Debatte Euro-Ausstieg: Raus aus dem Euro!

Attac debattiert: Braucht Europa die Einheitswährung oder schadet sie? Der Euro ist das entscheidende Element zur Strangulierung der schwachen EU-Ökonomien.

In Kürze werden nach Portugal und Spanien auch Italien und Frankreich „verostdeutscht“ werden. Bild: dpa

Erstens: EU und Euro waren immer Projekte des Kapitals und immer vor allem von deutschen Kapitalinteressen bestimmt. Fortschrittliche Zielsetzungen waren damit nie verbunden.

Am Ursprung standen die Union der ehemaligen Rüstungs-, Kohle- und Stahlunternehmen (EGKS), der Zusammenschluss der Atomindustrie zu Euratom und die Bildung einer „Europäischen Verteidigungsunion (EVU)“. Auf dieser Grundlage wurde 1957 die EWG mit dem ungleichen Tandem Westdeutschland/Frankreich gebildet.

Nach kurzzeitigen Bestrebungen in den 1990er Jahren, die EU als Gegenmacht zu den USA aufzubauen, zeichnet sich heute ein neues transatlantisches Bündnis USA/EU mit perspektivischer Frontstellung gegen China ab. Entsprechend ist der von den USA stark mitbestimmte Internationale Währungsfonds Bestandteil der Troika.

Am Donnerstag beginnen in Frankfurt die Blockupy-Aktionstage. Während sich die Aktivisten in ihrer Ablehnung der europäischen Austeritätspolitik einig sind, gibt es einen großen Streitpunkt: Soll man das Euro-Experiment beenden? Ex-UNCTAD Chef Heiner Flassbeck löste mit einem Gutachten, das einen geordneten Ausstieg für Länder des Südens nahelegt, eine Debatte im Wissenschaftlichen Beirat von Attac aus. Auf Winfried Wolf wird bald Elmar Altvater antworten.

Die Einheitswährung wurde dann eingeführt, als auch die maßgeblichen deutschen Kapitalkreise darin ein Instrument in ihrem Interesse erkannten. Theo Waigel 1997 als deutscher Finanzminister: „Der Sitz der Europäischen Zentralbank wird Frankfurt, oder aus der Veranstaltung wird nichts.“

Zweitens: Nirgendwo in der kapitalistischen Welt hatte jemals eine gemeinsame Währung für mehrere unterschiedlich starke Nationalstaaten bei Weiterexistenz nationaler Politiken Bestand. Das Scheitern der Skandinavischen Währungsunion (1885–1924) mit der Rückkehr zu den alten nationalen Währungen ist beispielhaft, wobei sich hier mit Schweden, Dänemark und Norwegen Länder mit vergleichbar starken Ökonomien zu einer Währungsunion zusammenschlossen.

In der Nordatlantischen Freihandelszone (Nafta), bestehend aus USA, Kanada und Mexiko, herrscht vor allem zwischen Mexiko als wirtschaftlich relativ schwachem Land und den USA beziehungsweise Kanada als starken Ökonomien ein vergleichbares Gefälle wie im Euroraum zwischen Deutschland und Spanien oder Italien. In der Nafta wird eine Einheitswährung nicht ernsthaft diskutiert. Der mexikanische Peso wird gegenüber dem US-Dollar kontinuierlich abgewertet: 1994, beim Nafta-Start, löhnte man 3 Peso für 1 US-Dollar, heute sind es 12,5 Peso.

Drittens: Es gab einen grandios gescheiterten Euro-Testlauf. 1979 wurde das Europäische Währungssystem (EWS) geschaffen. Es band fast alle EG/EU-Währungen eng aneinander, auch das britische Pfund. Es verfügte über Ausgleichsmechanismen und Flexibilität.

Dennoch brach 1993 das EWS infolge der Krise 1991/92 zusammen. Über den gesamten Zeitraum 1979 bis 1993 hinweg gesehen waren am Ende die Währungen der damaligen Peripherieländer Portugal, Spanien und Italien gegenüber der DM um 75, 54 und 52 Prozent abgewertet. Selbst die Währungen eher starker Länder wie Großbritannien und Frankreich mussten Abwertungen um rund 33 Prozent hinnehmen.

Diese Relationen im 14-Jahres-Zeitraum des EWS entsprechen ziemlich genau den Bandbreiten, in denen heute, 14 Jahre nach Einführung des Euro, Ab- und Aufwertungen im Euroraum stattfinden müssten – wenn es denn noch nationale Währungen geben würde. Und vor allem weil das dank des Korsetts Euro nicht stattfindet, wird ein Peripherieland nach dem anderen in die Arme der Troika getrieben.

Viertens: Das Euro-Desaster wurde vorhergesehen. Gregor Gysi argumentierte am 23. April 1998 im Bundestag: „Das heißt doch, wir wollen [mit dem Euro] den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern schwächen. Die werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können.

Das [wird] zu einer weiteren Spaltung in Europa führen.“ Es kam noch wesentlich schlimmer. Es irritiert, dass man sich an diese Vorhersagen nicht erinnern, dass man die Konsequenzen nicht ziehen will und dass man ausgerechnet jetzt glaubt, der Euro ließe sich „demokratisieren“.

Fünftens: Die wirkungsmächtigen Konzepte zur Vervollständigung des Euro vertiefen die Krise und laufen auf einen autoritären Eurostaat hinaus. Seit Ausbruch der Eurokrise vor gut drei Jahren wurde aus dem Sonderfall Griechenland der Normalfall Euroraum-Peripherie.

Mit den (ganz oder halb) unter den Schutzschirm geflüchteten Ländern Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Zypern und Slowenien sind bereits Räume mit einer Bevölkerung von 70 Millionen von den Troika-Programmen mit Sozialabbau, Kahlschlag-Privatisierung, vertiefter Krise, Hochschnellen der Arbeitslosigkeit und Entmachtung der nationalen Parlamente betroffen.

In Kürze werden auch Italien und Frankreich „verostdeutscht“ werden. Selbst wenn die Löhne in Deutschland jetzt real etwas steigen und die Arbeitszeiten wieder verkürzt werden würden (was es ja gerade 1979 bis 1983 gab, als es dennoch die genannten Abwertungen gab), würde dies am grundsätzlichen Ungleichgewicht wenig ändern.

Schlussfolgerung: Der Euro ist die Krönung des EU-Projekts als das Projekt der größten Konzerne und Banken. Er ist inzwischen das entscheidende Element zur Strangulierung der schwachen EU-Ökonomien und zur Durchsetzung der deutschen Kapitalinteressen. Ein organisierter Rückzug zumindest der Peripherieländer aus der Einheitswährung, flankiert von Kapitalverkehrskontrollen und radikalen Schuldenschnitten, ist sinnvoll, wenn eine weitere Vertiefung der Krise der gesamten EU vermieden werden soll.

Entscheidend bleibt jedoch all das, was die Gegenmacht zu den Banken und Konzernen stärkt: Arbeitszeiten verkürzen, Löhne rauf, Hartz IV weg, Mindestlöhne her, direkte Demokratie erproben: Arsch huh, Zäng ussenander & Blockupy – und vor allem praktizierte Solidarität mit denen, die von der EU, dem Euro und der Troika plattgemacht werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.