Debatte Strategie Grüne: Die Kraft der linken Mitte

Von der postulierten bürgerlichen Familienzusammenführung in Jamaika ist in der Realität nichts zu sehen. Das grüne Bürgertum verortet sich modern links.

Bild: Darwin Bell - Lizenz: CC-BY

Nach der Bundestagswahl ist die Debatte um die Zukunft des Fünf-Parteien Systems im Allgemeinen und die über die Rolle der Grünen im Speziellen neu entbrannt. Durch die Entscheidung der Grünen für eine Jamaika-Koalition im Saarland mit neuem Brennholz ausgestattet, versucht insbesondere das bürgerlich-konservative Feuilleton den Grünen die Rolle als neue Scharnierpartei zuzuschreiben. Auf das Thema Ökologie reduziert sollen sie im Notfall als Mehrheitsbeschaffer für schwarz-gelbe Politik zur Verfügung stehen.

Begründet wird dies vor allem mit zwei Argumenten: Erstens zählten die grünen WählerInnen ohnehin alle zu den gut situierten Besserverdienenden, es stünde also die Familienzusammenführung des seit 68 gespaltenen Bürgertums an. Zweitens hätten „links oder rechts“ als politische Grundsatzbegriffe ausgedient, gefragt seien vor allem unideologische, pragmatische Antworten auf politische Probleme.

In diese Falle hineinzutappen, wäre für die Grünen ebenso fatal, wie sich nun in der Opposition an die zwei zerstrittenen sozialdemokratischen Parteien zu ketten. Denn Eigenständigkeit, gemeint auch als Ausbrechen aus alten Koalitions- und Lagerzwängen, setzt eine klare politische Verortung voraus. Nur wer weiß, wo er selbst steht, wird glaubhaft begründen können, warum er mit wem koaliert. Die notwendige Öffnung für neue Koalitionsoptionen heißt eben nicht „Beliebigkeit in alle Richtungen“. Sondern, dass man den politischen Raum auf Basis der eigenen Inhalte und der eigenen Wählerschichten in jeder Wahlauseinandersetzung neu vermessen muss, um zu bestimmen, was geht und was nicht.

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Also sollte man sich einen Moment Zeit nehmen, das grüne Wahlergebnis zu analysieren, bevor man den strategischen Kurs der nächsten Jahre festlegt. Die Grünen haben bei der Bundestagswahl ihre Zuwächse fast ausschließlich von der SPD geholt. Betrachtet man alle Wählerwanderungen von und zu den Grünen, stellt man fest, dass nur zwölf Prozent des Austausches mit der Union stattfanden. Und sogar nur fünf Prozent mit der FDP. Hier bestätigt sich ein allgemeiner Trend bei dieser Bundestagswahl. Nur fünfzehn Prozent aller Wählerwanderungen fanden überhaupt zwischen den Lagern statt, und diese nahezu ausschließlich zwischen SPD auf der einen und Union und FDP auf der anderen Seite. LINKE und Grüne spielten dabei eine ungefähr gleichgroße, jedoch völlig unbedeutende Rolle.

Von der postulierten bürgerlichen Familienzusammenführung von Unions-, FDP- und Grünen-WählerInnen ist also in der Realität nichts zu sehen. Denn es stimmt zwar, dass die Grünen außer vom studentisch-alternativen Milieu vor allem von hochgebildeten Angestellten, BeamtInnen und Selbstständigen gewählt werden, also von einer Art modernem Bürgertum. Aber aus diesen soziokulturellen Merkmalen leitet sich nicht mechanisch eine politische Verortung ab.

Das grüne Bürgertum verortet sich modern links

Das grüne Bürgertum verortet sich nämlich modern links: Die grünen WählerInnen fordern stärker als jene aller anderen Parteien (auch als die der LINKEN) eine solidarischere Gesellschaft, einen ökologischen Umbau und mehr internationale Gerechtigkeit. Auch die Zustimmungswerte zu konkreten Projekten sozialer Gerechtigkeit – Mindestlöhne, höhere Steuern für Besserverdienende, Bürgerversicherung – liegen bei den grünen WählerInnen weit über dem Durchschnitt. Das Sein bestimmt hier ganz offensichtlich nicht in dem Ausmaß das Bewusstsein, wie es das bürgerlich-konservative Feuilleton gerne hätte.

Daran zeigt sich auch, dass das Argument, es gäbe keine Polarisierung zwischen Links und Rechts mehr, nicht trägt. Natürlich wird nicht jeder einzelne politische Konflikt heute anhand starrer politischer Lagergrenzen ausgetragen. Das Aufbrechen traditioneller Milieus, das Schrumpfen der Volksparteien und neue Dimensionen und Räume politischer Auseinandersetzungen verlangen auch nach neuen Antworten.

