Debatte KP-Kongress in China: Kongress der Milliardäre

Im November beginnt der Parteitag der Kommunistischen Partei in China. Vom Kommunismus sind nur der Name und die straffe Organisation geblieben.

Symbolakrobatik: Hammer und Sichel sind nur noch Logo der „China GmbH“. Bild: dpa

Vor der Kasse des Bookworm-Cafés im Osten Pekings, wo sonst die neuesten Bücher über Chinas Politik, Wirtschaft und Geschichte ausliegen, ist die Auswahl seit Kurzem deutlich ausgedünnt. Jetzt sind hier nur noch Stapel von Notizbüchern, Kalendern und Kochbüchern zu sehen. „Wir mussten ein bisschen umräumen“, sagt die Kassiererin, „wenn der Parteitag vorbei ist, dann können wir sicher wieder normal verkaufen.“

Der Grund für das „bisschen Umräumen“: Am 8. November, zwei Tage nach den Präsidentschaftswahlen in den USA, beginnt in Peking das Topereignis im politischen Kalender Chinas. Rund 2.000 Delegierte aus dem ganzen Land treffen sich zum 18. Nationalen Parteikongress, und in solchen Zeiten sollte man im Buchladen nicht mit provozierender Literatur auffallen. Das hat auch der Kontrolleur angedeutet, der kürzlich vorbeikam. Hat nicht die Regierung von KP-Chef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao die „Wahrung der Stabilität“ zur dringendsten Aufgabe erklärt?

Dabei gehört es zweifellos zu den großen Erfolgen des Hu-Wen-Teams, dass sie das wichtigste Ziel ihrer Amtszeit erreichen konnten. Sie haben nicht nur die KP vor dem Auseinanderbrechen bewahrt, sondern sie zugleich in eine Organisation verwandelt, die ein einzigartiges System des Staatskapitalismus managt: die China GmbH. Die Volksrepublik ist inzwischen zweitgrößte Wirtschaftsmacht und zweitstärkste Exportnation der Welt, hat enorme Devisenreserven aufgehäuft, nebenbei noch ein Raumfahrtprogramm aufgebaut. Millionen ihrer Bürger reisen heute ins Ausland.

Und doch ist das politische Klima in China von starker Unsicherheit und Nervosität geprägt. Die jüngsten Enthüllungen über das mafiöse Treiben des gestürzten Politbüromitglieds Bo Xilai und seiner Frau Gu Kailai, die einen englischen Geschäftsfreund ermordet und Millionen Dollar nach Übersee transferiert haben soll, haben noch dazu beigetragen.

„Elite des Landes“?

Trotz aller Zensur und Filter erfahren die Chinesen täglich per Handy und Internet über Affären, in die hohe Funktionäre und ihre Kinder verwickelt sind, und von Leuten, die sich mit Schwarzgeld ins Ausland abgesetzt haben. So verbreiten sich auch die Bilder von Umweltskandalen, Polizeiwillkür und von gewaltsamen Protesten gegen illegale Enteignungen.

Wenn der Vorhang zum Parteitag aufgeht, sieht das Publikum nur einen winzigen Ausschnitt jener Organisation, deren 82 Millionen Mitglieder sich als Elite des Landes betrachten und die über allen Staatsinstitutionen steht. In ihrem Zentrum sitzt die Organisationsabteilung, die alle Kaderakten führt – das größte Personalbüro der Welt. Wer jetzt die höchsten Ränge in der Parteihierarchie erklimmt, wird im Frühjahr 2013 neuer Staatspräsident, Chef des Nationalen Volkskongresses oder Premierminister.

In diesem Jahr tritt eine ganze Generation ab: Parteichef Hu Jintao (69) übergibt seinen Posten voraussichtlich an den 59-jährigen Xi Jinping. Im innersten Zirkel der Macht, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, sollen sieben der bisher neun Mitglieder abgelöst werden. Dazu gehört auch Wen Jiabao (70), der noch bis zum kommenden März Regierungschef bleibt.

Als Hu und Wen auf dem 16. Parteitag vor zehn Jahren antraten, hofften viele, dass sie mehr Rechtssicherheit schaffen und mehr Freiheiten zulassen würden. Ihre Vorgänger hatten das alte System der Planwirtschaft gründlich reformiert und dabei Dutzende Millionen Arbeitslose in Kauf genommen hatte. Zugleich hatten sie China aus seiner Außenseiterrolle befreit, in die Welthandelsorganisation WTO geführt und den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhalten.

So krass wie vor der Revolution

Unter dem Motto „Die Menschen im Mittelpunkt“ und „Harmonische Gesellschaft“ versprachen Hu und Wen zu Beginn ihrer Amtszeit 2002, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Tatsächlich schafften sie die verhassten Bauernsteuern und die Gebühr für die Grundschule ab und schufen die Anfänge eines allgemeinen Sozialversicherungssystems. Zugleich sorgten sie mit ihren Wirtschaftsplänen dafür, dass die Staatsbetriebe gestärkt wurden, während die Gewerkschaften zahnlos blieben.

Doch obwohl die Durchschnittseinkommen ständig stiegen, ist die Kluft zwischen den Armen, der neuen Mittelschicht und einer Klasse von Superreichen heute so krass wie vor der Revolution 1949. Die reichsten 70 Delegierten des Volkskongresses sollen mittlerweile über ein Vermögen von 90 Milliarden Dollar verfügen.

In der Partei trauern viele nun den Zeiten Maos nach, in denen es – wie es die Geschichtsbücher ihnen vorlügen – keine Korruption und keine soziale Ungerechtigkeit gegeben habe und man als Parteifunktionär noch respektiert wurde. Der gestürzte Bo Xilai war so gefährlich geworden, weil er den Unzufriedenen mit seinem Mao-Populismus in der KP eine Stimme gab.

Nationalismus als ideologischer Kleister

Vom Kommunismus ist der Partei nur der Name und die straffe leninistische Organisation geblieben. Als ideologischer Kleister sind nationale Stärke und Patriotismus an seine Stelle getreten. Das macht den Streit mit den Nachbarn um ein paar Inselgruppen auch so gefährlich. Die Politiker in Peking haben Angst, vor der eigenen Bevölkerung als Schwächlinge dazustehen. Nur das Verhältnis zu Taiwan hat sich in den letzten Jahren gebessert.

Das größte Versäumnis von Hu und Wen: Sie hätten die Chance gehabt, rechtsstaatliche Institutionen zu schaffen, denen die Bevölkerung vertraut. Innerhalb und außerhalb der Partei gab es genug Chinesen, die Reformen und eine offene Debatte über die Zukunft forderten. Dazu gehört nicht zuletzt der inhaftierte Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Der hatte keineswegs ein abruptes Ende der KP, sondern einen friedlichen Übergang zu einem offeneren politischen System verlangt. Dazu gehören Angehörige der nationalen Minderheiten, die mundtot gemacht oder ins Gefängnis geworfen wurden.

Dass jetzt ein chinesischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis erhält, der sich den Künstlernamen „der Sprachlose“ gewählt hat, muss wohl als Ironie der Geschichte verstanden werden.

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Bis Anfang 2012 Korrespondentin der taz in China, seither wieder in der Berliner Zentrale. Mit der taz verbunden seit über zwanzig Jahren: anfangs als Redakteurin im Auslandsressort, zuständig für Asien, dann ab 1996 Südostasienkorrespondentin mit Sitz in Bangkok und ab 2000 für die taz und andere deutschsprachige Zeitungen in Peking. Veröffentlichung: gemeinsam mit Andreas Lorenz: „Das andere China“, wjs-verlag, Berlin

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