Debatte Ökodiktatur: Die Dienstwagenverteidiger

Die Atomlobby hat ihre PR-Leute losgelassen: Eine "Ökodiktatur" drohe uns. Die ist doch längst Realität! Und die Öko-Skeptiker treiben uns immer weiter in die Tyrannei.

Nicht alle Reichen fahren Ferrari – aber auf die, die sich den Ferrari leisten können, kommt es an. Bild: Earl Wilkerson | CC-BY

Die Rede von einer Ökodiktatur, die Umweltschützer und grüne Würdenträger gern einrichten möchten, ist Gefasel – jedoch auf eine andere Weise als gemeinhin angenommen.

Denn eine Ökodiktatur kann man schon deshalb nicht einführen, weil wir längst in einer leben – die derzeitigen Mahner vor einer kommenden grünen Diktatur verschärfen allerdings die Auswirkungen einer solchen erheblich.

Das weltweite Wirtschaftssystem ist eng verknüpft mit dem Ökosystem, in dem es agiert. Viele Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und ein immer noch großer Teil der Öffentlichkeit tun hingegen so, als wäre ihr Handeln abgekoppelt von ihrer Umgebung. Eine stärkere Entflechtung ist zwar möglich, dafür muss man allerdings aktiv werden, statt zu jammern. Derzeit geschieht immer noch das Gegenteil, die Abhängigkeit vom Rohstoffnachschub aus der Umwelt wächst. Deshalb treiben gerade die Ökobremser und -skeptiker uns alle weiter in die Tyrannei.

Schon immer ist der begrenzende Faktor von Gesellschaften ihre Energie- und Nahrungszufuhr gewesen. Durch das Anzapfen der Kohlevorräte mit der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert haben wir diese Zufuhren enorm erhöht. Später kam noch Erdöl und Erdgas hinzu. Getrieben davon stiegen Wachstum und Wohlstand.

What a wonderful world

Wir haben also unser System enorm erweitert, und das mit gutem Ergebnis: Von Küche bis Kultur, von Medizin bis Multimedia nutzen wir einen Fortschritt und eine Bequemlichkeit, von dem im Barock selbst Fürsten nur träumen konnten. Auf Dauer wird es uns jedoch nicht gelingen, den Rahmen unseres Handelns zu verdrängen. Die Erde ist groß, aber die Menschheit inzwischen größer. Der sogenannte ökologische Fußabdruck zeigt, dass weltweit eigentlich die Hälfte mehr Fläche zur Verfügung stehen müsste für jenes Wirtschaften, das sich die Menschheit leistet. Wir Deutschen bräuchten sogar zweieinhalbmal so viel. Die Erde kann also nicht weiter liefern wie für ein "Weiter so" nötig.

Wie wird das in dieses Ökosystem eingebettete Wirtschaftssystem reagieren? Die Wirtschaft passt sich an veränderte Rahmenbedingungen an. Für die Reaktion haben wir noch Zeit, denn die Preise knapper, aber notwendiger Güter wie Erdöl oder Nahrungsmittel sind noch bezahlbar und das Klima schaukelt sich nur langsam hoch. Allerdings verschwenden wir diese zur Verfügung stehende Zeit und begeben uns damit immer stärker in die Fänge der Ökodiktatur. Sie ist dann nicht nur im ökologischen Sinne als Grundlage allen Seins vorhanden. Sie drängt sich in das tägliche Handeln. Wer denkt, er habe ein Recht auf Verschwendung, auf über 7.000 Kilowattstunden Stromverbrauch pro Jahr (aktueller Pro-Kopf-Verbrauch der Deutschen), auf ein zwei Tonnen schweres Automobil (Durchschnittsdienstwagen eines deutschen Ministerpräsidenten oder Bundesministers), der beschleunigt den Fall in die harschen äußeren Zwänge.

Die Reichen bleiben cool

Die Reichen können dabei wie häufig kühler bleiben als der Rest, denn sie werden sich ein würdiges Leben auch unter verschärften Bedingungen länger leisten können, insbesondere wenn sie auch über Anteile an den Produktionskapazitäten der künftig knappen Güter (Wasser, Essen, Land, ressourcenintensive Waren) verfügen. Die anderen 90 Prozent der Menschheit jedoch müssen mit ihrer Arbeitskraft die immer teureren Lebensnotwendigkeiten ergattern.

Der Übergang von der heutigen latenten in die akute Ökodiktatur wird nicht schleichend sein, er wird Kipppunkte durchlaufen: Weil unersetzbare Rohstoffe schlagartig teurer werden, wenn die Nachfrage die Produktion übersteigt; weil das Klima immer sprunghafter wird; weil Verbraucher überraschend und panisch reagieren, mit Hamsterkäufen etwa; und weil sich Gesellschaften militantere Regierungsformen wählen, wenn sie sich bedroht sehen.

Eine wehrhafte Demokratie handelt rechtzeitig. Sie wartet nicht auf die scheinheiligen Warner vor einer Ökodiktatur, nicht auf Leute wie die Energiekonzernchefs und ihre Büttel, die doch von Energieknappheit profitieren. Wir zahlen derzeit Billionen an Strom- und Ölkonzerne, für Wegwerfprodukte und Umweltverschmutzung. Dieses Geld geht in die falschen Taschen und gefährdet die Demokratie. Das Verzögern nachhaltigen Handelns gefährdet die Freiheit - nicht ein paar Vorschriften zur Energiewende.

Wer die drohende akute Ökodiktatur nun als Weltuntergangsszenario der Ökopessimisten sieht, der liegt schon wieder falsch. Es liegt ja Hoffnung im Erkennen des Problems. Man kann es dann angehen. Viele haben es ja schon eingesehen und wären offen für Handeln.

Profite? Ja, bitte!

Das Problem dabei sind allerdings die reichsten zehn Prozent weltweit. Wird die Geldelite mitziehen? Sie ist in den meisten Staaten entscheidend, und sie schwankt. Denn sie hat bei Veränderungen nicht nur zu gewinnen, sondern auch sehr viel zu verlieren.

Derzeit überlassen wir den falschen Eliten die Wirtschafts- und vor allem die Energiepolitik. Nämlich denjenigen, die auch mit katastrophalen Veränderungen der derzeitigen Ökosysteme ihr Geld verdienen und mit ihren Profiten Regierungshandeln verzögern.

Die Demokratien müssen an diese Profite ran, um die Gegner des Wandels zu schwächen. Und sie müssen denjenigen Eliten Perspektiven bieten, die das Wirtschaftssystem in eine zukunftsfähigere und menschenwürdigere Form bringen wollen. Das müssen auch profitversprechende Perspektiven sein, denn Geld regiert nun einmal unsere Wirtschaftswelt.

Führt das in eine Ökodiktatur, wie die derzeitigen Mahner vor einer solchen sie verstehen? Nein. Wird den Leuten vorgeschrieben, wie sie zu leben haben? Ja, teilweise schon. Aber heute wird mindestens so viel vorgeschrieben. Und die Elite muss auch keine Bange haben: Statt Riesenautos oder einer energieverschwenderischen Lebensweise wird es andere Statussymbole geben. Die Gewinne der Energie- und Rohstoffzufuhr allerdings werden hoffentlich breiter verteilt sein. Das wäre dann aber weniger Diktatur als heute.

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Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.

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