Debatte Kommunismus: Opium für Andersdenkende

So weltfremd die kommunistische Parteien sind, der Antikommunismus, der ihnen entgegenschlägt, ist genauso ideologisch.

Geht man davon aus, das stimmt, was die meisten Kommentatorinnen und Kommentatoren in den vergangenen Wochen zur sogenannten Kommunismus-Debatte geschrieben haben, müsste Frankreich schon vor Jahren im Chaos versunken sein. Denn Wahl für Wahl stellen Kommunisten und Trotzkistinnen im Heimatland der Pariser Kommune Kandidatinnen und Kandidaten auf, und manchmal bekamen diese sogar ein beachtliches Ausmaß an Wählerstimmen. Dennoch ist es ihnen nicht gegeben, Frankreich zu unterwandern, es in eine Sowjetrepublik zu verwandeln oder den Marxismus-Leninismus zum Schulfach zu erklären.

Trotzig und zahnlos

Woran liegt das? Nun, die Kommunistinnen und Kommunisten in der Grande Nation sind zwar weitaus intellektueller als ihre deutschen Genossinnen und Genossen, auch haben sie sich gegen die nun schon viele Jahre zurückliegenden Debatten um Eurokommunismus oder Bürokratismus nicht so bockbeinig gewehrt, wie es die deutschen Parteiführer taten - und der Sowjetunion waren sie schon gar nicht so sklavisch ergeben. Trotzdem sind ihre Analysen zumeist weltfremd, sie folgen einer überkommenen Imperialismus-These, können den Faschismus nicht recht erklären und setzen - als Internationalisten! - der Globalisierung ganz ernsthaft den Nationalstaat entgegen.

Die Dummheit der Kommunisten aber ist, wie Ronald M. Schernikau zurecht eingewandt hat, kein Argument gegen den Kommunismus. Selbstverständlich wollen die heutigen kommunistischen Parteien "das System" zum Sturz bringen, nicht aber wie die heutigen Nationalsozialisten und Faschisten dabei wieder neue Lager errichten. Das Erschrecken vor dem stalinistischen Terror sitzt selbst in jenen tief, die man Stalinisten nennt, und wenn sie heute vor Kameras die Verbrechen der Stasi rechtfertigen, so ist das eher als Trotz zu verstehen und keinesfalls als Ausdruck des Willens, diese Verbrechen wiederholen zu wollen. Wenn ein "Stalinist" sich dennoch öffentlich auf Stalin beruft, zeigt dies vor allem den peinlichen Machthunger der Machtlosen.

Und machtlos sind die kommunistischen Parteien und Gruppen. Das "Volk", von dem die Kommunistinnen und Kommunisten so gern sprechen, interessiert sich nicht für den von ihnen propagierten Kommunismus, und auch die Arbeiterklasse kann so korrumpiert gar nicht sein, dass man damit ihr Desinteresse für die kommunistische Lehre der DKP oder der MLPD erklären kann. Sind also die Sozialdemokraten schuld?

Sicher sind gerade die deutschen Sozialdemokraten unerreichte Meister im Kampf gegen die eigene sozialistische Herkunft, dennoch ist der Fehler aufseiten der Kommunisten zu suchen. Liest man die Parteiorgane Rote Fahne oder UZ, fühlt man sich unangenehm von Dummheiten und Binsenweisheiten angegangen. Zu der doch sonst immer so gelobten Revolution in Tunesien oder Ägypten haben die Parteikommunisten aller Länder zu wenig zu sagen. Und die restlos Verblödeten, die mit Lenins fatalem Satz vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker" jeden Menschenrechtsbruch rechtfertigen, suchen ihr Heil tatsächlich im Islamismus und in amerikafeindlichen Diktaturen.

Warum die Abwehrreflexe?

Es gibt hierzulande nur sich selbst demontierende kommunistische Parteien, und ein paar kluge Kommunistinnen und Kommunisten, die in diesen Parteien kein Gehör finden. Diese haben Marx oder Lenin verstanden und kritisiert und verlassen sich mehr auf ihre Intelligenz als auf Parolen. Und es gibt neben ihnen Frau Lötzsch, die vom Kommunismus schwärmt, und dabei den Sozialismus der Sozialdemokratie meint. Dennoch bricht eine Debatte vom Zaun, deren Wesen es ist, möglichst schnell möglichst viele Linksintellektuelle zu versammeln, die sich möglichst deutlich vom Kommunismus distanzieren.

Warum aber lässt man den paar Marxistinnen und Kommunisten nicht ihre fünf Wählerinnen und Wähler? Die Heftigkeit der Debatte und die harschen Abwehrreflexe beweisen den totalen Sieg des Antikommunismus, der nicht etwa ein moralischer Reflex von Demokratinnen und Demokraten ist, sondern seinerseits eine Ideologie. Der Kommunismus ist nie so stark gewesen, wie der Antikommunismus glauben macht, und der "innere Feind des Systems", von dem der Antikommunismus ausgeht, ist so machtlos und so selbstvergessen, dass die Anhänger des Parlamentarismus gut schlafen können.

Schlaft gut!

Der Antikommunismus aber redet von einer Unterwanderung durch eine böse dunkle Macht, einzig, um die, die davor Angst haben, zu einer Gemeinschaft zusammenschwören zu können, die den Eliten gehorcht. Jeder wilde Streik, jedes Aufmucken von Nichtprivilegierten wird mit dem Verweis auf die kommunistische Gefahr und auf die Verbrechen des Realsozialismus diskreditiert. Nicht zuletzt liberale Linke helfen anschließend dabei, diese Fälle von Renitenz wieder in die Obhut der Gewerkschaften, der Kirchen oder der Sozialgerichte zu bringen, in denen sich der Protest bald zu einem undurchschaubaren Für-und-Wider wandelt.

Der Antikommunismus sorgt dafür, dass jeglicher Widerstand und jeglicher Protest institutionalisiert wird, nicht durch Berufsrevolutionäre, sondern durch - benutzen wir das Wort ruhig einmal - erfahrene Agenten der Konterrevolution. Daher werden auch die klugen Kommunistinnen und Kommunisten nicht mehr gehört, werden ihre Gedanken immer wieder mit dem Verweis auf die Gulags ausgegrenzt. Der Kommunismus hat an der Wahlurne keine Chance, er ist zurzeit machtlos, auch und gerade in der Partei Die Linke. Er wird dennoch als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Dies dient nur dem Erhalt der bundesrepublikanischen Grundordnung und den Interessen der Eliten. Wer das gutheißt, kann beruhigt vom Kommunismus schweigen, der tut nichts, er will nur beißen. Und hat all seine Zähne verloren. Der vernünftige Rest der Linken jedoch sollte den Kommunismus ernst nehmen und kritisieren, nicht einfach reflexhaft ablehnen. Es könnte zu neuen Erkenntnissen führen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.