Debatte Google und Datenschutz: Fahrlässig naiv

Weil die Nutzer sich nicht darum kümmern, können Internetkonzerne wie Google unbehelligt Datenberge über sie anhäufen. Davon profitieren Werbung und Politik.

Die wenigsten Nutzer wissen, was eine Suchmaschine wie Google über sie speichert. Dabei ist es so einfach wie erschütternd: Jede einzelne Anfrage, die in das Suchformular eingetippt wird, behält der Konzern 18 Monate lang in seiner internen Datenbank. Hinzu kommen die Internetadresse, von der aus der Nutzer sich eingewählt hat (die sogenannte IP-Nummer) sowie ein "Cookie" genannter Datenkrümel. Dieser erlaubt, einzelne Rechner auch dann noch zu identifizieren, wenn sich deren Internetadresse bei der nächsten Onlineeinwahl verändert hat.

Das bedeutet: Von einem durchschnittlichen Google-Nutzer besitzt der Konzern anderthalb Jahre lang seine gesamte Suchhistorie. Bekanntlich tippen wir bei Google inzwischen alles ein, was uns interessiert - vom Vernachlässigbaren ("Wie heißt nochmal die Frau von Promi X?") bis zum Intimsten ("Was hilft gegen Krankheit Y?"). Dass das alles derart lange gespeichert werden darf, ist schlicht und einfach ein Skandal.

Für Google, aber auch für konkurrierende Suchmaschinen, die ähnlich arbeiten, sind all diese erfassten Daten offiziell keine "persönlich identifizierbaren Informationen". Dabei erlauben sie sehr wohl einen Blick in die Privatsphäre der Nutzer. Doch, so lautet die Argumentation, weder IP-Nummer noch Cookie sagen etwas darüber aus, wer vor dem Rechner sitze - Angaben zu Namen und Adresse müsse bei der Suchmaschine ja niemand machen. Laut EU-Datenschutzrecht ist der Konzern damit tatsächlich auf der sicheren Seite. Dabei weiß jeder, dass eine solche Suchhistorie in genügend großem Umfang - und 18 Monate sind dies garantiert - problemlos Rückschlüsse auf den Nutzer zulässt.

Und es kommt noch schlimmer: Die Onlinekonzerne Google und Yahoo verhandeln derzeit über eine enge Zusammenarbeit. Allein in den USA können beide Unternehmen im Bereich der so wichtigen Internetsuchmaschinen rund 90 Prozent der Anfragen auf sich vereinen. Es wird bereits viel darüber diskutiert, welche wirtschaftlichen Auswirkungen ein solches Quasi-Kartell etwa auf traditionelle Anbieter von Inhalten hat. Immerhin lenken damit gerade mal zwei große Anbieter die Informationsströme im Netz und können enorm viel Onlinewerbung auf sich vereinen. Jedoch - die Auswirkungen dieses Monopols auf die Intimsphäre der User dürften noch schwerer wiegen als die ökonomische.

Die Tatsache, dass so viele Daten gespeichert werden dürfen, wirft ein Schlaglicht darauf, dass unser Datenschutzrecht einer grundsätzlichen Überholung bedarf. So stammen die bislang geltenden Regelungen teilweise noch aus einer Zeit, als die Erfassung von Informationen mit einem enormem Aufwand verbunden war. Heute aber liefern wir Google & Co. unser Innerstes nahezu frei Haus; der Datenmoloch braucht nur noch seinen Schlund aufzusperren. Bilderkennungssysteme können inzwischen Einzelpersonen aus Millionen von im Netz gespeicherten Fotos heraussuchen. Selbst Videos sind dank Spracherkennung demnächst erfassbar. Wir stehen vor einem Albtraum für die Privatsphäre jedes Einzelnen, nur wollen wir es noch nicht wahrhaben.

Die Politik steht derweil vorwiegend schweigend daneben, denn in Zeiten des "Kriegs gegen den Terror" profitieren innenpolitische Hardliner potenziell direkt von all diesen schönen, sauber gespeicherten Informationen.

