russen sind die orthodoxen Bevölkerungen, die traditionell große Sympathien für Russland empfinden – in Serbien, Bulgarien, Mazedonien, Montenegro, aber auch in Griechenland. Ökonomisch versucht Russland Abhängigkeiten zu schaffen.

Nicht nur dass die meisten Länder des Balkans vom russischen Gas abhängig sind; in Serbien und der Republika Srpska befindet sich die Ölindustrie schon in russischer Hand. Russische Banken versuchen, westliche und lokale Banken aufzukaufen.

Vor allem geht es Putin aber um den politischen Einfluss. Eine weitere Integration der Region in Nato und EU soll verhindert werden. Putin bietet neben Militärhilfe in Serbien dem serbischen Teilstaat in Bosnien die russische Unterstützung im Weltsicherheitsrat der UNO an. Eine Volksabstimmung über die Loslösung der serbischen Teilrepublik von Bosnien – was Krieg bedeuten könnte – ist so nicht unmöglich. Putin kann zündeln.

Legitimation für die Russen

Auch die Türkei ist in den letzten Jahren aktiv geworden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den muslimischen Bevölkerungen in Bosnien und Herzegowina, in der Sandschakregion in Serbien, im Kosovo, in Mazedonien und Albanien seine (in Bosnien auch militärische!) Unterstützung zugesichert. Seine Vision von einer Erneuerung des Osmanischen Reiches ist eine religiös geprägte politische Offensive, der es bisher aber an größerer Wirtschaftskraft fehlt. In den Augen der Türken sind die muslimischen Siedlungsgebiete auf dem Balkan „unser Land“.

Konkurrenz in Bezug auf die autochthonen muslimischen Bevölkerungen haben die Türken durch die Aktivitäten der Golfstaaten und Saudi-Arabiens erhalten. Die Emirate investieren Milliarden in riesige Tourismusprojekte im Kanton Sarajevo, arabische Privatleute kaufen landwirtschaftlich genutztes Land sogar in Serbien und Kroatien.

Bedeutsam ist, dass die Araber ihre fundamentalistische Spielart des Islam vor allem in Bosnien zu verankern suchen und den traditionellen, toleranten und offenen bosnischen Islam, der politisch für ein Zusammenleben aller Religionen und Volksgruppen steht, zurückdrängen wollen.

Sowohl die Türken als auch die Araber haben mit ihrem Geld Einfluss auf die muslimisch geprägte bosniakische Nationalpartei SDA gewonnen, die bisher noch für ein multiethnisches Bosnien und Herzegowina eingetreten ist.

Westen muss Gefahren erkennen

Türkei und Emirate fördern mit ihrer religiös geprägten Politik die Abgrenzung der Bosniaken von den anderen Volksgruppen, also eine Dreiteilung Bosnien und Herzegowinas auf ethnonationalistischer und religiöser Ebene. Sie heizen damit die Spannungen in der Region an und bieten zudem Legitimationen für eine aggressive russische Politik.

Und der Westen? Europa muss die Gefahren, die sich auf dem Balkan erneut zusammenbrauen, erkennen. Auch die Sicherheitsrisiken. Dass in Brüssel und Berlin allerdings ernsthaft durchdachte Gegenstrategien zu der russischen, türkischen und arabischen Offensive auf dem Balkan entwickelt werden, ist leider zu bezweifeln.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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