Wer aber die Frage nach „links“ oder „rechts“ mit „in der Mitte“ oder „irgendwo dazwischen“ beantwortet, der ist nicht „eigenständig“ oder progressiv, sondern der bezieht in entscheidenden Gerechtigkeitsfragen und gesellschaftlichen Machtkämpfen keine Position. Das ist legitim. Aber es ist in der Konsequenz konservativ. Eine solche Nicht-Aussage kommt daher für eine grüne Gerechtigkeitspartei nicht infrage, weil sie im Kern soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten zementiert, anstatt sie aufzubrechen.

Öko-Scharnierpartei passt programmatisch nicht

Vor allem aber passt die Vorstellung von der Öko-Scharnierpartei programmatisch nicht zu den Grünen. Das Selbstverständnis der Grünen war immer, auf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit nachhaltige, solidarische und emanzipative Antworten zu geben. Was steht jetzt an? Es gilt, den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft ernsthaft zu beschreiben und die Frage nach Wohlstandsmodellen jenseits blinden Wachstums zu beantworten. Die Dimension des notwendigen Umbaus haben selbst die Grünen noch nicht vollständig im Blick.

Es bedarf einer emanzipativen Sozialpolitik und einer Bildungsrevolution, die die sozialen Blockaden unserer Gesellschaft aufbricht. Antworten müssen her, wie die notwendige Haushaltskonsolidierung gelingen kann, ohne dabei in Wachstumsfetischismus oder Sozialabbau zu verfallen. Dabei wird man nicht umhin kommen, die Frage nach der Verteilung des privaten Reichtums zu stellen. Es braucht eine Stimme der progressiven Gesellschaftspolitik, die gleiche Verwirklichungschancen für alle einfordert und die die Bürgerrechte online wie offline verteidigt. Und schließlich braucht es eine Kraft, die für die Stärkung der demokratischen Kultur eintritt, die die Probleme unserer Demokratie vernehmbar anspricht.

Bleiben nur die Grünen

Was die Bearbeitung dieser Herausforderungen angeht, ist klar: Die Linkspartei kann das nicht, die SPD will das (noch?) nicht, in der Union werden die Fragen nur von einer kleinen Minderheit diskutiert, die FDP versteht noch nicht einmal das Problem. Bleiben nur die Grünen. Als ökologische, soziale, progressive und emanzipatorische Kraft der linken Mitte. Und als eine Partei, die die ökologische Frage als zentrales Zukunftsthema versteht, sich aber nicht zur Ein-Themen-Partei degradieren lässt.

Mit dieser programmatischen Orientierung verbindet sich der selbstbewusste Anspruch, die führende Kraft der linken Mitte zu werden. Die Wahl 2009 hat Schwarz-Gelb nicht durch einen Rechtsruck in der Bevölkerung gewonnen, sondern weil erneut mehrere Millionen SPD-WählerInnen der ehemaligen Volkspartei frustriert den Rücken zugekehrt haben.

Gesellschaftliche Mehrheit links der Mitte

Die gesellschaftliche Mehrheit links der Mitte, wie es Willy Brandt einmal formulierte, steht noch immer – aber sie hat sich in weiten Teilen enttäuscht von der Politik abgewandt und ist auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat. Entsprechend sank die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand. Betrachtet man die vergangenen zehn Jahre, dann ist diese Entwicklung noch deutlicher: Die SPD hat seit 1998 über 10 Millionen und somit mehr als die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler verloren

Diese 10 Millionen Menschen wieder gegen Schwarz-Gelb zu mobilisieren, ist der Schlüssel zur Ablösung der konservativ-neoliberalen Regierung 2013. Das ist kein Kampf um eine amorphe Masse, sondern es geht um Mobilisierung, Ansprache und Politisierung spezifischer Milieus der linken Mitte. Mit dem Green New Deal und mit dem neuen Gesellschaftsvertrag haben die Grünen die besten Voraussetzungen dafür, in einen produktiven Meinungsstreit mit der SPD um den Führungsanspruch der linken Mitte zu treten.

10 Millionen Menschen gegen Schwarz-Gelb

Entstehen wird auf diesem Weg hoffentlich eine ausstrahlungskräftige ökologische, solidarische und emanzipatorische Alternative zu Schwarz-Gelb. Das ist die Basis, um wieder jene Menschen zu mobilisieren, die sich enttäuscht zurückgezogen haben. Schwarz-Gelb muss 2013 abgewählt werden. Diesen Kampf mit Leidenschaft zu führen und mit einer politischen Vision zu verbinden, das ist die Aufgabe für die Grüne als inhaltlich führende Kraft der linken Mitte. Das ist vielleicht kein einfacher Weg, aber alle mal mutiger, als sich unter dem tosenden Beifall des konservativen Feuilletons und zur Freude der Strategen im Konrad-Adenauer-Haus in eine politisch beliebige Scharnierpartei zu verwandeln.

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