Debatte Kreative im Kapitalismus: Sternenstaub und Volkswirtschaft

Für die eigene Arbeit brennen. Die Kreativwirtschaft galt lange als neoliberale Vorzeigebranche. Doch nun formiert sich Widerstand.

Ein junge im Anzug tippt in einen Laptop. Er befindet sich im freien Fall

Die Kreativen sollen Arbeitszeiten nicht so genau nehmen, es geht ja um Selbstverwirklichung. Foto: Imago/Westend61

Wer „was mit Medien“ macht, gehört zu einer viel beachteten Erwerbsgruppe. Lange galten Künstler als geniale Sonderlinge, die Arbeits- und Lebenskonzepte abseits der kleinbürgerlichen Normalkultur praktizieren. Heute sind sie zu einem Rollenvorbild geworden. Auch die Wissenschaft und die Politik stricken an diesem Mythos mit. Das hat gute Gründe.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist der am stärksten wachsende Wirtschaftszweig hierzulande. Sie reicht von den klassischen Künsten bis hin zur Werbung, Architektur und Computerspielentwicklung und ist aus der urbanen Ökonomie nicht mehr wegzudenken. In Berlin ist laut Kulturverwaltung mindestens jedeR zehnte Erwerbstätige im Kreativ- oder Kultursektor beschäftigt, in Hamburg sind es 8 Prozent. Den steilsten Anstieg verzeichnet derzeit München.

Es ist offensichtlich: Je mehr Kultur, desto attraktiver wird eine Stadt im globalen Wettbewerb der „Creative Cities“. Als zukunftsweisend gilt heute, wer auf die Produktivität von Start-ups und den ökonomischen Sternenstaub von Künstlern setzt. Folgerichtig hört und liest man in vielen Analysen, dass Künstler und Kreative Vorreiter einer neuen Arbeitswelt seien. Allerdings herrscht keine Einigkeit darüber, worin diese Vorreiterfunktion genau besteht. Vielmehr steht hinter den Debatten ein Streit über die Frage nach dem Subjektideal unserer Zeit.

Dieser Streit kreist um den Dualismus vom Künstler als antikapitalistischem Ausnahmesubjekt versus den Unternehmer als kapitalistischen Erneuerer. Spätestens seit der Zeitdiagnose der französischen SozialwissenschaftlerInnen Luc Boltanski und Ève Chiapello, „Der neue Geist des Kapitalismus”, scheint unter KapitalismuskritikerInnen festzustehen, dass die von Boltanski/Chiapello identifizierte „Künstlerkritik” dem neoliberalen Projekt zur vollständigen Blüte verholfen hat. Diese von KulturproduzentInnen traditionell geübte Kritik an der kalten und fremdbestimmten Welt des Industriekapitalismus ist seit den 1980er Jahren aber in eine schwere Krise geraten.

Flexibilität als Inspiration

Im Ergebnis wurden die Grundlagen der Künstlerkritik – Autonomie, Authentizität und die Emanzipation von der bürgerlichen Berufsmoral – zum kapitalistischen Anforderungsprogramm: JedeR soll heute für die eigene Arbeit brennen, Arbeitszeiten nicht so genau nehmen, Geld nicht ganz so wichtig, Selbstverwirklichung dafür umso wichtiger. Diesem kreativen Imperativ haben Kulturschaffende zum Durchbruch verholfen. Eingeschleppt im Zuge der 1968er Bewegung, ist er heute bis in die letzte Pore der Gesellschaft vorgedrungen.

JedeR will und soll kreativ sein, so beschreibt es der Kultursoziologe Andreas Reckwitz. Da sich Kulturarbeitende nach dieser Logik freiwillig auf unsichere Arbeitsverhältnisse einließen und zudem ihre Interessen nicht organisierten, machten sie prekäre Arbeit gesellschaftsfähig. Denn Selbstverwirklichung sei zu einer Herrschaftsideologie geworden. Anscheinend sind die genialen Sonderlinge von einst ideologisch vereinnahmt worden, ohne es zu merken. Schlimmer noch: Indem sie sich neuen kulturellen sowie ökonomischen Imperativen unterwerfen, tragen sie, so die weit verbreitete Annahme, zum kulturellen Erfolg des flexiblen Kapitalismus bei.

Neben dieser Gesellschaftskritik existiert ein ebenso populärer wirtschaftswissenschaftlich inspirierter Blick auf das Verhältnis von KulturproduzentInnen und Kapitalismus. Darin werden Kreative als gesellschaftliche Hoffnungsträger für eine moderne Wissensökonomie beansprucht. Mit ihren flexiblen Arbeitsverhältnissen inspirieren sie moderne Arbeitsformen und innovative Geschäftsmodelle. Pate dieser Idee ist der US-amerikanische Ökonom Richard Florida mit seinem im Jahr 2002 erschienenen Buch „The Rise of the Creative Class“. In diesem Horizont gilt die Kultur- und Kreativwirtschaft als ein dynamisches wirtschaftspolitisches Feld.

