Debatte Die Yasuní-Initiative: Öl oder Leben

Ecuador möchte das Erdöl im Amazonasdschungel im Boden lassen. Das ist eine revolutionäre Idee, die auf heftige Gegenwehr stößt. Eine Entgegnung auch auf Dirk Niebels Position.

Unter dem Urwald im Yasuní-Nationalpark schlummert schwarzes Gold. Bild: dpa

Mit Traditionen und Mythen zu brechen, ist immer schwierig. Bleibt realistisch, heißt es dann, haltet euch an das Machbare. Stets wird der Pragmatismus beschworen, um Veränderungen zu verhindern. Deshalb hat die Idee, das Erdöl im Amazonas-Urwald nicht zu fördern und so die dortigen Lebensformen zu bewahren, von Beginn an Gegner auf den Plan gerufen. Wir wussten, dass es diese Idee in Ecuador und auch international schwer haben wird. Die Öllobbys sind hier wie dort einflussreich.

Die Initiative Yasuní-ITT hat vier Ziele: Wir wollen die weltweit einzigartige Biodiversität in diesem Gebiet erhalten. Und zweitens den Lebensraum der indigenen Völker schützen, die dort freiwillig fern der Zivilisation leben. Zudem ist ITT ein Beitrag zum Klimaschutz, weil eine nennenswerte Menge Erdöl im Boden bleibt. Und es ist ein erster Schritt, um Ecuador auf die Post-Erdöl-Ära vorzubereiten.

Die Initiative setzt somit eine einfache - aber leider nicht von allen akzeptierte - Wahrheit auf die Tagesordnung: Die Klimakrise ist dem Konsum fossiler Brennstoffe geschuldet, vor allem des Erdöls. Sie macht klar, dass alle Gesellschaften globale Lösungen auf der Grundlage einer gemeinsamen, wenn auch verschiedenartigen Verantwortung suchen müssen.

Weil Klimaschutz eine globale Aufgabe ist, fordert die ecuadorianische Regierung einen finanziellen Beitrag der internationalen Gemeinschaft, wenn sie auf die Ausbeutung der Ölvorräte im Dschungel verzichtet.

Es ist nicht Sinn dieser Initiative, einen internationalen Fonds zu gründen, um Umweltzerstörung an einer Stelle der Welt dadurch zu rechtfertigen, dass woanders Verantwortung wahrgenommen wird. Es geht erst recht nicht darum, das System der Vermarktung der Natur auszuweiten, das schon so viele Ökosysteme ruiniert hat. Im Gegenteil: ITT ist eine praktische Kritik der Kommerzialisierung der Natur.

Allerdings verstehen manche, wie auch Entwicklungsminister Dirk Niebel, den kritischen, innovativen und pädagogischen Wert der Initiative Yasuní-ITT nicht. Kurzsichtig und verblendet von eigenen Interessen, beschränken sie sich darauf, die Einrichtung eines Walderhaltungsfonds vorzuschlagen, der die Einbeziehung der Natur in die Marktlogik vorantreibt. Und genau dies ist der Effekt des Programms REDD (Reducing Emissions from Deforestation und Forest Degradation), das Entwicklungsminister Niebel in der taz vom 23. 9. verteidigt.

Auf REDD und nicht auf ITT zu setzen und gleichzeitig die CO2-Emissionen in die Waagschale zu werfen, ist schlicht ignorant. Man kann die Kohlendioxidemission des Erdölverbrauchs nicht mit der Kohlendioxidbindung der Regenwälder vergleichen. Das Erste ist geologisch, das Letztere biologisch. REDD versucht, das in den Wäldern gebundene CO2 ökonomisch zu bewerten, als Teil des Handels mit Kohlendioxidreserven.

Die Natur ist kein Produkt

Die Initiative Yasuní-ITT versucht hingegen, Kohlendioxidemissionen von vornherein zu vermeiden. Damit steht sie quer zur Marktlogik der bisher gültigen Klimaschutzpolitik. Wer REDD fördert, leugnet außerdem dessen negative Auswirkungen auf die indigenen Gemeinschaften, auf ihre Lebensräume, ihre Wirtschaft und Kultur.

Mit REDD wird der Regenwaldschutz zum Geschäft. Man kommerzialisiert und privatisiert die Luft und den Regenwald, die Bäume und selbst die Erde. Statt den dringend notwendigen Schwenk in Richtung der Post-Erdöl-Zivilisation zu vollziehen und die Atmosphäre von schädlichen Emissionen zu befreien, ist REDD ein Akt blindwütiger Kommerzialisierung.

REDD könnte in der Praxis sogar ein Anreiz für die indigene Gemeinschaften werden, die Ausbeutung der Ressourcen zuzulassen, die sie ansonsten auf ihrem Land verhindern würden. Zusammengefasst: REDD ähnelt den Glasperlen, mit denen europäische Konquistadoren bei der Eroberung Amerikas den Ureinwohnern ihr Gold abluchsten.

Internationale Debatte

Die Initiative Yasuní-ITT hat eine internationale Debatte ausgelöst. Aus der ganzen Welt kamen ermutigende Stimmen - eine der wichtigsten aus dem Deutschen Bundestag, der im Juni 2008 die Bundesregierung aufforderte, die Initiative auch finanziell zu unterstützen.

Umso überraschender kam die Entscheidung des damals gerade frischgebackenen Entwicklungsministers Niebel im September 2010, genau dies nicht zu tun. Diese Absage beeinträchtigte die Chancen der Initiative, weitere Geldgeber zu finden - hatten doch viele potenzielle Partner fest mit der deutschen Unterstützung gerechnet.

Das deutsche Angebot hatte viele Türen geöffnet. Heute hingegen scheint es, als habe in Deutschland eine kleinkrämerische Haltung die visionäre verdrängt. Minister Niebel hat bis heute trotz all seiner Safaris durch die Welt die globalen Umweltschutzherausforderungen nicht verstanden.

Was Ecuador versäumt hat

Wir können nicht leugnen, dass auch die ecuadorianische Regierung es bis heute nicht vermocht hat, die Initiative in einen soliden Vorschlag zu gießen. Ecuadors Präsident hat zwar vieles dafür getan, die Initiative international zu verankern, sei es bei der UN, in der Opec oder in diversen anderen internationalen Foren.

Aber leider vertritt dieser Präsident gegenüber der internationalen Gemeinschaft penetrant die Position, ohne internationale Finanzierung würde man das Erdöl eben fördern. Das riecht nach Erpressung. Und das schafft Misstrauen.

Dennoch haben sich in Ecuador die Bedingungen für die Initiative Yasuní-ITT verbessert. Die ecuadorianischen Bürger haben 2008 in ihrer neuen Verfassung anerkannt, dass die Natur eigene Rechte hat. Dies ist einzigartig und gleichzeitig eine kraftvolle Botschaft an die Welt, grundlegend umzudenken.

Angst vor Präzedenzfall

Die Bürger dieses kleinen Landes sind Vorkämpfer einer Gesellschaft, in der die Menschen sich als Teil der Natur verstehen. Deshalb lädt es die internationale Gemeinschaft ein, gemeinsam dafür Verantwortung zu übernehmen, dass das Öl im Yasuní nicht ausgebeutet wird.

Minister Niebel fürchtet nun, dass Yasuní zu einem Präzedenzfall werden kann. Genau das ist unsere Hoffnung. Schaffen wir zwei, drei, viele Yasuní auf der Welt.

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