Debatte Dominique Strauss-Kahn: Den Franzosen eine Lehre erteilen

Skandal, Reflex, Beschwichtigung, Rückzug: Ist der Fall des Ex-IWF-Direktors Strauss-Kahn eine Frage unterschiedlicher Sitten? Frankreich diskutiert heftig darüber.

Gegen Sexismus und Vergewaltigungen: Frauendemo in Paris. Bild: dapd

Es handelt sich um einen Kriminalfall. Nein, es geht ums Prinzip, sagt ein Pariser Salonphilosoph. Jenseits des Atlantiks beerdigen die Boulevardblätter nach diesen enthüllten Schweinereien endlich den Mythos des "French Lover". Moralisten aller Länder, entrüstet euch?

Die nicht weniger sensationsgierigen Nachbarn in Europa reden von einem Zivilisationsschock unterschiedlicher Sitten. Nichts wird sein wie zuvor, meint altklug ein Leitartikelschreiber. Sicher ist, dass die Reaktionen auf den Fall von Ex-IWF-Direktor und Beinahe-Staatspräsident Dominique Strauss-Kahn noch lange zu reden geben werden.

Nicht für überraschend hält es Pascal Bruckner - "La Tentation de lInnocence" heißt sein letztes Buch -, dass "die Franzosen dieser Tage durch den Paroxysmus dieser Tragödie fasziniert waren. Und diese Faszination für einen ebenso brutalen wie für unwahrscheinlich gehaltenen Sturz von Strauss-Kahn erfolgt um den Preis eines Desinteresses" für den Rest: für die arabische Revolution, Fukushima, aber auch für die Geschichte eines Opfers sexueller Gewalt in New York. Ist allein schon diese sehr ungerecht verteilte Neugier Ausdruck einer frauenfeindlichen Mentalität einer ganzen Nation?

Nachsicht für den Freund

Einige Prominente in Frankreich jedenfalls entlarvten sich mit ihrer Nachsicht für ihren Freund DSK: Schließlich sei ja niemand umgekommen, meinte der frühere Kulturminister Jack Lang. Der Gründer des Magazins Marianne, Jean-François Kahn, ließ sich gar hinreißen, vom "Rupfen einer Domestikin" zu sprechen. Sein Ausrutscher wurmt ihn jetzt so, dass er mit 72 den Journalismus an den Nagel hängt.

"DSK hat bewiesen, dass er ein Linker ist. Der von einem Tag auf den anderen an der Seite der Schwachen, der Kleinen, der Gedemütigten mit Handschellen steht. Jenen, die in einer Viertelstunde alles verlieren können", hat die Schriftstellerin Christine Angot voller Zynismus geschrieben. Auch sie gesteht: "Die ersten Tage wollte ich nicht wahrhaben, dass es in dieser Geschichte einen Schweinehund gibt … Ich verwarf die feministischen Reaktionen, die daraus eine Frage der Moral machen wollten."

Wie aber gehen wir mit unserem Ekel um und der Faszination durch die Macht, die eben auch Teil unserer Sexualität sind, fragt Angot. Ihre Reflexion verliert sich im psychologischen Versuch, Strauss-Kahn als einen Verführer zu verstehen, der sich der Nation nun verweigert, statt sich ihr als Präsident hinzugeben.

Bemerkenswerte "Fehlleistung"

Andere hatten bereits von einer Art politischem Suizid gesprochen oder DSK mit dem Fußballer Zidane verglichen, der mit seinem groben Foul an der WM 2006 den Abschied vom Profisport gab. Der Psychoanalytiker Serge Hefez erwähnte einen für DSK signifikanten "acte manqué", das heißt eine bemerkenswerte "Fehlleistung" im Freudschen Sinne.

Darüber vermag Frankreichs heftigster Freud-Kritiker, Michel Onfray, nur lachen. Warum nicht über die Zimmernummer 2806 der Hotelsuite in New York spekulieren, da doch das Datum, an dem DSK seine Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur anmelden sollte, der 28. 06. war, spottet er.

Aufs Korn nimmt Onfray aber vor allem seinen intellektuellen Lieblingsfeind Bernard-Henri Lévy, der in einer ersten Stellungnahme mit der ganzen Autorität eines universellen Hüters der Menschenrechte gleichsam eine Bürgschaft für seinen Freund DSK übernahm: "Glauben Sie eine Sekunde lang, wir könnten Freunde sein, wenn ich dächte, dass DSK ein triebhafter Vergewaltiger, ein Neandertaler sei, der sich wie ein sexuelles Raubtier gegenüber Frauen verhält?", als ob die Freundschaft mit BHL eine Garantie für Unbescholtenheit wäre.

Inzwischen hat BHL berichtigt, er verteidige "nicht den Freund, sondern ein Prinzip". Ihm zufolge ist das "mutmaßliche Opfer" ebenso wenig über den Verdacht erhaben wie der "mutmaßliche Täter". Wie wert- oder geschlechtsneutral ist diese Gleichstellung? Was sich als Grundsatz verteidigen lässt, kommt im konkreten Fallbeispiel dem Versuch einer Umkehrung der Rollen gleich, kontert Onfray.

Unerträgliche Légèreté

Aus einem anderen Verständnis der Gleichheit zwischen einer schwarzen Bediensteten und einem weißen Boss hat die Justiz in New York ein Exempel statuiert, mit dem amerikanische und britische Medien wiederum den Franzosen eine Lehre in Sachen öffentlicher Moral erteilen wollen, die sich fast reflexartig über eine solche Einmischung puritanischer Sittenwächter empören.

In einem anderen Sinne spricht der konservative Essayist Nicolas Baverez von einer "unerträglichen Légèreté der Reaktionen in Frankreich". Auch er schreibt über Verdrängung: "Diese Blindheit im Namen der Rücksicht auf das Privatleben ist bezeichnend für die vorsätzliche Begriffsverwischung zwischen Verführung und Vergewaltigung.

Dieser Hang zur Verdrängung geht indes weit über den Fall DSK hinaus und prägt das politische und intellektuelle Leben in unserem Land." Er meint, dass die Affäre "die Tugend eines Skandals besitzt, der schlagartig und brutal die verdrängte Wahrheit enthüllt". Die einzige Moral der Geschichte ist indes, dass man ihr aufschlussreiches Ende (noch) nicht kennt.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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