Debatte Gentrifizierung: Recht auf Stadt

In Hamburg wird Stadtentwicklung rein neoliberal gedacht. Dagegen geht dort heute ein breites Bündnis mit einer Parade auf die Straße.

Hamburg brodelt: Während die Stadt wie ein neobarockes Fürstentum hunderte Millionen Euro in monumentale Bauvorhaben steckt und Investoren hofiert, sind immer mehr Menschen von steigenden Mieten, sozialer Spaltung und Verdrängung bedroht. Lange hat sich Hamburg, das ein amerikanischer Reiseführer als "rich and radical" beschreibt, als Boomtown im Globalisierungsspiel gefeiert. Aber "rich" war gestern: Immer mehr Menschen können sich das Wohnen und Leben in Hamburgs Innenstadt nicht mehr leisten. Heute ruft ein Bündnis aus 120 Hamburger Gruppen und Organisationen zur Parade für das "Recht auf Stadt" auf. Initiativen gegen Gentrifizierung, Umweltaktivisten, Autonome, Hafenarbeiter, Wohnprojekte und Kulturschaffende - das Bündnis geht quer durch die Vielfalt der Stadt.

Wer diese soziale Unruhe, die in den vergangenen Monaten an der Elbe heraufgezogen ist, für das übliche Geplänkel im urbanen Kräftemessen hält, täuscht sich. Und skurril kann dieses Bündnis nur finden, wer städtische Auseinandersetzungen entlang bekannter Ideologien vermisst. Nein: In Hamburg geht es um die Zukunft von Stadt überhaupt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde sie ausschließlich neoliberal gedacht. Wie kaum eine andere deutsche Stadt hat sich Hamburg als Unternehmen definiert, das im globalen Standortwettbewerb zuerst Kapital anziehen und zur Marke werden soll. Kommunale Dienstleistungen wurden privatisiert und städtische Immobilien meistbietend verkauft - an Investoren, die allenfalls mit symbolischen Auflagen im Sinne des Allgemeinwohls ihrem Geschäft nachgehen. Der öffentliche Raum wurde in eine Konsumzone verwandelt, in der Sicherheitsdienste und Überwachungskameras reibungsloses Shopping garantieren.

In diesem Modell von Stadtentwicklung werden die Bewohner der Stadt zu Konsumenten von Urbanität degradiert. Wer nicht genug Kaufkraft mitbringt, wird noch eine Weile geduldet und mittels Gentrifizierung unauffällig aus der Konsumzone entfernt. Dies ist mitnichten eine "naturwüchsige" Veränderung, in der "sozial schwache" Stadtteile durch die Invasion von Künstlern, Studierenden oder "Yuppies" aufgewertet werden, so die klassische Vorstellung von Gentrifizierung. In Hamburg befindet sich dieser Prozess längst in einer neuen, dritten Phase, in der die Metropolen ganze Stadträume neu ordnen, um im globalen Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Wilhelmsburg wird mit Internationaler Bauausstellung und Bundesgartenschau "modernisiert", der Hafenrand zwischen Hafencity und Altona zur erweiterten Downtown umgebaut. Den Energiehunger dieser "wachsenden Stadt" will Hamburg mit Kohlekraft stillen, deren Ausbau ebenfalls in den Stadtraum schneidet. Wie im Brennglas bündelt sich an der Elbe so noch einmal jener fossile Neoliberalismus, der in die gegenwärtige Krise geführt hat und damit gescheitert ist.

Die Städte sind der Ort, in denen sich diese Krise am klarsten manifestiert. Zugleich sind sie der Ort, in denen sie gelöst werden muss. Aber nicht mehr mit dem Top-down-Modell von Stadtentwicklung - sondern indem sich alle Bewohnerinnen und Bewohner das "Recht auf Stadt" nehmen, das sich bislang eine Elite aus Politik, Urbanisten und Wirtschaft vorbehält. Das Konzept stammt von dem französischen Soziologen Henri Lefebvre: Anwesenheit und Zugang, Aneignung des Raumes, Differenz, die "schöpferischen Überschüsse des Städtischen" - das sind keine Privilegien, sondern grundlegende Rechte, die alle haben.

In Hamburg haben viele Menschen begonnen, dieses Recht auf Stadt einzufordern, indem sie sich den urbanen Raum wieder aneignen und für alle produktiv zugänglich machen. Das historische Gängeviertel, in dem ein niederländischer Investor die übliche Langeweile aus Stahl und Glas errichten wollte, und das ehemalige Frappant-Gebäude in Altona, das einem enormen Ikea-Komplex weichen soll, sind Orte, an denen die neue Bewegung sichtbar wird: Sie wurden nicht nur besetzt, sondern in soziale und freie Räume verwandelt, in denen die Logik des Kommerzes keine Rolle spielt. Erster Erfolg dieser Strategie ist, dass Hamburg das Gängeviertel von Hanzevast zurückgekauft hat. Aber auch die Straße, die für Lefebvre zum "Aufeinanderfolgen von Schaufenstern" verkommen war, wird angeeignet: mit alternativen Bezirksversammlungen, Wimpelketten, Baumbesetzungen oder Walzerparaden.

Das Recht auf Stadt bedeutet auch, für bezahlbaren Wohnraum für alle zu kämpfen. Sozialwohnungen müssen geschaffen, Immobilienspekulation muss verhindert und der Mietwucher gestoppt werden. Und Recht auf Stadt heißt auch, dass Politik und Investoren keine einsamen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen mehr fällen dürfen. Die erstarrte "Postdemokratie" (Colin Crouch) ist kein Zukunftsmodell mehr.

Die größte Herausforderung ist, die Stadt zu "unserer Fabrik" zu machen. Das ist sie zwar schon heute, wenn die Wissens- und Kulturarbeiter des Postfordismus ihren Wohnraum zur Arbeitsstätte machen. Aber die Prekarität schaut dabei nicht wenigen über die Schulter, wenn Mieten steigen und andere Räume Mangelware sind, was das sogenannte Künstler-Manifest "Not in our name, Marke Hamburg" angeprangert hat. Die Stadt als Fabrik kann allerdings keine Renaissance der klassischen Industriestadt sein, sondern nur als eine selbstbestimmte und kommunikative Erfindung, als Fabrik der Zukunft gedacht werden.

Das Bündnis "Recht auf Stadt", das für all dies streitet, sollte dabei nicht als Aufguss einer außerparlamentarischen Bewegung missverstanden werden. Es könnte vielmehr ein erstes Aufscheinen der Multitude sein, jener Vielheit, die Antonio Negri als das hoffnungsvolle Subjekt der nächsten politischen Umwälzung sieht.

Und es beansprucht auch keine Exklusivität: Unter dem Banner "Recht auf Stadt" bahnt sich in vielen Städten - ob in New York oder Istanbul - diese Umwälzung an. Dass sie sich hierzulande zuerst in Hamburg so deutlich zeigt, mag daran liegen, dass Hamburg eben nicht nur reich, sondern immer auch radikal gewesen ist.

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