Debatte Islam in Deutschland: Hass und leiser Zuspruch

Eine neue Gemeinde in Berlin zeigt, wie ein progressiver Islam aussehen könnte. Einer, der die Tabus der muslimischen Welt offensiv angeht.

Eine Frau in weißem Gewand legt einen Gebetsteppich in der Moschee bereit

Initiatorin Seyran Ateş bei der Eröffnung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee Foto: dpa

Gerade einmal 25 Mitglieder hat sie und keine eigenen Räume. Die neu eröffnete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee ist in der evangelischen St.-Johannis-Kirche im Berliner Stadtteil Moabit untergebracht. Kein Vergleich mit großen Moscheebauten mit mehreren hundert Mitgliedern, die ganze Stadtbilder prägen. Und doch hat sie in den letzten Wochen internationale Berühmtheit erlangt.

Der leise Zuspruch von vielen Muslimen und der große aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft, aber auch Drohungen und Schmähkritik von orthodoxen Muslimen geben in mehrfacher Hinsicht zu denken.

Das Besondere an der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee: Sie hat eine weibliche Vorbeterin. Ähnlich wie bei orthodoxen Juden ist das für orthodoxe Muslime undenkbar. Hinzu kommt, dass die Moschee offen sein will für alle, die sich in herkömmlichen Moscheegemeinden nicht willkommen fühlen. Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender, Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis und Nichtmuslimen steht die Moschee gleichermaßen offen. Frauen und Männer beten zusammen, nicht räumlich voneinander getrennt wie in konventionellen Moscheen. Frauen tragen dabei nicht zwingend ein Kopftuch.

Ähnliche Gemeinden gibt es bereits in London, Paris, Toronto, New York, Kapstadt oder in Australien. Ihre Zahl nimmt weltweit zu. Sie bezeichnen sich als liberal, inklusiv, progressiv oder LGBT-freundlich. Ihre Gründung wird vielfach begleitet von Hassmails und Drohungen vonseiten fundamentalistischer Muslime.

Probleme öffentlich ansprechen

Seyran Ateş von der Berliner-Moschee steht derzeit wegen Mordrohungen unter Polizeischutz. Die oberste türkische Religionsbehörde Diyanet hat ihre Gemeinde sogar der in der Türkei als Terrororganisation eingestuften Gülen-Bewegung zugerechnet. Die oberste Religionsbehörde in Ägypten wiederum stört, dass Männer neben Frauen ohne Kopftuch beten und das Gebet von einer Frau geleitet wird.

Der neuen Gemeinde kann man nur das Allerbeste wünschen. Mehr davon muss es geben! Mehr inklusive und progressive Gemeinden, die Frauen selbstverständlich als religiöse Autoritäten akzeptieren. Und noch anderes mehr: Muslime brauchen eine kritisch-historische Auseinandersetzung mit dem Glauben, öffentliche Aussprachen unter den Mitgliedern, die Zweifel und abweichende Meinungen Einzelner zulassen, ohne dass Gläubige gleich unter Blasphemieverdacht stehen.

Muslime brauchen eine Religion, die Krisen aufgreift und Wege aus der Erstarrung zeigt

Die rigide Sexualnormen aufbricht, Homosexualität und den weit verbreiteten Sex vor der Ehe enttabuisiert. Sie brauchen eine Religion, die die aktuellen Krisen der muslimischen Welt aufgreift und ihr Wege aus der Erstarrung zeigt.

Muslime auch in Deutschland müssen diese Probleme öffentlich und ohne Scham ansprechen. Häufig ist zu hören: Es gibt sehr viele liberale Muslime hierzulande. Doch sie schweigen vielfach – aus Angst. Bleibt zu wünschen, dass die schweigende Mehrheit der Muslime mehr Mut zeigt und den öffentlichen Raum nicht den Salafisten oder anderen Fundamentalisten überlässt.

Viele argumentieren: Die Fundamente des Islam sind unveränderbar. Ob die angesprochenen Probleme sich aus dem Islam oder, wie muslimische Frauenrechtlerinnen behaupten, aus dem Patriarchat her­leiten, ist umstritten. Öffentlicher Streit und gewaltfreie Debatten müssen aber möglich sein. Das ist im Christentum oder im Judentum nicht anders.

Wichtige integrative Arbeit im Stillen

All das muss von den Muslimen selbst kommen. Was die deutsche, christlich geprägte Öffentlichkeit auf gar keinen Fall tun sollte, ist eine Einteilung in gute liberale und schlechte konservative Gemeinden vorzunehmen. Auch wenn liberale wie die in Berlin-Moabit wie ein Bollwerk gegen in der Mehrheitsgesellschaft unbeliebte islamische Strömungen wirken: Es wäre kontraproduktiv, sie zu instrumentalisieren und gegen die konventionellen Gemeinden auszuspielen.

Tatsächlich muss man den Blick erweitern: Die allermeisten herkömmlichen Moscheegemeinden leisten im Stillen wichtige integrative Arbeit – auch im Hinblick auf muslimische Flüchtlinge. In ihren Reihen gibt es Menschen, die häufig eine Brückenfunktion zur Mehrheitsgesellschaft übernehmen, indem sie mit ihren christlichen Nachbarn in Dialog treten. Diese Funktionäre sind häufig Ansprechpersonen für Politiker und die übrige Öffentlichkeit.

In den islamischen Fakultäten an deutschen Universitäten studieren derzeit viele deutsche Muslime – darunter viele aus konservativen Familien. Sie werden voraussichtlich Schlüsselposi­tio­nen beim Aufbau einer modernen muslimischen Wohlfahrt, als Seelsorger, Gemeindevorsteher und Experten für eine zeitgemäße wissenschaftlich fundierte Neuinterpretation der Religion innehaben. Fehlt die Wertschätzung für diese Beiträge zur Gesellschaft, ist die Frustration bei vielen Muslimen verständlich.

Es ist nun einmal so: Alteingesessene Migrantencommunitys sind weltweit mehrheitlich konservativ. Konservatismus ist aber kein spezifisch muslimisches Phänomen. Die Einzelnen richten sich, wenn sie denn den Normvorstellungen halbwegs entsprechen, in der als eigen empfundenen Gemeinde ein. Ultrakonservative schotten sich gar ganz ab. Schwierig wird dann der Verbleib für Menschen, die eigene Wege gehen wollen oder müssen.

Islamisierung von Problemen

Der Islam, seine negative Wahrnehmung in Deutschland und die damit einhergehende Abschottungstendenzen bei vielen Muslimen sind nicht zuletzt Produkt einer „Islamisierung“ des Migrantendiskurses.

War früher „der Gastarbeiter“, „der Türke“, „der Ausländer“ derjenige, auf den alles Problematische in der Gesellschaft insbesondere in Krisenzeiten projiziert werden konnte, so sind es heute „die Muslime“. Man denke an Stichworte wie: islamistischer Terrorismus, Ehrenmorde, Unterdrückung von Frauen und Hass auf Homosexuelle.

Bleibt nur eins: Die über Jahre hinweg einseitige negative Fokussierung auf die Muslime aufzugeben und den Blick stattdessen positiv auf die innermuslimische Vielfalt und die Stärken muslimischer Gemeinden zu richten. Und nicht zuletzt, andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften endlich angemessen wahrzunehmen: Hindus, Buddhisten, Konfes­sions­lose oder Juden sind auch noch da in Deutschland.

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