Debatte Syrien: Eingreifen ja, Militär nein

Die Forderung nach einer militärischen Intervention in Syrien ignoriert die Begebenheiten im Land. Die Revolution muss von innen kommen.

Bedrohte Zivilisten: Heftige Kämpfe in einem Wohnviertel in Aleppo. Bild: reuters

Die Rechnung scheint so einfach: Mehr als 30.000 Tote hat die blutige Niederschlagung des Aufstands in Syrien bislang gekostet – und jeden Tag werden es mehr.

Entsprechend skizziert Dominic Johnson für die Zukunft Syriens zwei Szenarien: ein militärisches Eingreifen von außen, was zwar zu einem Ende mit Schrecken führen dürfte; und das Szenarium eines fortgesetzten Nichthandelns der internationalen Gemeinschaft – welches in einen Schrecken ohne Ende münde. So stringent Johnson die erste Option argumentiert, die Reduktion auf diese zwei Szeanrien ist falsch.

Wer eine Abwägung einer militärischen Intervention – jenseits der ohnehin kritischen Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage – fordert, muss sich genauer mit den spezifischen Begebenheiten und Gefahren in Syrien beschäftigen.

Wie im ganzen Land demonstrierten letzten Freitag in Aleppo wieder Hunderte gegen die brutalen Verbrechen des Assad-Regimes. Doch diesmal ging es auch um etwas anderes. Zahlreiche Demonstranten führten Schilder mit sich, auf denen sie ihren Missmut über die Freie Syrische Armee (FSA) zum Ausdruck brachten. Kein Einzelfall, auch an den Häuserwänden in der Stadt gibt es Graffiti, die den militärischen Ausdruck der Rebellion kritisieren.

Verhältnis zum Gedanken der Revolution

Die Unzufriedenheit der Zivilgesellschaft in Aleppo mit der FSA hat nichts mit fehlenden Erfolgen zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Mut der freien Soldaten, sich mit spärlichen Waffen der gut ausgerüsteten Armee in den Weg zu stellen, genießt allgemeine Anerkennung bei der Opposition.

Unmut macht sich vielmehr breit über das Verhältnis der Kämpfer zur Bevölkerung und zum ursprünglichen Gedanken der Revolution. Die Forderung: Die FSA soll sich den Prinzipien und dem Wertekodex der Revolution verpflichten. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Aleppo der Ursprung der zivilen Proteste gegen die FSA ist.

In den meisten Städten, in denen bewaffnete Aufständische aktiv sind, bilden desertierte Soldaten aus der Region den Grundstock der Truppen, die von militärisch geschulten Bewohnern verstärkt werden. Der Anteil von kämpfenden Ortsfremden in Aleppo hingegen ist sehr groß.

Diese Form der Auseinandersetzungen sind in Aleppo am deutlichsten spürbar, aber längst kein Einzelfall. Unter der Überschrift „Warum hört die Freie Syrische Armee nicht mehr auf das Volk?“ veröffentlichte kürzlich die einflussreiche Anwältin und Aktivistin Razan Zeitouneh einen flammenden Appell. Sie argumentiert: Ohne die Unterstützung der Bevölkerung kann der bewaffnete Widerstand nicht erfolgreich sein. Nur gemeinsam und von innen heraus kann die Revolution gewonnen werden.

Skeptisch gegenüber Nato

Aufgrund der starken Militarisierung der letzten Monate gibt es bereits jetzt eine gefährliche Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und bewaffneten Kämpfern. Trotz Flächenbombardements und katastrophaler humanitärer Lage werden von AktivistInnen vor Ort das Verhalten der FSA und ihre fehlende Anbindung an die politische Revolution offen kritisiert – die Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen Assad an sich stellen sie aber nicht in Frage.

Einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dieser Entfremdung leistet die ständige Intervention einiger Golfstaaten in Form von Militärhilfe für bestimmte bewaffnete Gruppen. Wenn sich erst einmal eine ausländische Armee auf Seiten der Opposition einmischen sollte, würde das endgültig zu einer Trennung zwischen politischem und militärischem Widerstand führen.

Mit der Folge, dass politische AktivstInnen, die vor Ort seit mehr als 19 Monaten den Aufstand tragen, marginalisiert und auch in der Phase nach dem Sturz des Regimes wohl keine Rolle mehr spielen würden.

Die Auseinandersetzungen zwischen der Zivilgesellschaft und der FSA zeigen aber auch, dass es in diesem Aufstand nicht nur um den Sturz von Baschar al-Assad geht. Oft haben in der Vergangenheit die Netzwerke der AktivistInnen Anschläge von radikal religiösen Gruppen, bei denen bewusst der Tod zahlreicher Zivilisten in Kauf genommen wurde, scharf kritisiert.

Doppelzüngigkeit der westlichen Politik

Für sie war immer klar, dass das Ziel nicht die Mittel heiligt. Deshalb ist wohl auch die Einrichtung einer Flugverbotszone nicht vereinbar mit dem Wertekodex der AktivistInnen. Denn dafür müsste als Erstes die Luftabwehr der syrischen Armee ausgeschaltet werden, die sich häufig in der Nähe von Wohngebieten befindet. Eine hohe Anzahl ziviler Opfer durch die Luftangriffe ist dabei sehr wahrscheinlich.

Die zutiefst skeptische Haltung der Menschen in Syrien gegenüber der Nato würde dies noch verstärken. Sie haben die Doppelzüngigkeit westlicher Politik erlebt, die Syrien einerseits in die Achse des Bösen einreihte, andererseits stark auf Stabilität im Nahen Osten ausgerichtet ist, je nachdem, wie es gerade passte.

Auch militärische Gründe sprechen gegen eine Militärintervention. Die Stärke des syrischen Militärs, das sich bei einem Angriff von außen wieder stärker hinter das Regime stellen dürfte, die Unübersichtlichkeit des Terrains und der verschiedenen lokalen Gruppen lassen Nato-Strategen einen Einsatz ablehnen.

Es ist unerträglich zu sehen, wie ganze Wohnviertel von der syrischen Luftwaffe zerbombt werden. Eine militärische Intervention von außen wird aber nicht erfolgreich sein, sondern das Problem bestenfalls verlagern, nicht aber lösen. Das heißt aber nicht, dass die Menschen im Westen zum Zuschauen verurteilt sind. Im Gegenteil: Wir sollten intervenieren, und zwar dringend, aber nicht militärisch.

Der Westen muss endlich ernsthaft und auf Augenhöhe mit Russland und dem Iran über eine Lösungsstrategie beraten; der Plan des UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi für einen Waffenstillstand muss unterstützt werden. Und schließlich brauchen die AktivistInnen und deren zivile Komitees unsere praktische Unterstützung. Trotz aller Bewaffnung und Eskalation ist es die junge syrische Zivilgesellschaft, die das Rückgrat des Aufstands gegen die Diktatur und die Hoffnung für einen Neuanfang verkörpert.

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