Debatte Islamkritik: Paranoia und Polemik

Jeder Terrorist hat seine Stichwortgeber. Doch die Islamgegner weichen der Debatte über ihre Rolle aus - und stilisieren sich zum Opfer.

Wer, wie der rechtspopulistische Verein Pro Köln, gegen Moscheeneubauten demonstriert, muss kaum damit rechnen, von einer Rasterfahndung erfasst zu werden. Bild: ap

Seit dem Attentat von Norwegen stehen manche hauptberuflichen "Islamkritiker" nun selbst in der Kritik. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, inwieweit ihre antimuslimische Weltsicht auch den Mörder von Oslo geleitet hat - immerhin berief sich Breivik, um seinen Wahn zu rechtfertigen, in seinem "Manifest" auf einschlägig bekannte Islamgegner wie den Blogger "Fjordman" oder Henryk M. Broder.

Broders Buddies wie Matthias Matussek und Jan Fleischauer und seine neuen Kollegen bei der Welt mühen sich seither nach Kräften, diese Debatte zu unterbinden, indem sie wortreich eine "scheinheilige Sympathisantenjagd" oder gar "Denunziation" beklagen. Aber auch in der taz finden sich Stimmen wie die von Albrecht von Lucke (am 29. 7.) und Tania Martini (am 6. 8.), die davor warnen, Leute wie Broder und Sarrazin mit Blick auf Oslo als "geistige Brandstifter" zu bezeichnen. Sie alle vergessen dabei nicht, auf die Verheerungen der deutschen Debatte um den RAF-Terror in den 70er Jahren zu verweisen, als Linke und Liberale wie Heinrich Böll von Staat und Springer-Presse als "geistige Brandstifter" und RAF-"Sympathisanten" denunziert worden waren: So etwas solle sich doch bitte schön nicht wiederholen.

Dieser Vergleich hinkt allerdings nicht nur, er zeugt auch von einer erstaunlichen Geschichtsvergessenheit. Denn natürlich braucht jeder Terrorist seine Hassprediger, Stichwortgeber und ein geistiges Umfeld von Gleichgesinnten, die ihm den argumentativen Boden bereiten, um seine Taten zu rechtfertigen - das gilt für den radikalen Islamismus und den Rechtsextremismus genauso, wie es einst für den Terror von links galt.

Die Sympathisanten der RAF

Außer Frage dürfte heute stehen, dass die "Sympathisantenjagd" des Establishments auf die Linke in den 70er Jahren oft hysterisch und maßlos war. Völlig unbegründet aber war sie nicht. Denn in der deutschen Linken gab es ja durchaus Unterstützer und Sympathisanten, die - wie der berüchtigte "Mescalero" aus Göttingen einst bekannte - die Morde der RAF-Terroristen mit "klammheimlicher Freude" verfolgten. Vor allem aber begründete die RAF ihren Terror mit einer "Analyse" der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik, mit der sie beileibe nicht alleine stand.

Nicht wenige Linke glaubten in den späten 60er- und 70er Jahren tatsächlich, eine Rückkehr des Faschismus stünde unmittelbar bevor. Ein führender Intellektueller wie Hans Magnus Enzensberger wollte aus diesem Grund sogar Richtung Kuba emigrieren, kehrte aber bald wieder ernüchtert zurück, während andere in ihrer Paranoia bald in jedem Straßenbahnschaffner einen "Faschisten" sehen sollten. Die RAF griff diesen Diskurs jener Zeit nur auf und radikalisierte ihn.

Islam als neuer "Faschismus"?

Heute dagegen setzen populistische "Islamkritiker" wie Alice Schwarzer, Leon de Winter, Ralph Giordano und Necla Kelek den Islam gerne mit dem Rechtsextremismus oder gleich dem Faschismus gleich, während es Henryk M. Broder offenbar schon als "Appeasement" betrachtet, wenn Muslime hierzulande als gleichberechtigte Bürger behandelt werden, die sogar Moscheen bauen dürfen.

Diese ehemaligen Linken haben ihren Frieden mit der Bundesrepublik gemacht, doch dem Schwarz-Weiß-Denken sind sie treu geblieben - nur, dass ihr Feind inzwischen sein Erscheinungsbild gewechselt hat. Unnötig zu sagen, dass diese Sorte "Islamkritiker" nicht groß zwischen Islam (der Religion) und Islamismus (der Ideologie) unterscheidet, erst recht nicht zwischen deren gewaltfreien und gewalttätigen Variante, das wäre ihnen alles viel zu kompliziert.

Bei Bloggern wie "Fjordman" oder Publizistinnen wie Bat Yaor ist aus dieser Vulgärkritik am Islam längst ein geschlossenes Weltbild geworden. Überall wittern sie eine Verschwörung mit dem Ziel, den Westen zu unterwandern. Ihre antimuslimische Paranoia gipfelt in der Vision einer "Islamisierung" unseres Kontinents zu "Eurabien".

Solche Dummheit ist nicht strafbar, aber gefährlich, denn rechte Parteien in Europa haben dieses Argumentationsmuster längst dankbar aufgegriffen. Geert Wilders nennt den Koran ein "faschistisches Buch", das er am liebsten verbieten lassen möchte. Marine Le Pen verglich gläubige Muslime in Frankreich mit den deutschen Besatzungstruppen, die einst das Land okkupierten. Ist es da so verwunderlich, dass sich da irgendwann mal einer zum aktiven "Antifaschismus" aufgerufen sieht - und die Sache gleich selbst in die Hand nimmt?

Erstaunliche Weinerlichkeit

Natürlich ist Broder damit noch lange nicht schuld am Terror von Oslo - so wenig wie Enzensberger einst "schuld" war am Terror der RAF. Aber es sollte doch erlaubt sein darauf hinzuweisen, wo zwei Menschen dieselbe Weltsicht verbindet, auch wenn sie unterschiedliche Konsequenzen daraus ziehen. So etwas als "Sympathisantenjagd" zu bezeichnen, wie es jetzt manche tun, zeugt von einer bemerkenswerten Weinerlichkeit. Denn anders als zu Zeiten der RAF-Hysterie, mussten Islamgegner bislang weder unter Radikalenerlass noch unter Rasterfahndung leiden.

Oder wurden die christlichen Kirchen dazu aufgefordert, sich von Breivik zu distanzieren, der sich doch auf ihren Glauben berief? Hat der Innenminister eine "Christenkonferenz" einberufen, um mit ihnen eine "Sicherheitspartnerschaft" gegen Radikale in ihren Reihen einzugehen? Wurden die ersten Hassprediger von der FPÖ, der Front National oder der Geert-Wilders-Partei bereits nach Guantánamo ausgeflogen? Nein, nichts von alledem. Der Verfassungsschutz hat es bislang nicht einmal für nötig befunden, eine krasse antimuslimische Hetzseite wie "Politically Incorrect" auch nur zu beobachten.

Umgekehrt gilt, dass es in den letzten zehn Jahren eine Menge Gelegenheiten gegeben hätte, sich für den Rechtsstaat, gegen die Generalverdächtigung einer Minderheit und für die Meinungsfreiheit von Andersdenkenden einzusetzen. Doch in all dieser Zeit war von den Islamgegnern wenig zu hören - und wenn, dann das falsche. Sich jetzt zum Opfer einer "Gesinnungshatz" zu stilisieren, ist da einfach nur lächerlich.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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