Debatte Italien: Alter, go home!

Die Berlusconi-Generation 50+ hat das Land zum Absturz gebracht. Wer eine neue Arbeits- und Lebenswelt will, muss sie zum Teufel jagen.

Das Land mit alten Männern vollgepflastert: Silvio Berlusconi. Bild: reuters

Die aktuelle italienische Debatte um die Deregulierung der Arbeitswelt, die auch von Deutschland und der EU gefordert wird, dreht sich wesentlich um den Paragrafen 18 des Strafgesetzbuches. Die Regierung Monti will den Kündigungsschutz für Betriebe ab 15 Angestellten aufweichen.

Was sich als Konflikt zwischen den Rechten abhängig Beschäftigter und Forderungen von Politik und Unternehmern präsentiert, ist in Wirklichkeit komplexer: Es geht nicht so sehr um „Klasse“, sondern vor allem ums „Alter“.

Der Paragraf 18 hat nämlich Bedeutung im Wesentlichen nur für die Gruppe der 50-, 60-Jährigen – für die sich auch schon ein eigenes Kürzel in der Diskussion etabliert hat: „C/S“ (Cinquanta/Sessantenni).

, geboren 1974 in Bari/Apulien, ist Schriftsteller und Soziologe. Zuletzt erschien ein Interviewband zum Nachleben des Berlusconi-Regimes. Für Liberazione und Il Manifesto schrieb er Reportagen aus Tunesien.

Wer zu dieser Generation zählt, verfügt zumeist über einen zeitlich unbegrenzten Arbeitsvertrag mit der Perspektive auf eine Rente, auf die man zwar lange warten muss, die aber sicher ist. Für die 30-, 40-Jährigen hingegen existieren mehr als 40 verschiedene Vertragsformen – und auch für sie gibt es schon ein Label: T/Q (Trenta/Quarantenni).

Degeneriert und ungebildet

Der Exzess von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen hemmt das Entwicklungspotenzial der italienischen Gesellschaft: Die Generation der 50-,60-Jährigen hält ein Übermaß an Macht in den Händen, ohne dabei über die nötigen Kompetenzen zu verfügen, das Land aus der Krise zu führen.

Als sie ihr Arbeitsleben begannen, boomte Italien wie noch nie zuvor. Die C/S bekamen ihre Jobs in Schule und Universität, in Verwaltung und Privatwirtschaft oft ohne Hochschulstudium, ohne Ausschreibung, ohne Eignungstests. Die Vorgesetzten, die sie einstellten, waren vor allem daran interessiert, sich eine treue Klientel zu verschaffen.

Gleichzeitig sind die die C/S Protagonisten der Revolten von 1968 und 1977. Aus der Liberalisierung der Gesellschaft wurde schnell die Liberalisierung des Konsumverhaltens, aus der befreiten Sexualität der Sex als Tauschware, mit der sich Einfluss und Aufstieg kaufen ließen. Als weiteres typisches Merkmal der modernen italienischen Gesellschaft etablierten die C/S das System der „tangenti“, also der planmäßigen Bestechung, um sich öffentliche Aufträge zu sichern. Die C/S waren die Protagonisten des Berlusconi-Regimes, haben die Parteien entwertet, den Rechtsstaat ausgehöhlt und ein korruptes, informelles Mafiasystem etabliert.

Sie haben das große Potenzial Italiens, die Schönheit seiner Städte und Landschaften, durch Betonwüsten ersetzt, sie haben alle Bereiche der Kultur und Unterhaltung – angefangen beim Fernsehen bis zum Kino, der Literatur, den bildenden Künsten und sogar den Sport – zu Branchen der reinen Prostitution erniedrigt.

Neben Prominenten wie Fiat-Boss Marchionne stehen für die Degeneration dieser Altersklasse die Chefs der politischen Parteien in Italien und die Spitzenmanager der Konzerne und großen Banken. Kurz gesagt: Die größte und dank des historischen Moments einfach zu erlangende Machtkonzentrierung überhaupt liegt in den Händen einer faulen und inkompetenten Generation.

Die neue Moral der Jungen

Im Gegensatz dazu stellen die unter 40-Jährigen (T/Q) die letzte Generation, die an Universitäten ausgebildet wurde, die noch nicht durch sogenannte Bildungsreformen geschwächt waren. Im Arbeitsleben besetzen die T/Q meist untergeordnete Positionen, auf denen sie inhaltlich wesentlich zur Innovation beitragen. Es sind diese prekär beschäftigten Spezialisten, die Italien am Laufen halten.

Sie bekommen keine Kredite, um sich selbstständig machen zu können, sie können sich weder Haus noch Wohnung kaufen, für sie scheint es in den urbanen Zentren überhaupt keinen Platz zu geben. Das Einzige, was sie haben, ist das Erbe der C/S: ein kaputtes Land und die Aufgabe, es wieder aufzubauen. Aber wie?

Die Psychologie der Altersklasse T/Q ist komplex. Sie würden gern Familien gründen, können es aber nicht. Sie haben nichts außer ihren Ideen. Doch in Italien ist der Markt der Ideen seit Langem einer kulturfeindlichen Hegemonie unterworfen, es bleibt nur entweder der „brain drain“ oder die erbitterte Opposition gegen die C/S.

Während diese immer noch den (weiblichen) Körper ausschlachten, versuchen die T/Q eine andere Moral zu etablieren. Die C/S sind die eifrigsten Konsumenten der Prostitution in Italien, die T/Q sind auf der Suche nach Liebe. Die C/S demonstrieren nicht mehr – warum auch: Sie sitzen sicher und gut in ihren Konsumentensesseln; die T/Q werden von Polizisten zusammengeschlagen, weil sie öffentlich Würde und Respekt einfordern.

Selbst die Mafia ist dabei

Der eigentliche Konflikt aber zwischen den Generationen dreht sich um die Demokratie. Das Erbe des Antifaschismus und der „Resistenza“ haben die C/S ausgeschlagen zugunsten einer gelenkten TV-Demokratie auf Quizniveau.

Vom Widerstand gegen den G-8-Gipfel in Genua bis zu den aktuellen Kämpfen gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke im Piemont („No-Tav“) – die Antwort der C/S ist immer der Polizeiknüppel. Die C/S sind ein gewalttätiges Kartell, das in der neuen Ära der globalisierten Demokratie anachronistisch wirkt. Und es ist kein Zufall, dass mit dem Sturz Berlusconis die Schwäche dieser Alten offenbar geworden ist.

Die italienischen Universitäten sind geistig verwaist, die Massenmedien haben das Thema für sich entdeckt, die jungen Arbeiter in den Fabriken streiken, die Parteien vergreisen vollends. Sogar die Camorra lebt in blutigen Mafiakriegen diesen Kampf zwischen Jung und Alt aus – wie auch die klassische italienische Familie: Der Konflikt zwischen Vater und Sohn ist nicht mehr abstrakt. Es geht ums Materielle, ums Geld.

Wenn die C/S ihren ruhigen Lebensabend retten wollen, dann müssen sie sich jetzt aus dem Arbeitsleben zurückziehen. Sonst wird, was man früher einen Klassenkonflikt nannte, in voller Härte als Generationenkonflikt aufbrechen; wird das T/Q-Proletariat die Reihen schließen, um gleiche Rechte auf dem Arbeitsmarkt einzufordern und die unfähige und ungebildete C/S-Aristokratie zum Teufel jagen.

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