Debatte Postdemokratie: Merkel Bonaparte

Mit ihren Bürgergesprächen inszeniert sich die Kanzlerin als volksnah. Diese Machttechnik ist beides: feudal und zeitgemäß. Um mehr Partizipation geht es nicht.

Die Spitze der Exekutive inszeniert sich als unmittelbarer Ansprechpartner der Bürger – Merkel beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt 2011. Bild: dpa

Haben Sie Lust, Angela Merkel einmal gehörig die Meinung zu sagen? Träumen Sie vielleicht sogar davon, die Politik der Bundesregierung mit konkreten Vorschlägen auf ein ganz neues Gleis zu bringen? Wenn ja, haben Sie morgen in Heidelberg die Gelegenheit dazu. Das jedenfalls suggeriert die Ankündigung des zweiten von insgesamt drei Bürgergesprächen der Kanzlerin.

Seit dem 1. Februar besteht die Möglichkeit, im Internet mit der Regierungschefin in einen „Dialog über Deutschlands Zukunft“ zu treten. Im Mittelpunkt stehen dabei drei Fragenkomplexe: Wie wollen wir zusammenleben und denen helfen, die noch am Rande stehen? Wie sichern wir unseren Wohlstand? Wie lernen wir als Gesellschaft? Gute Ideen, so ließ sich Merkel vernehmen, werde sie an die zuständigen Ministerien weiterleiten.

Was hier so bürgernah klingt, ist in demokratiepolitischer Hinsicht äußerst problematisch.

Nicht nur ist fraglich, ob durch die Initiative der CDU-Politikerin die notwendige Trennung von Partei- und Regierungsarbeit gewahrt bleibt oder der zu erwartete Ideen-Input den vom Kanzleramt betriebenen Aufwand und den damit verbundenen Einsatz von Steuergeldern rechtfertigen kann. Schwerer aber wiegt der Einwand, dass die Bürgerbeteiligung nur simuliert ist.

Beim ersten Bürgergespräch in Erfurt nahm sich die Kanzlerin knappe 90 Minuten Zeit für die Vorschläge von 100 ausgewählten Bürgern. Was als partizipatorische Neuerung angepriesen wird, ist kaum mehr als eine modernisierte klassische Machttechnik der von oben gelenkten Demokratie, für die der italienische Nietzsche-Forscher Domenico Losurdo den Ausdruck Soft-Bonapartismus prägte: Die Spitze der Exekutive inszeniert sich als unmittelbarer Ansprechpartner der Bürger, deren Interessen es gegen unfähige Funktionäre aus Parteien und Gewerkschaften durchzusetzen gelte.

Wer so agiert, gibt sich den Anschein, ausgesprochen pragmatisch und vor allem überparteilich zu sein. Angesichts einer darniederliegenden FDP und im Vorfeld einer immer wahrscheinlicher werdenden Neuauflage einer großen Koalition mit der SPD hat die Kanzlerin guten Grund, sich als Macherin zu inszenieren. Ihr fehlendes Charisma schlägt dabei nicht negativ zu Buche. Denn gerade Merkels zurückhaltender, selten auftrumpfender Führungsstil unterstützt die bonapartistische Suggestion, dass einzig und allein sie selbst gewährleisten könne, dass die langfristigen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung über den Tag und die Legislaturperiode hinaus berücksichtigt werden.

Die neue Expertenaristokratie

Die zahlreichen Experten, die von Merkel in das Dialogverfahren einbezogen werden, erscheinen freilich wenig geeignet, diesem Anspruch zu genügen. So wird ausgerechnet jene Arbeitsgruppe, die neue Formen der Partizipation diskutieren soll, von Politik- und Unternehmensberatern dominiert, die vor allem die strategische Wirkung partizipatorischer Verfahren im Auge haben. Diese werden in elitären Kreisen zunehmend als geeignete Methode betrachtet, um eine Politik sozialen Kahlschlags und privater Bereicherung durch die gelenkte Mitsprache der Bürger besser zu legitimieren.

In einer Zeit, wo der Konsens für neoliberale „Reform“-Projekte brüchig wird, sieht etwa die Bertelsmann-Stiftung in der Implementierung von neuen Beteiligungsformen eine Chance, die Politik und vor allem die Bürger wieder besser zu steuern. Die Erprobung solcher Befriedungstechniken reicht bis in die siebziger Jahre zurück. Als die Proteste gegen die Atomkraft nicht mehr zu ignorieren waren, setzte auch die damalige Bundesregierung auf Bürgerdialoge. Der Unmut der Umweltbewegung sollte sich hier artikulieren können, aber für die Entscheidungen blieb er letztlich unerheblich. Verbindliche Aussagen wurden nicht getroffen. Man hoffte darauf, einen Keil zwischen gesprächsbereiten Gegenexperten und jenen AKW-Gegnern zu treiben, die ihren Widerstand mit einer radikalen Kritik am kapitalistischen System verbanden.

Das strategische Kalkül wurde später beim Einsatz des Mediationsverfahren zur Befriedung der Auseinandersetzungen um den Ausbau des Flughafens in Frankfurt am Main noch deutlicher: Nachdem die SPD-geführte Regierung Hessens durch den Konflikt um die Startbahn West in arge Bedrängnis geraten war, setzte Ministerpräsident Hans Eichel in den neunziger Jahren auf neue Formen der politischen Beteiligung. Der Streit sollte sich vom politischen Kern auf weniger brisante Sach- und Verfahrensfragen verlagern. Der Widerstand wurde durch die Einbindung einer Reihe von Organisationen der „Zivilgesellschaft“ in seiner Legitimation geschwächt und dadurch deutlich eingedämmt.

Einhegen und Kanalisieren

Was es bedeuten kann, auf den Bürgerdialog als politisches Steuerungsmittel zu lange zu verzichten, musste zuletzt Baden-Württembergs abgewählter Ministerpräsident Stefan Mappus erfahren. Das Scheitern von dessen Konfrontationskurs in Sachen Stuttgart 21 verschafft seinem grünen Amtsnachfolger Winfried Kretschmann nun die Gelegenheit für eine nachholende Modernisierung konservativer Regierungsführung.

Auch beim Bürgerdialog der Kanzlerin geht es wie bei vielen anderen neuen Formen der Bürgerbeteiligung nicht um eine wirkliche Erweiterung der Partizipation. Vielmehr wird erprobt, wie sich diese einhegen, kanalisieren und instrumentalisieren lässt. Das breite Bedürfnis nach mehr direkter Demokratie wird auf Bahnen gelenkt, die manches veränderbar machen, die grundsätzliche Verteilung von Macht und Eigentum aber nicht infrage stellen.

Merkels „Dialog über Deutschlands Zukunft“ ist daher keine Antwort auf die Krise unseres repräsentativen Systems, sondern selbst Ausdruck postdemokratischer Tendenzen. Die wirkliche Lösung muss ganz woanders gesucht werden: Die heute noch politisch halbierte Demokratie muss in die Sphäre der Ökonomie hinein erweitert werden. Der Kampf für mehr Bürgerbeteiligung darf vor den Toren der Banken und Konzerne nicht haltmachen.

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