Debatte Kreativität der Linken: Keine Idee, nirgends

SPD und außerparlamentarische Opposition leiden unter denselben Symptomen: fehlende Kreativität und „Wurstegal-Haltung“.

Ein Tanker, der sich nur langsam bewegt. Bild: dpa

In dieser Woche haben sie Colin Crouch eingeflogen, pünktlich zum Ende der Koalitionsverhandlungen. Der britische Politologe sprach vor der Friedrich-Ebert-Stiftung, warb im Deutschlandradio für die Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag. Crouch ist mit Büchern wie „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ zum vielleicht wichtigsten intellektuellen Kronzeugen der Sozialdemokratie für mehr staatliche Regulation geworden.

Man kann das ironisch sehen: Bereits die Inspiration für Gerhards Schröders „Dritten Weg“ hatte die SPD aus Großbritannien bezogen, von Tony Blair und dessen Stichwortgeber Anthony Giddens. Nun also die Kehrtwende.

Politik, linke zumal, hat immer vom internationalen Austausch von Ideen gelebt. Die deutsche Linke hat den Marxismus exportiert und die Sozialdemokratie, die Ökobewegung und die Grünen. Importiert hat sie den Leninismus und die Subkultur der 60er, den sozialdemokratischen Traum vom „Modell Schweden“ und den Punk.

Aber wenn Gruppen und Parteien über einen langen Zeitraum neue Ideen nur importieren, statt sie selbst zu entwickeln, ist dies ein Zeichen für fehlende Innovationsfähigkeit. Das mag wie ein Begriff aus dem Wörterbuch des Neoliberalismus klingen, bezeichnet aber nur die Fähigkeit, falsche Ideen fallen zu lassen und andere zu entwerfen.

Opposition wird kaum etwas ausrichten

Nun ist die SPD, was sie nach 1945 immer war: ein „Tanker“ (Peter Glotz), der sich nur langsam verändert. Das wäre zu verschmerzen, gäbe es eine einflussreiche Opposition, die bei Themen wie Europa oder Hartz IV Druck macht – also den Fragen, die die SPD bei diesem Koalitionsvertrag nicht interessiert haben. Die parlamentarische Opposition aus Grünen und Linken wird aber im Bundestag gegen die großkoalitionäre Übermacht kaum etwas ausrichten können.

Und die außerparlamentarische Opposition gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Sie leidet strukturell unter denselben Symptomen wie die SPD. Erstens fehlende Innovationsfähigkeit: Bei der globalisierungskritischen Bewegung etwa kamen die neuen Ideen und Anstöße aus Frankreich (Attac), Brasilien (Weltsozialforum), USA (Proteste gegen den WTO-Gipfel in Seattle 1999, Occupy) und Italien (Genua). Der deutsche Beitrag: Null.

Blockupy hat nun am letzten Wochenende neue Proteste vor der Europäischen Zentralbank (EZB) angekündigt – für Ende 2014. Und damit wären wir beim zweiten Symptom: Der innerlinke Konflikt des 20. Jahrhunderts war immer auch einer um Zeit – darum, wie schnell Zustände angesichts der beschränkten Lebensspanne der Einzelnen geändert werden mussten und konnten. Um es mit Keynes zu sagen: „In the long run we are all dead.“

Von dieser Dringlichkeit, Dinge ändern zu müssen, ist weder bei der SPD noch Blockupy etwas zu spüren: Die Bürgerversicherung kommt vier weitere Jahre nicht, der Mindestlohn erst 2017 (obwohl er in einer anderen Regierungskonstellation 2014 eingeführt werden könnte).

Krisenpolitik aushalten

„Wenn es erst 2017 besser geht, was passiert eigentlich in den Jahren dazwischen mit den kleinen Leuten“, hat der Kabarettist Urban Priol in der taz gefragt – eine Replik auf die Bemerkung von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, dies sei ein Koalitionsvertrag für die „kleinen Leute“.

Und wenn Blockupy bis Ende 2014 mit der nächsten größten Aktion warten kann, suggeriert dies vor allem eines: dass die europäische Krisenpolitik nicht so schlimm ist, als dass man es nicht noch ein weiteres Jahr mit ihr aushalten könnte.

Nein, besonders innovativ ist die deutsche Linke in den letzten Jahren nicht gewesen. Aber sie war immerhin fleißig. Dort, wo Volksabstimmungen in den Verfassungen verankert wurden, hat sie Mehrheiten für die Rekommunalisierung von Stadtwerken oder eine andere Stadtentwicklung zu gewinnen versucht. Die CDU hat ein bundesweites Volksabstimmungsrecht in den Koalitionsverhandlungen verhindert. Sie weiß, warum: Wenigstens der Mindestlohn würde nicht erst 2017 kommen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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