Debatte Internationaler Strafgerichtshof: Dämpfer in Den Haag

Nach neun Jahren erlebt der Internationale Strafgerichtshof seinen ersten Schuldspruch. Er ist damit auf dem Boden der Tatsachen gelandet – was heilsam und gut ist.

Prominenter Besuch: Angelina Jolie als Prozessbeobachterin bei der Urteilsverkündung gegen Thomas Lubanga. Bild: dpa

Die UN-Menschenrechtskommissarin Navy Pillay sprach von einem „Meilenstein“, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von einem „deutlichen Zeichen“: Historisch ist das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofes gegen den kongolesischen Warlord Thomas Lubanga zwar durchaus zu nennen, war es doch sein erster Schuldspruch. Doch von Gerechtigkeit, zumal von „Gerechtigkeit rund um den Globus“, kann keine Rede sein.

Neun Jahre nach der Schaffung des Weltstrafgerichts, sieben Jahre nach Lubangas Festnahme und sechs Jahre nach Prozessbeginn wurde vielmehr ein Angeklagter verurteilt, der wohl auch für Massenvergewaltigungen und Massaker verantwortlich ist, also für viel erheblichere Verbrechen als den Einsatz von Kindersoldaten, der jetzt zur Aburteilung führt.

Mit der Höchststrafe von 30 Jahren muss zudem nun ein Angeklagter rechnen, von dem viele meinen, er sei ein „kleiner Fisch“, ganz andere, nämlich die Hintermänner in den Regierungen Ugandas und Ruanda, hätten vor Gericht gehört. Und schließlich ist Lubanga einer von vierzehn ausschließlich afrikanischen Angeklagten in Den Haag, sein Prozess wurde durch Fehler der Anklagebehörde um längere Zeit verzögert.

Das hört sich nach einem justiziellen Debakel an. Doch der Schuldspruch gegen Lubanga kann auch anders gedeutet werden: Nach fast 15 Jahren voller Festreden darüber, dass der Strafgerichtshof überhaupt geschaffen wurde, ist er nun für die gesamte Weltöffentlichkeit erkenntlich auf dem Boden der Tatsachen gelandet.

Erstens: Die Serie von kriegerischen Konflikten im Kongo unter Beteiligung mehrerer Staaten und von über zwei Dutzend Milizen kostete in den letzten anderthalb Dekaden mehr als fünf Millionen Menschen das Leben, Abertausende von Frauen wurden vergewaltigt, die gesamte Region mehrfach zerstört und immer wieder ausgeplündert.

Angesichts dieser Dimension von Unrecht kommt jede strafrechtliche Reaktion nicht nur zu spät, sondern kann dem Geschehen niemals gerecht werden. Dennoch haben seit den Nürnberger Prozessen Strafverfahren immer wieder Resultate erbracht, die den betroffenen Gesellschaften bei der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Verbrechen nützlich waren.

Ausschließlich Afrikaner angeklagt

Zweitens: Ja, es sind bisher nur Afrikaner in Den Haag angeklagt. Doch weder der Chefankläger noch das Gericht sind verantwortlich dafür, dass dort die schwerwiegendsten Verbrechen der letzten Jahre begangen wurden, die Mehrheit afrikanischer Staaten das Statut für den Gerichtshof unterzeichnet hat – im Gegensatz zu Regierungen aus anderen Teilen der Erde, die für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.

Da auch der UN-Sicherheitsrat nur in den beiden Fällen Sudan-Darfur und Libyen seine Macht genutzt und Den Haag für zuständig erklärt hat, unterliegen viele der im vergangenen Jahrzehnt begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gar nicht der Jurisdiktion des Gerichts. Ungeachtet dessen hätten es viele Menschenrechtsorganisationen begrüßt, wenn wegen der Kriegsverbrechen der Paramilitärs in Kolumbien und von Großbritannien im Irak ebenfalls Ermittlungen eröffnet worden wären.

Drittens: Auch die Auswahl der Angeklagten ist für Den Haag schwieriger als damals in Nürnberg, als die Alliierten Deutschland besiegt und besetzt hatten und Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher und Nazi-Eliten in Nürnberg führen konnten. Über eine eigene Exekutive verfügt das Gericht nicht – und weder Kongo noch Uganda oder Ruanda würden mächtige Verdächtige nach Den Haag ausliefern, es sei denn, diese Länder würden sich großen politischen Nutzen davon versprechen.

Das Weltgericht ist daher abhängiger von den Staaten, als es einem unabhängigen Gericht lieb sein könnte. Die Zuständigen in Den Haag müssen jetzt Antworten darauf geben, wie ihre Anklagepolitik nach Lubanga aussehen wird und vor allem, wie man dies in der betroffenen Region kommunizieren will.

Überzogene Erwartungen

Viertens: Dass derartige Strafverfahren vor allem für die Geschädigten unerträglich lange dauern und sie zudem Millionensummen kosten, muss nicht nur im Kongo den Menschen erklärt werden. Das Zusammentragen von Beweisen in fernen Konfliktgebieten ohne eigene Ermittlungsbehörden und in ständiger Unsicherheit ist mehr als mühsam. Zumal wenn man die Rechte der Angeklagten und ihrer Verteidigung auf ein faires Verfahren beachten will. Doch die Alternative wären politische Schauprozesse.

Deswegen ist es nur zu begrüßen, dass das Gericht der Anklagebehörde rechtliche Grenzen beim Umgang mit Beweismitteln gesetzt haben. Die Ankläger wollten der Verteidigung aus „Opferschutzgründen“ nur beschränkten Umgang zu belastenden Beweisen einräumen, mussten diese Praxis jedoch ändern. Im schriftlichen Urteil problematisiert das Gericht zudem den Einsatz von „intermediaries“, also von Mittelsleuten, die vor Ort Zeugen und Beweismittel gesucht hatten, als rechtsstaatlich fragwürdig. Damit wurde gleich im ersten Verfahren klargestellt, wie wichtig dem Gericht die Achtung von juristischen Standards ist.

Es ist gut, dass die Zeiten der berechtigten Freude über die Schaffung des Weltstrafgerichts vorbei sind und die vollkommen überzogenen Erwartungen gedämpft werden. Der Anfang wurde gemacht. Nun gilt es für das Gericht, eine pragmatische und effiziente Herangehensweise an Menschheitsverbrechen zu entwickeln und die vielen Skeptiker zu überzeugen.

Den Haag wird dazu allerdings die Unterstützung der Nationalstaaten benötigen: derer, die wie die USA bisher gänzlich abseitsstehen, der Finanziers und derer, die Verdächtige beherbergen, und sei es nur für einen Staatsbesuch. Dem weltweiten Vertrauen in eine internationale Strafjustiz würde es zudem erheblich dienen, wenn auch die westlichen Staaten einmal beginnen würden, ihre eigenen Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen – dazu benötigte man noch nicht einmal Den Haag. Denn in Washington, London und Berlin stehen auch Gerichte.

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