Debatte Militarisierte Flüchtlingspolitik: Im europäischen Fadenkreuz

Mit ihrer neu beschlossenen Flüchtlingspolitik definiert die EU schutzbedürftige Menschen in eine Bedrohung um. Ein gefährlicher Präzedenzfall.

Helfen Waffen gegen Not? Bild: dpa

Es ist geradezu wahnwitzig, was da am Montag von den europäischen Außen- und Verteidigungsministern verabschiedet wurde. „EUNAVFOR Med“ heißt die neue Mission im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.

Ihr Ziel: Möglichst bald soll militärisch gegen Schleuser vorgegangen werden, zunächst in Libyen. Neben einer Marineoperation stehen Luftangriffe und selbst der Einsatz von Spezialeinheiten an Land zur Debatte.

Es sei nur eine Maßnahme von vielen, redete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini den Beschluss noch am selben Tag klein. Zudem gehe es in einer ersten Phase bloß darum, alle verfügbaren Aufklärungsinstrumente zu nutzen, um die Aktivitäten der Schlepper möglichst genau nachzuvollziehen. Auch in Phase zwei wolle man über das Durchsuchen und Beschlagnahmen von Schiffen nicht hinausgehen. Erst in einem dritten Schritt seien Militäreinsätze auf libyschem Territorium angedacht. An der grundlegenden Entscheidung aber ändert das nichts: Die Militarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik ist beschlossene Sache, und das ist in gleich mehrfacher Weise problematisch.

Zunächst wird die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik missbraucht, um die Abschottung der eigenen Grenzen voranzutreiben. Das war nie ihr Ziel und sollte es auch nicht werden.

Gleichzeitig werden schutzbedürftige Menschen zu einer sicherheitspolitischen Bedrohung umdefiniert, der allein mit militärischen Mitteln beizukommen sei. Das ist vollkommen maßlos. Dennoch warb Mogherini jüngst vor dem UN-Sicherheitsrat um das äußerste Mittel: ein Militärmandat nach Kapitel VII der UN-Charta.

Wie Piraterie, Drogenhandel oder Wilderei

Ein solches Mandat ist immer dann notwendig, wenn ohne das Einverständnis des betroffenen Staates – in diesem Fall: Libyens – in dessen Hoheitsgebiet eingegriffen werden soll. Es ist vorgesehen „bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“, wenn der „Weltfrieden und die internationale Sicherheit“ auf dem Spiel stehen.

So menschenverachtend das Gebaren der Schleuser auch sein mag: Sie zu einer derartigen Bedrohung für die kollektive Sicherheit hochzustilisieren, ist absurd. Allein der Versuch, dennoch das Einverständnis der Vereinten Nationen zu erhalten, schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Einen weiteren Präzedenzfall, um genau zu sein. Von Piraterie über Drogenhandel bis hin zu Wilderei und Elfenbeinschmuggel: In zahlreichen Fällen segnete der Sicherheitsrat in der Vergangenheit ein militärisches Eingreifen auf Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen ab.

Auf die stets gleiche Argumentationskette setzt nun auch die Europäische Union: Nicht die Flüchtenden seien die Gefahr für die internationale Ordnung, auch nicht die Schlepper; die chaotischen Verhältnisse aber, die durch die gesamte Migrationsbewegung zu entstehen drohten, könnten zunächst Nordafrika und Europa, in der Folge die gesamte Welt in eine sicherheitspolitische Notlage stürzen. Nur ein frühzeitiges militärisches Eingreifen könne diese Entwicklung aufhalten.

Mit dieser abenteuerlichen Strategie setzt die EU die längst begonnene Aufweichung internationaler Völkerrechtsstandards fort und spielt gerade jenen Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in die Hände, die ohnehin die Spielräume militärischen Eingreifens dehnen wollen. Ein schwerwiegender Fehler.

Völkerrecht wird aufgeweicht

Ferner zeugen die Pläne der europäischen Außen- und Verteidigungsminister von einem beunruhigend naiven Verständnis davon, wie Schlepperstrukturen tatsächlich funktionieren. Schleuser kommunizieren und agieren eben nicht über klar definierbare Knotenpunkte und Logistikzentren, die präzise aus der Luft in dieselbe gesprengt werden könnten.

Auch in Libyen operieren Schlepper meist über verwinkelte soziale Strukturen, über familiäre Netzwerke, inmitten des gesellschaftlichen Alltags. Will die EU etwa Ziele angreifen, die fester Bestandteil des sozialen und infrastrukturellen Gefüges sind? Wie will sie in diesem Zusammenhang ausschließen, dass auch Zivilisten zu Schaden kommen und sich die ohnehin fragile Sicherheitslage in Libyen weiter destabilisiert? Immerhin steht zu bezweifeln, dass die in Libyen weiterhin einflussreichen Milizen tatenlos dabei zusehen würden, wie die italienische Marine oder die britische Luftwaffe militärische Angriffe in ihrem Einflussgebiet fährt.

Und auch die libysche Tobruk-Regierung hat bereits mehrfach zu verstehen gegeben, dass sie ein militärisches Vorgehen der Europäischen Union als Angriff auf die eigene Souveränität deuten werde.

Einen Monat ist es nun her, dass erneut Hunderte Menschen im Mittelmeer ihr Leben ließen. Die wenigen sinnvollen Reformvorschläge für eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU-Kommission, die unter diesem Eindruck entstanden, werden auch weiterhin im Konjunktiv gedacht. Eine permanente, gemeinsame Seenotrettung? Nicht wirklich, und ohnehin zunächst nur in europäischen Gewässern. Legale Zugangswege, um den Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen? Vielleich später. Ein neues System der Umverteilung innerhalb Europas? Das scheint längst vom Tisch.

Kollektives Schiffeversenken

Bei der Militarisierung ihrer Flüchtlingspolitik hingegen schafft die EU Fakten. Dabei werden sich wohl kaum weniger Flüchtende auf den Weg machen, nur weil Europa auf kollektives Schiffeversenken setzt. Allenfalls werden sie auf noch gefährlichere Routen ausweichen, den Schleusern noch mehr Geld zahlen.

Wer sich das nicht leisten kann, bleibt in Libyen zurück – einem Land, in dem Folter, Entführung, Vergewaltigung und die systematische Ausbeutung von Flüchtenden an der Tagesordnung sind.

Bereits jetzt treten die EU-Mitgliedstaaten das Asylrecht mit Füßen. Bald wollen sie schwerere Geschütze auffahren. Wir sollten alles daransetzen, diesem militärischen Wahnsinn umgehend ein Ende zu setzen.

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