Debatte EU-Finanzpolitik: Schuld sind immer die anderen

Der von Deutschland dominierte Norden und der Süden Europas verfolgen entgegengesetzte Interessen. Ein gemeinsamer Diskurs ist weit entfernt.

Ein Hochhaus bei blauem Abendhimmel. Ein Euro-Zeichen ist an die Fassade projiziert

Hinter dieser Fassade steckt Macht: das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt Foto: dpa

Eigentlich ist man sich einig in Europa. „Die Sparer werden enteignet!“, verkündeten Deutschlands Medien, führende Wirtschaftswissenschaftler, die Vertreter der Bankenverbände unisono Anfang des Monats, als die EZB ihre neuen Zinsbeschlüsse mitteilte.

„Die Sparer werden enteignet!“ – eben jener Warnruf war schon zwei Monate vorher in Italien zu vernehmen, allerdings in ganz anderem Kontext. Das Land nahm Anstoß an der Abwicklung von vier Banken, für die nun erstmals die Einleger geradestehen mussten, Aktionäre genauso wie die Käufer von Anleihen der Institute – denn in der Euro-Zone haben sich die Regeln für Bankenpleiten verschärft, nicht zuletzt auf deutschen Druck.

Die Sparer sind betroffen, die Verantwortung trägt „Europa“: Auf diese Sprachregelung können sich Deutsche und Italiener ohne Weiteres einigen. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Der starke Norden Europas, der kriselnde Süden: Sie mögen die gleichen Worte benutzen, doch sie sprechen verschiedene Sprachen – und reden beharrlich aneinander vorbei.

Egal ob die Geldpolitik der EZB oder die Europäische Bankenunion (und in ihrem Gefolge der Umgang mit Bankenkrisen in der Eurozone): Es ist unverkennbar, dass die deutsche Agenda der Italiens und der der anderen Südstaaten diametral entgegengesetzt ist. Zu Beginn seiner Amtszeit, im Herbst 2011, durfte sich EZB-Präsident Mario Draghi noch darüber freuen, dass ihm die Bild-Zeitung per Fotomontage eine preußische Pickelhaube auf den Kopf zauberte. Mittlerweile ist er in deutschen Augen bloß noch der „Italiener“, der Europa mit billigem Geld flutet, zum Nutzen der Schuldnerländer, zum Schaden der deutschen Sparer.

Ja oder Nein zur Bankenunion?

Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber rechnete aus, jeder Deutsche habe dank Draghis Billigkurs in den Jahren 2010 bis 2014 schon 1.400 Euro an Zinsen eingebüßt, und die Verluste auf Lebensversicherungen seien gewaltig. Doch damit hört der Ärger nicht auf, schließlich wäre da noch die Bankenunion und die Perspektive einer europäischen Einlagensicherung.

Der Süden will sie – der Norden nicht. Wieso, meint zum Beispiel Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, sollte eigentlich die deutsche für die italienische Einlagensicherung zuständig sein? Das sei doch bloß „zentralisierte Zwangshaftung“ und damit die „Einladung zur Selbstbedienung“, seitens Italiens, Spaniens, Portugals und Co. natürlich.

Um die Misere zu bebildern, zitieren deutsche Zeitungen gerne die Tatsache, dass die notleidenden Kredite bei italienischen Banken mittlerweile die Unsumme von 200 Milliarden Euro erreicht haben, dass zudem Italiens Institute mittlerweile an die 400 Milliarden Euro an Staatstiteln des eigenen Landes (unseriöse Anlage!) halten.

Beide Zahlen stimmen. Beide Zahlen sind aber auch direkte Folge der Eurokrise. In ihrem Verlauf verfünffachten sich die notleidenden Kredite seit 2008, schlicht aus dem Grund, weil Tausende am Abgrund stehende Unternehmen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnten. In ihrem Verlauf auch lösten internationale Anleger ihre Portfolios in italienischen Staatsanleihen auf – worauf die italienischen Banken einsprangen und ihr Engagement seit dem Jahr 2008 vervierfachten.

„Unseriös“ mag man das finden, mit Angela Merkels Worten war es schlicht „alternativlos“. Und während die deutsche Seite meint, Italien müsse überhaupt erst noch liefern, ist man dort überzeugt, schon mit der rigiden Sparpolitik, mit Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen, mehr als genug geleistet zu haben. Während das deutsche Mantra „Strukturreformen“ und „Solidität“ heißt, kommt aus Rom der Ruf nach „Wachstum“ und „Solidarität“ zurück.

In Italien herrschen in der Tat ganz andere Sorgen als in Deutschland. Das BIP liegt immer noch, trotz des bescheidenen Wachstums 2015, um fast 10 Prozent unter dem von 2007, der Aufschwung kommt nicht recht in Gang, obwohl das Land mittlerweile im Außenhandel wieder satte Überschüsse erwirtschaftet, Italien droht in die Deflation abzurutschen.

Lösung weit entfernt

Deren Bekämpfung genießt in Rom oberste Priorität, und deshalb – nicht weil er Italiener wäre – ist Draghis Politik in Italien populär. Auch italienische Sparer ächzen unter den Nullzinsen, auch italienische Bürger haben in Lebensversicherungen investiert. Aber die Prioritäten sind schlicht andere. Ein bisschen Inflation: Für Italien hieße das unmittelbare Entlastung bei der Staatsverschuldung und damit bei den Vorgaben des Stabilitätspakts und des Fiscal Compact.

Alle Seiten, der Norden wie der Süden, sind überzeugt, am Ende zahlten sie die Zeche

Draghis Politik gefällt im Süden auch, weil sie es schaffte, den „Spread“ – den Zinsabstand zu Deutschland – drastisch herunterzufahren, auf nur noch gut 1 Prozent. „Wettbewerbsverzerrung“ sieht Uwe Fröhlich im zu niedrigen Spread, Wettbewerbsverzerrung – für ihre Unternehmen – sehen die Italiener dagegen, wenn sie für Kredite weit mehr als in Deutschland bezahlen müssen.

So reden beide Lager Europas weiter konsequent aneinander vorbei. Es ist keine Sprachstörung, es ist ein handfester Interessenkonflikt, zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern in der Eurozone. Beeindruckend, jenseits der realen Gewinn- und Verlustrechnungen, ist jedoch ein anderer Tatbestand. Alle Seiten, der Norden wie der Süden, sind überzeugt, am Ende zahlten sie die Zeche, während der jeweils andere es sich bequem mache, indem er die andere Seite ausplündere: Deutschland den Süden mit dem Austeritätsdiktat, der Süden Deutschland mit seiner faulen Laxheit.

Und so ist Europa am Ende von der Lösung der Eurokrise ungefähr genauso weit entfernt wie 2010, als jene Krise offen ausbrach. Substanziell hat sich nichts geändert an den Interessengegensätzen zwischen den starken und den schwächeren Ländern der Euro-Zone. Schlimmer noch: Ein gemeinsamer Diskurs, eine gemeinsame Sprache, in der die europäischen Interessenkonflikte verhandelt würden, ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar – und die nächste Krise des Euro wird dann wohl die letzte sein.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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