In Deutschland wird das Argument der „Creative Class“ herangezogen, um die volkswirtschaftliche Produktivität der zu kreativen Unternehmern erklärten Kulturschaffenden hervorzuheben. Passend dazu wird in den regelmäßig erscheinenden Kulturwirtschaftsberichten seit den 1990er Jahren immer wieder betont, dass ökonomische und kulturelle Wertschöpfung miteinander korrespondierten. Eine lebendige Kulturszene ist zum Standortvorteil geworden. In dieser Sichtweise artikuliert sich ein Paradigmenwechsel: Galten Künstler bis in die 1980er Jahre als sozialpolitisch schützenswerte Sozialbürger, so werden Kreative heute als „Kulturunternehmer“ angerufen, die für eine wirtschaftliche und kulturelle Erneuerung des Gemeinwesens sorgen (sollen).

Neue Künstlerkritik

Gegen das Etikett „Kreativunternehmer“ regt sich allerdings einiger Widerspruch. In Zeiten steigender Preise, der Wohn- und Arbeitsraumverknappung lässt sich in der freien Kunst- und Kulturszene ein Politisierungsschub beobachten. Bei der neu artikulierten Künstlerkritik handelt es sich nicht um Einzelstimmen. Hier sprechen kollektiv organisierte AkteurInnen, die frustriert sind durch die sich verschärfenden ökonomischen Rahmenbedingungen – und verärgert über die Inszenierung von Kultur als Stadtmarketinginstrument. Ihr programmatischer Konsens ist, sich gegen die Inszenierung als Creative Class zu sperren. „Kreativwirtschaft“ ist für viele eher ein wirklichkeitsfremdes, die prekären Arbeits- und Sozialverhältnisse der Mehrheit beschönigendes Etikett – oder der Begriff steht für sie gar für einen verfälschenden Diskurs.

Bereits im Jahr 2008 widersetzte sich in Hamburg die Initiative „Not in our Name, Marke Hamburg“ einer stadtpolitischen Vereinnahmung von Kulturschaffenden als Imagefaktor. Auch in Berlin gibt es eine neue Künstlerkritik. Auslöser war die Kunstausstellung „Based in Berlin“ (2010). Sie war im Auftrag der Berliner Kulturverwaltung als „Leistungsschau“ von in Berlin ansässigen Emerging Artists konzipiert. Die soziale Empörung darüber schlug hohe Wellen. Zahlreiche Gegenveranstaltungen wurden initiiert, unter anderem von der Kunsthochschule Weißensee. Im Dialog mit der Berliner Kulturverwaltung diskutiert die neue Künstlerkritik Strategien, um die freie, also nicht institutionsgebundene Kunst- und Kreativszene Berlins zu fördern.

Auffällig ist, dass sich die künstlerkritischen Initiativen nicht prinzipiell gegen den Markt positionieren. Zwar wird darauf beharrt, dass die Gleichsetzung der Kunstszene mit der Kulturwirtschaft deren Auslöschung bedeute. Trotzdem wird eine volkswirtschaftlich motivierte Perspektive auf künstlerisch-kreative Arbeit nicht kategorisch abgelehnt. Vielmehr nutzen die Initiativen die diskursive Wende und nehmen die Idee der „Creative City“ in die Pflicht. Die Forderungen zielen nicht darauf ab, Künstler nur symbolisch wertzuschätzen. Im Gegenteil verwahrt man sich gegen eine pauschale Anerkennung für nichts.

Tatsächlich bringt sich die neue Künstlerkritik als Verfechterin einer Gesellschaftskritik in Stellung, die sich gegen eine Ökonomisierung nicht nur der Kunst ausspricht. Die durchaus handfeste, programmatische Forderung lautet: Umverteilung und ökonomische Anerkennung. Als interessenpolitische Strategie bedienen sich ihre VertreterInnen unter anderem der, wie sie es selbst nennen, Lobbyarbeit. Sie suchen den Dialog mit Parlamentariern, um gruppenspezifische Interessen und eine Mittelerhöhung für die freie Szene politisch durchzusetzen. Herausragende Bedeutung hatten die Bemühungen um die sogenannte City Tax, eine Hotelbettensteuer, die seit Jahresbeginn 2014 in Berlin erhoben wird und deren Erlöse der Kulturszene zugutekommen sollen.

Solidarische Interessenpolitik

Nun wäre es sicher übertrieben, diesen Initiativen eine ähnliche Durchschlagskraft zu bescheinigen, wie sie die Künstlerkritik der späten 1960er Jahre entwickelt hat. Ob deren zweifelhafter Erfolgsstory wäre ihnen das vielleicht auch gar nicht zu wünschen. Zweifellos jedoch ist die neue Künstlerkritik ein Versuch, sich als solidarische, interessenpolitische Koalition zu formieren. Der Trend geht weg von einer klassischen Interessenvertretung zu hybriden Interessenorganisationen.

Dass in Berlin jüngst politische Vereinbarungen zur ökonomischen Stärkung der freien Kunst- und Kulturszene getroffen wurden, ist ein Erfolg der neuen Künstlerkritik. Nicht zuletzt ist sie auch Ausdruck einer neuen, kreativen Mitbestimmungsfantasie.

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