Debatte Dieselskandal und Widerstand: Protestbündnis – aber subito!

Die Demonstrationen gegen die Fahrzeugindustrie waren beim Autogipfel eher bescheiden. Wichtige Akteure fanden nicht zueinander.

Eine Frau mit Mundschutz und einem Autoverbotsschild

Protest Anfang August vor dem Verkehrsministerium Foto: imago/Christian Mang

Die öffentliche Berichterstattung über die Proteste gegen die Automobilindustrie und die autohörige Politik der schwarz-roten Koalition war eher bescheiden. Es waren circa 350 Menschen gekommen, und vor allem der VCD, die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, NABU und die Kampagne „VW-Boykott“ hatten jeweils separate und kreative Aktionen und Präsentationen vorbereitet.

Oppositionspolitiker aus dem Bundestag wurden nicht gesichtet. Sie hatten Urlaub oder waren in ihren Wahlkreisen. Die Verbraucherverbände fehlten ebenso wie der ADAC, der Engel der Autofahrer, der als Bestochener der Autobranche auch wenig glaubwürdig hätte auftreten können. Von Gewerkschaftlern keine Spur, Campact, Attac, BUND, AFC, Transparency und Lobbycontrol blieben ungehört. Die Fernsehsender hatten zumeist mit einer 5-Sekunden-Einblendung die Abseilaktion von Greenpeace und die Toten-Lichtprojektion im Blick.

In den Printmedien konzentrierten sich die meisten Zeitungen auf eine sachliche Darstellung der Gipfelergebnisse mit flächendeckenden Kommentaren, dass der Berg kreißte und nur eine Maus gebar. Die Protestberichterstattung nahm circa ein Zehntel der Texte ein, die Leitmedien wie SZ, FAZ, Tagesspiegel, Handelsblatt hatten die Proteste überhaupt nicht auf dem Schirm.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel noch vor der Wahl den mutmaßlich stattfindenden und notwendigen zweiten Autogipfel einberuft, um mehr vorzuweisen als der politisch kaum noch haltbare Alexander Dobrindt, dann wird Merkel ein erweitertes Versprechen der Reduzierung von Stickstoffoxiden verkünden und den Automobilchefs eine symbolische Entschädigung der betroffenen Fahrer abverlangen.

Unprofessionelle Orga

Der Protest war deshalb so schwach, weil die Protestler nicht einmal als Akteure zusammensaßen, um gemeinsam den Protest vorzubereiten. Natürlich arbeiten viele Gruppen und Organisationen gut zusammen, aber bei diesem Protest reichte es noch nicht einmal zu einer Mikrofonanlage. So wurstelte jeder vor sich hin.

Wer größere Protestveranstaltungen in Berlin kennt, kann die Organisation vor dem Dobrindt-Ministerium nur als unprofessionell bezeichnen. Greenpeace ist ein selbstbezogenes und wenig kooperationswilliges Kommandounternehmen. Campact hat große Verdienste um die TTIP-Proteste, aber meidet bisher zuspitzende Aktionsformen, und der BUND hat zwar fast eine halbe Million Mitglieder, aber bisher keine größere Mo­bilisierung versucht. Und Attac hat zu wenig fachlich ausgewiesenes Per­sonal, um eine Mobilisierung zu stemmen.

Realistische Verbraucher

Wir wissen schon seit Monaten, wie die Bevölkerung und die VW-Fahrer über den VW-Skandal denken. Aber alle Medien wollten bis zum Autogipfel auch nichts davon wissen. Auch sonst sehr geschätzte und sich im VW-Misthaufen auskennende Medienvertreter hatten Scheuklappen auf oder, etwas zugespitzt formuliert: ein wenig die Hosen voll.

Wir wissen schon seit Juni und der VW-Konzern wusste weit vorher, dass die VW-Fahrer stinksauer sind. VW hatte nämlich – so wissen wir von zwei Whistleblowern – mehrere Umfragen bei seriösen Forschungsinstituten zum potenziellen Imageschaden in Auftrag gegeben. Die seriös ermittelten Befunde waren offenkundig so katastrophal, dass die VW-Verantwortlichen sich sofort zur Aufbewahrung im Giftschrank entschlossen.

24 Prozent der VW-Fahrer würden sich nicht mehr für den Kauf eines VW entscheiden

So wurde eine Gruppe von Professoren tätig, legte Geld zusammen und beauftragte eine eigene Repräsentativbefragung zum VW-Skandal (Quotas, Hamburg). Der Befund war eindeutig: Die Große Koalition und die VW-Verantwortlichen bekamen mit 3,3 und 3,4 gleichermaßen schlechte Schulnoten. Mit anderen Worten: Der Abgasskandal wurde dem Konzern und der Politik als Nichtstun und aktives Beschweigen angelastet.

Die Befragung zeigte auch, wie realistisch Verbraucher sein können. Die Geschädigten wollten nicht so maßlose Kompensationszahlungen wie in den USA, man wäre schon mit symbolischen Entschädigungen von circa 3.000 Euro zufrieden. Die VW-Verantwortlichen wussten das schon im Frühjahr 2016 und taten nichts. Schlappe 7 Milliarden Euro würde VW das kosten, ja mei.

Aber die VW-Oberen und die Gewerkschaften hatten nicht einmal den Mut, diesen empirisch ermittelten Vorschlag in den VW-Gremien zur Diskussion zu stellen. Schließlich kam bei der Befragung heraus, dass 24 Prozent der VW-Fahrer sich nicht mehr für den Kauf eines VWs entscheiden wollen – von wegen unmündige Verbraucher. Die Käfer-, Golf- und Touran-Generation lässt sich nicht so einfach betrügen. Als Grund für den heimlichen Boykott geben sie prioritär an: VW-Abgasskandal.

Zivilgesellschaft gefordert

Liebe Verantwortliche von VW, Daimler, Audi, Porsche, Fiat, Renault, BMW, Bosch, liebe Gewerkschaftsvorstände und Betriebsräte: Die Hütte brennt, bitte kommen Sie zum nächsten Autogipfel nicht mit einem Eimer Wasser.

Ein Treffen muss her, bei dem alle Verbraucherorganisationen, Umwelt­grup­pen, Akteure von Gesundheits-, Naturschutz- und Menschenrechtsorganisationen sowie Wissenschaftler ein Bündnis mit Forderungen entwickeln und sich Aktionen trauen, die den Herrschenden vor der Wahl wehtun. Als vorläufiger Termin ist der 1. September 2017 in Berlin vorgesehen.

Wenn die Spitzenkandidaten der Parteien – von Merkel über Schulz bis zu Seehofer und Lindner – nichts Sub­stanzielles oder überhaupt nichts zu sagen haben, dann ist die Verstocktheit der Demokratie offenkundig.

Die Oppositionspolitiker von den Grünen und der Linken sind bisher nur mit dem Versprechen starker Aufklärung verbunden. Aber sie haben die Menschen für dieses Thema nicht sensibilisieren können.

Empören genügt nicht, die Zivilgesellschaft muss so lange für schmerzliche Absatzeinbrüche der Autobranche sorgen, bis alle Skandalkarten auf dem Tisch sind. Die Automanager kennen nur noch den „Tunnelblick“, Merkels klammheimlicher Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Händen“ wird beim nächsten Autogipfel allenfalls zu Zentimeter-Erfolgen führen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Akteur/Berater in verschiedenen sozialen Bewegungen wie VW-Boykott und Blockade von Rüstungsbetrieben.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.