Debatte Missbrauch in der Katholischen Kirche: Sturz vom Thron

Warum fällt es dem Papst so schwer, sich angemessen bei den Missbrauchsopfern zu entschuldigen? Sieben Gründe für das Versagen der katholischen Kirche.

Natürlich, es ist nicht einfach. Aber die Frage ist schon, warum sich die katholische Kirche auch gut zwei Monate nach Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle weiterhin so schwertut, das verbrecherische Geschehen der vergangenen Jahrzehnte so schonungslos aufzuklären, wie es den Opfern zusteht. Und warum, das als Zweites, es ihr so häufig misslingt, die richtigen Worte und Zeichen des Bedauerns und der Bitte um Entschuldigung zu finden, die von einer zunehmend skeptischen Öffentlichkeit auch ernst genommen werden können. Dafür gibt es, ohne dass dies eine Entschuldigung wäre, mehrere Gründe.

1. Das Thema Kindesmissbrauch durch ihre Mitarbeiter ist für jede Institution unendlich peinlich, ja für ihren Ruf desaströs, was derzeit nicht nur bei der katholischen Kirche, sondern auch bei der Odenwaldschule zu beobachten ist. Das ist ein Grund dafür, dass das Thema nur so zögerlich an die Öffentlichkeit dringt - und angesichts begründeter Vermutungen von Fachleuten ist wohl damit zu rechnen, dass in den kommenden Wochen noch einige andere Institutionen mit ähnlichen Meldungen von sich reden machen werden.

2. Die katholische Kirche tut sich besonders schwer mit der Aufklärung, da in ihren führenden Positionen nur Zölibatäre wirken, denen das Reden, ja das Nachdenken über Sex und die Versuchungen der Macht auch auf diesem Feld sowieso schon extrem schwerfällt. Es fehlt nicht nur an Erfahrungen. Sex ist, spätestens seit dem Einfluss der hellenistischen Körperfeindlichkeit in den ersten Jahrhunderten, für die christliche Ideologie mindestens etwas Schwieriges. Zugleich ist das Zölibat, wie Nina Streeck (taz vom 12. 3.) schlüssig darstellte, ein Machtinstrument der Kirche, das kaum einfach abgeschafft oder freigestellt werden könnte. Zwar hat schon Paulus die Priesterehe empfohlen; auch theoretisch ist eine katholische Kirche mit einer anderen Sexualmoral - also etwa ohne Pillenenzyklika und Zölibat - denkbar. Praktisch aber käme dies einer Revolution in der Kultur der Kirche gleich. Und Revolutionen gibt es in Roms Kirche aus Prinzip nie.

3. Der Missbrauch von Kindern wiegt bei der katholischen Kirche auch nach ihrem Selbstbild besonders schwer, da es ein doppelter Vertrauensbruch ist: Das missbrauchte Kind verliert nicht nur den Glauben und das Vertrauen in den einen Geistlichen, der sich an ihm verging - es verliert Glauben und Vertrauen in eine ganze Institution, ja in eine Sicht der Welt, in der es einen Gott gibt, der die Liebe ist. Geistlichen wird ja gerade deshalb eine besondere Nähe etwa in der Beichte zugestanden, weil sie dieses Vertrauen zu verdienen scheinen, als Männer Gottes. Der Missbrauchsskandal ist deshalb für die katholische Kirche auch ein ideologisches Desaster. Kein Wunder, dass der Drang zur Aufklärung bei manchen Bischöfen begrenzt ist.

Empfindlicher Priestermangel

42, ist Reporter der taz und beschäftigt sich viel mit religiösen Themen. Er hat Geschichte, Journalistik, Theologie und Politologie studiert.

4. Die katholische Kirche leidet schon jetzt unter einem extremen Priestermangel - der Missbrauchsskandal wird diese Tendenz wohl noch verstärken, da nun bei der Auswahl der Priesteramtskandidaten noch strengere Maßstäbe angelegt werden müssen und da der nun schlechter gewordene Ruf der Kirche Nachwuchs eher abschreckt.

Die Kirche hat es bei ihren Priestern zudem mit einem Personal zu tun, das zwar eine lange und gute Ausbildung hinter sich hat - es kann diese Ausbildung aber fast nur im Kirchenraum nutzen. Auch das verführt manche Oberhirten dazu, das unangenehme Missbrauchsthema lieber beiseitezuschieben. Es schafft ja doch nur Ärger.

5. Ein Männerbund, zumal ein stark hierarchisch verfasster, tendiert immer dazu, Skandale am besten erst einmal zu vertuschen - auch die DFB-Schiedsrichter-Affäre bietet ein aktuelles Beispiel dafür. "Das regeln wir jetzt erst einmal intern", diese Neigung existiert immer da, wo es tendenziell oder traditionell eine Befehl-Gehorsam-Struktur gibt, wo eine Ansammlung von Machos mit Augenzwinkern Fehlentwicklungen oder Sünden vertuschen zu können glaubt, weil es etwas gibt, was alle ideologisch oder mental stark miteinander verbindet. Wo Frauen mit entscheiden und demokratisches Denken vorherrscht, wie es etwa in der evangelischen Kirche der Fall ist, sind Missbrauchsfälle schwerer unter dem Deckel zu halten.

Sind wir nicht alle Sünder?

6. Es gibt eine unselige Tradition des Verschweigens in der katholischen Kirche - dass es seit Jahren zynische Witzchen über Hochwürden und seine Messdiener gibt, zeigt, dass auch im Kirchenvolk selbst eine Tendenz zum Wegschauen geherrscht hat. "Man kann alles machen, man darf nur nicht darüber reden", dieser in katholischen Kreisen weit verbreitete Spruch, meist gemünzt auf Sex mit Frauen oder Männern, deutet an, dass die Lüge schon lange Einzug gehalten hat in das Leben des deutschen Katholizismus. Auch das Institut der Beichte verführt dazu, Sünden als etwas Lässliches anzusehen. Denn sind wir nicht alle Sünder? Dieses Denken erschwert die Aufklärung.

7. Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut - dies böse Wort erklärt auch, warum manche Bischöfe den Missbrauchsskandal nur als böse Medienkampagne missverstehen. Sie verstehen nicht, dass sie in einer offenen, demokratischen und medial verfassten Gesellschaft selber sich öffnen, sich demokratisieren und sich medial wirksam aufstellen müssen. Wer sich selbst auf einen Thron setzt, fällt besonders tief. Deshalb müssen die Bischöfe runter von ihrem Thron. Sie müssen Abschied nehmen von dem theologisch begründeten Dünkel, Nachfolger der Apostel zu sein. Und wenn überhaupt, dann ist nur die Kirche als Ganzes unfehlbar in dem Sinne, dass sie in ihrer 2.000-jährigen Geschichte dann doch immer wieder einen Weg zurück in die Nähe des Evangeliums gefunden hat. Übrigens meistens dank der Menschen am Rande der Kirche, die sie später dann gern heiliggesprochen hat.

Die katholische Kirche ist angesichts des Missbrauchsskandals derzeit wie in einem Zeitraffer einem umfassenden Lernprozess ausgesetzt. Dieser Prozess ist schmerzhaft und wird lange dauern. Das Gute aber ist: Die Kirche hat keine Alternative.

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