Noch ist es zum großen Google-Daten-GAU nicht gekommen, doch lange kann es nicht mehr dauern. Und es gibt auch bereits erste Anzeichen. So läuft seit mehreren Jahren ein großes zivilrechtliches Verfahren des Medienriesen Viacom (MTV, Paramount Pictures) gegen den Internetkonzern Google. Dieser soll bei seinem Videodienst YouTube Urheberrechte verletzt haben. Letzter Stand des Verfahrens: Google muss laut richterlicher Anordnung insgesamt 12 Terabyte an Nutzungsdaten - welche Videos von wem und wann betrachtet wurden - an die Viacom-Anwälte übergeben. Zwar konnte man sich in letzter Minute darauf einigen, dass diese Daten anonymisiert werden müssen (also etwa ohne IP-Nummern bereitgestellt werden, mit denen Viacom auch noch einzelne Nutzer hätte verklagen können). Dennoch stellt sich die Frage, warum Google überhaupt so viele Informationen benötigt.

Die 18 Monate Speicherfrist bei den Suchanfragen wird von dem Onlineriesen stets damit begründet, dass er seine Suchmaschine technisch optimieren wolle und Missbrauch, etwa Manipulation bei den Suchergebnissen durch Spammer, verhindern müsse. Doch warum es dazu anderthalb Jahre der Sammlung persönlicher Details von jedem Nutzer bedarf, will man nicht erklären. Bei YouTube selbst sieht es ähnlich aus: Warum muss die Suchmaschine jedes einzelne angesehene Video in seiner Datenbank dokumentieren?

Die Antwort ist leicht: All diese Daten helfen dabei, den Verkauf von Onlinereklame zu optimieren. Zwar lehnt Google derzeit sogenannte Behavioral-targeting-Technologien ab, bei denen die vom Nutzer zuvor vorgenommenen Klicks durchs Netz die Anzeige passender Werbung bestimmen. Solche Technologien werden von der werbetreibenden Industrie jedoch immer stärker gefordert, um immer treffgenauer passende Kunden zu finden. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Google all seine Daten später genau hierfür verwenden will.

Auch wer weder Google als Suchmaschine nutzt noch sich auf Google-Angebote wie YouTube oder Google Mail einlässt, entkommt dem Internetkonzern im Netz nicht. Seit Jahren verkauft Google bereits Werbung auf Millionen unabhängiger Websites. Auch hier wird die Einblendung wiederum mit IP-Adresse erfasst. Hinzu kommt eine Statistiksoftware namens "Google Analytics". Diese wurde laut Schätzungen auf bis zu 80 Prozent der großen Medienangebote in Deutschland installiert, damit Anbieter die erfolgten Zugriffe zählen können. Und auch sie erfasst Nutzeraktionen, die in Googles Datenbank landen.

Natürlich trifft auch die vielen Nutzer eine Mitschuld, haben sie sich doch bislang an der Speicherwut nicht weiter gestört. Der Internetkonzern hat folglich bis dato keinen echten Anreiz, etwas zu verändern. Entsprechend feiert er schon kleinste Verbesserungen (so erfasste man vor Einführung der 18-Monats-Speicherung die Daten sogar unbegrenzt) als großen Datenschutzerfolg. Als die Telekom-Affäre durch den Blätterwald rauschte, wurde der Schutz der Privatsphäre für einen flüchtigen Augenblick zum Politikum, um dann allerdings rasch wieder unter den Teppich gekehrt zu werden. Müssen also erst Suchhistorien bei Kriminellen landen, damit etwas passiert? Vielleicht würde sich dann endlich ein Problembewusstsein formieren. Denn das, was wir bei Google & Co. eintippen, definiert - je mehr von unserem Leben ins Netz wandert - immer stärker uns selbst. Konzernen einen solchen Datenberg anzuvertrauen, ist daher nicht nur naiv, sondern es ist schlicht gefährlich.

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