Debatte Soziale Gerechtigkeit: Zu kurz gesprungen

Die SPD-Vorschläge für eine neue Arbeitsmarktpolitik gehen in die richtige Richtung. Beim Arbeitslosengeld I sind sie aber unzureichend.

Ein Mann geht durch eine Tür. Am Eingangschild steht Jobcenter

Die SPD will eine respektvolle Arbeitspolitik. Das erfordert eine Umstrukturierung in den Jobcentern Foto: dpa

Bürgergeld statt Arbeitslosengeld II, so der politische Befreiungsschlag der SPD für eine „würde- und respektvolle“ Arbeitsmarktpolitik. Auch die ergänzenden Vorschläge zu Verbesserungen von ALG I, Abschwächung der Sanktionen bei ALG II, Wohngeld, Ausbildungshilfen und Kindergrundsicherung sind Schritte in die richtige Richtung.

Die praktischen Vorschläge bleiben jedoch auf halbem Wege stecken, abgesehen davon, dass sie in der Großen Koalition so nicht umgesetzt werden können. Auch das von SPD-Bundesarbeitsminister Heil durchgesetzte Teilhabechancengesetz mit einem sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose ist keinesfalls ausreichend.

Erforderlich ist vielmehr eine Neuverteilung von Verantwortung, Personal und Finanzen zwischen Jobcentern und Arbeitsagenturen. Die Jobcenter sind mit ALG II, Betreuung der Bedarfsgemeinschaften, Kosten der Unterkunft, Sanktionsmechanismen, Kinderpaketen und flankierenden sozialen Maßnahmen bereits heute in hohem Maße ge- und überfordert, sodass für die berufliche Eingliederung nicht genug Kapazitäten vorhanden sind.

Beratung, Förderung und Vermittlung einschließlich der Arbeitslosenunterstützung für grundsätzlich alle erwerbsfähigen Arbeitslosen müssen von den Arbeitsagenturen übernommen werden. Auch ein Teil der Verantwortung für die soziale Flankierung ist von den dafür zuständigen sozialen Institutionen zu leisten, insbesondere Kinderpakete, Kinderbetreuung, gesundheitliche Versorgung bis zur Suchtbekämpfung oder Entschuldung.

Schnittstellen müssen abgebaut werden

Für die Jobcenter blieben dann immer noch genug Aufgaben, die sie dank ihrer lokalen Nähe und der kommunalen Vernetzung besser leisten können. Dies gilt auch für einen sozia­len Arbeitsmarkt. Damit müssten auch die immer noch nicht verheilten Schnittstellen zwischen Arbeitsagenturen und Jobcentern als gemeinsame Einrichtungen mit den Kommunen einerseits sowie den kommunalen Optionskommunen andererseits weiter abgebaut werden.

Ebenfalls könnten die Schwierigkeiten des Zusammenwachsens der Beschäftigten von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit in den gemeinsamen Jobcentern verringert werden. Nach den politischen Kontroversen über Hartz IV und der Einrichtung von jetzt 408 Jobcentern, davon 105 Optionskommunen, kann dies nur schrittweise erfolgen.

Die berufliche Qualifizierung ist maßgeblich für den Einstieg in eine versicherungspflichtige Beschäftigung

Vordringlich ist die Berufsberatung aller Jugendlichen bei der Suche nach Ausbildungsstellen einheitlich durch die Arbeitsagenturen. Die derzeitige unterschiedliche Behandlung von Jugendlichen aus ALG-II-Bedarfsgemeinschaften durch die Jobcenter ist nicht zu vertreten und eher mit einer Stigmatisierung verbunden.

Ebenfalls ist erforderlich, die etwa 600.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Aufstocker, die wegen Niedriglöhnen ergänzende Hartz-IV-Leistungen beziehen müssen, von den Arbeitsagenturen zu übernehmen. Damit haben sie erheblich größere Chancen, durch geeignete Beratung, Arbeitsmarktförderung und Eingliederungshilfen den Übergang in eine existenzsichernde Beschäftigung und so den Ausstieg aus dem Hartz-IV-System zu erreichen.

Unterschiede bei der beruflichen Weiterbildung

Dies wird allerdings nur gelingen, wenn auch die Leistungen für Wohnung und Kindererziehung ausreichend angehoben werden. Betroffen sind weitere Hunderttausende Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften in Hartz IV.

Symptomatisch für die Nachteile von ALG-II-Empfängern in den Jobcentern sind die erheblichen Unterschiede in der beruflichen Weiterbildung. Während im ALG-I-Bereich der Arbeitsagenturen etwa ein Fünftel der gering qualifizierten Arbeitslosen eine Förderung der Qualifizierung erhalten, sind dies bei den ALG-II-Empfängern in den Jobcentern nur wenige Prozent. Nachweislich trägt die berufliche Qualifizierung erheblich dazu bei, dass der Einstieg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gelingt.

Besonders schwierig ist trotz der ständig beschworenen Lücke an Arbeits- und Fachkräften die Eingliederung von arbeitslosen Menschen in höherem Lebensalter, mit gesundheitlichen Einschränkungen und mit Behinderung. Für eine wirksame Eingliederung müssen die gesundheitlichen Einschränkungen erfasst werden, um geeignete Fördermaßnahmen zu ermöglichen.

Mehr Personal in Jobcentern und Arbeitsagenturen

Während in den Arbeitsagenturen Teams zur beruf­lichen Rehabilitation Pflicht sind, ist dies in den Jobcentern nicht der Fall, womit weitere Nachteile bei Förderung und Eingliederung in Arbeit be­stehen. Dies könnte auch die praktische Umsetzung des Teil­habe­chancengesetzes zur Eingliederung von besonders schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen, insbesondere auch der Menschen mit Behinderungen, erschweren. Ihr Transfer in die Arbeitsagenturen wäre eine Voraussetzung zur Erleichterung ihrer beruflichen Eingliederung.

Jährlich müssen mehrere 100.000 Menschen, die ihre Arbeit verlieren, direkt in Hartz IV übergehen, da sie die verschärften Bedingungen für den Bezug von ALG I nicht erfüllen. Dabei haben sie vielfach ihre Pflichtleistungen zur Arbeitslosenversicherung erbracht. Dies ist eine besondere Ungerechtigkeit, die durch die Ausweitung von prekärer Beschäftigung wie Leiharbeit oder befristeter Beschäftigung verschärft wird.

Es ist daher nur folgerichtig, wenn der Bezug der Arbeitslosenversicherung wieder erleichtert und verlängert wird. Hiermit würde für die betroffenen Arbeitslosen mit den Förderleistungen der Arbeitsagenturen der Zugang zu sozialversicherungspflichtiger Arbeit erleichtert.

Die Schieflage zwischen Fordern und Fördern in Hartz IV zeigt sich auch in dem seit Jahren ständigen Einsatz der Finanzmittel zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser für die Verwaltungskosten in den Jobcentern. Dringend erforderlich für die Eingliederung schwer vermittelbarer Arbeitsloser ist die Gewährleistung ausreichender Perso­nalstellen in Jobcentern und Arbeitsagenturen.

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ist promovierte Volkswirtin, war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. Ende 2015 wurde sie in den Bundesvorstand des Sozialverbands Deutschland e. V. (SoVD) gewählt. Dort leitet sie den Arbeitskreis Sozial­versicherung.

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