Debatte Kampf gegen den IS-Terrorismus: Barcelona ist überall

Die Anschläge in Spanien zeigen: Sicherheitsbehörden ist es kaum noch möglich, auf die dezentrale Strategie des IS zu reagieren.

Ein Mädchen mit langen Haaren steht, dem Betrachter abgewandt, vor einem Baum und blick auf die Kerzen, die um ihn herum aufgestellt sind

Der Schmerz ist derselbe, ganz gleich, ob der IS seinen Terror in Barcelona, Paris oder Berlin verbreitet Foto: dpa

Vieles an den Hintergründen des Terrorangriffs in Barcelona ist noch unklar. Im Moment sieht es nicht so aus, als hätte die Zentralorganisation des „Islamischen Staats“ (IS) viel zu Vorbereitung und Durchführung des Anschlags beigetragen. So ist es bei den meisten Angriffen der Terrororganisation in Europa. Trotzdem handelt es sich nicht einfach um die isolierte Tat einer Gruppe fehlgeleiteter junger Männer, die der IS nachträglich für sich reklamiert, sondern um einen Anschlag des IS selbst.

Dies liegt in der Strategie begründet, für die sich die IS-Führung vor drei Jahren entschied. Damals ging es darum, auf die Luftangriffe der von den USA angeführten Militärkoalition in Syrien und im Irak zu antworten. Der IS greift dabei auf die Gedanken des Al-Qaida-Theoretikers Abu Musab al-Suri zurück, der unter dem Eindruck der gewaltigen Übermacht, die die USA in den Jahren nach dem 11. September gegen al-Qaida entfesselten, einen Plan entwarf, wie der Dschihad unter diesen Bedingungen fortgesetzt werden könnte.

Klar war: Eine hierarchisch strukturierte Terrororganisation ist angesichts eines Gegners, der jedes Telefonat mithören und jeden Ort der Welt per Drohne erreichen kann, kaum überlebensfähig. Al-Suri suchte deshalb nach einer Methode, Anschläge zu verüben, die der Westen trotz seiner technologischen und militärischen Überlegenheit nicht verhindern kann.

Seine Idee bestand darin, organisatorische Zusammenhänge weitestgehend aufzulösen und den Terrorismus zu dezentralisieren. Kleine, autonome Zellen ohne Kenntnis voneinander sollten sich aufgrund eigener Radikalisierung und des Wunschs, am Kampf gegen den Westen teilzunehmen, bilden – und selbstständig zur Tat schreiten.

Al-Qaida-Strategie übernommen

Wo der nächste Anschlag verübt wird und auf welche Weise, ist für die Sicherheitsbehörden deshalb nicht vorherzusehen. Die Front bewegt sich überall dorthin, wo sich die nächste Zelle bildet. Allerdings muss es noch eine ideologische und strategische Verbindung zwischen den verschiedenen Zellen und ihrem Handeln geben, sonst bliebe es bei unzusammenhängenden Attentaten ohne politische Botschaft. Suri sah deshalb eine zentrale Komponente, einen „inneren Kreis“ vor, der für Propaganda, ideologische Rechtfertigung und Anleitung zuständig ist, aber an den tatsächlichen Planungen und Anschlägen wenig Anteil hat.

Der IS hat diese Strategie übernommen und an die technischen Möglichkeiten der Gegenwart angepasst. Seit September 2014, als der damalige Sprecher des IS, Abu Mohammad al-Adnani, einen Aufruf in die Welt schickte, den Kampf gegen die „Kreuzfahrer“ aufzunehmen – und sei es auch nur, indem man ihnen mit einem Stein den Schädel einschlägt oder sie mit dem Auto überfährt –, ruft die Organisation beständig dazu auf, Anschläge in westlichen Ländern zu begehen.

Wir müssen den Kampf

gegen den IS vor allem

mit dem Fokus auf

Personen führen

Per Video und Onlinemagazin wird zugleich Woche für Woche die Sicht des IS auf die Welt und den Konflikt mit den westlichen Staaten dargestellt, die Notwendigkeit extremer Gewalt begründet, und erfolgreiche Anschläge werden gefeiert. Für alles Weitere vertraut der IS auf das selbstständige Handeln seiner Anhänger.

Anschläge wie in Paris und Brüssel, für die der IS monatelang seine Truppen in Stellung gebracht hatte, sind die Ausnahme. Der Regelfall eines IS-Anschlags besteht schlicht darin, dass jemand den Ruf hört und in die Tat umsetzt: Gestern Manchester, heute Barcelona.

Kein Zweifel an der Urheberschaft

An Vorbereitung und Zielauswahl ist die Gruppe meist kaum beteiligt. Deshalb aber die Urheberschaft des IS in Zweifel zu ziehen verkennt die tieferen Überlegungen der Gruppe. Der dezentrale Dschihad erlaubt es dem IS, ohne eigenen organisatorischen Aufwand und ohne die Sicherheitsprobleme, die mit einer längeren und komplexeren Vorbereitungsphase verbunden sind, eine Terrorkampagne gegen westliche Länder zu führen. Wegen der primitiven Mittel, zu denen die Attentäter meist greifen, ergibt sich im Vorfeld kaum ein Hinweis auf Anschlagsplanungen.

Eine Weiterentwicklung von Suris Theorie ist das Begleiten von Attentätern im Vorfeld per Messenger-App. Die Zellen bilden sich autonom, versuchen dann aber per Internet Verbindung zur IS-Zentrale herzustellen. Gelingt dies, erfolgt der weitere Kontakt über einen verschlüsselten Messengerdienst.

Sofern es den Sicherheitsbehörden nicht bereits gelungen ist, sich Zugang zum Computer oder Smartphone eines Gefährders zu verschaffen, ist diese Kommunikation nicht mitzulesen. Die Botschaften, die der IS dabei versendet, reichen von einfachen Aufforderungen, möglichst bald irgendeinen Anschlag zu begehen, bis zu genaueren Instruk­tionen. Letzteres war offenbar bei dem kürzlich missglückten Versuch, in Sydney, eine Bombe in eine Passagiermaschine zu schmuggeln, der Fall.

Wir wissen noch nicht, ob und welche Kommunikation zwischen den Attentätern von Barcelona und IS-Planern stattgefunden hat. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass zumindest der mutmaßliche Anführer der Zelle, der Imam Abdelbaki E., Kontakt zur zentralen Organisation hatte. Spanien ist als Mitglied der Anti-IS-Koalition automatisch im Zielspektrum des IS.

Mehr Geld für Prävention

Al-Suri suchte nach einer Methode, die der Gegner nicht verhindern kann – und er hat sie gefunden. Solange es Menschen gibt, die die Propaganda des IS annehmen, wird es weiter Anschläge geben. Alles, was die Terrororganisation hierfür braucht, sind Freiwillige auf der einen Seite und einen Rechner mit Internetzugang auf der anderen, um den Aufruf zum Dschihad in die Welt zu senden.

An beidem wird es dem IS auch in den nächsten Jahren nicht fehlen, ganz unabhängig davon, was mit dem Kalifat passiert. Für die westlichen Demokratien bedeutet das: Wir müssen den Kampf gegen den IS vor allem mit dem Fokus auf Personen, auf potenzielle Attentäter führen – bei aller Notwendigkeit militärischer, nachrichtendienstlicher und polizeilicher Maßnahmen. Mehr Geld für Präventionsprogramme, eine regelmäßige unabhängige Evaluierung von deren Wirksamkeit und eine wirksame Koordination der verschiedenen Maßnahmen wären ein wichtiger Anfang.

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