Debatte US-Kongresswahlen: Die Enthusiasmuslücke

Bei den Kongresswahlen in den USA werden die Enttäuschten den Ausschlag geben. Denn ihr typisch amerikanischer Optimismus ist der Depression gewichen. Eine Erklärung.

Selbst bei den Hispanics kann sich nur noch die Hälfte vorstellen, wählen zu gehen. Bild: ap

Die Medien haben die anstehenden Midterm Elections, bei denen die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, ein Drittel der Senatoren und die Gouverneure zahlreicher Bundesstaaten zur Wahl stehen, zum Referendum über Barack Obama erklärt. Die Umfragen sind recht eindeutig: Die Stimmung geht gegen den Präsidenten. Die Frage ist eigentlich nur noch: Werden die Demokraten ein schlechtes Wahlergebnis erzielen oder ein katastrophales?

Nicht mal mehr auf seine einstmals größten Fans, die Hispanics, kann Obama noch zählen. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Hispanic Center zeigt zwar, dass die Wahlberechtigten mit lateinamerikanischen Wurzeln immer noch zu 65 Prozent demokratisch wählen würden - nicht viel weniger als die 67 Prozent, die vor zwei Jahren für Obama stimmten. Das Problem ist der Konjunktiv: Die Antworten zeigen, was die Befragten wählen würden, wenn sie wählen gingen. Aber nur die Hälfte der Hispanics gab an, dass sie definitiv vorhat, an den Wahlen teilzunehmen.

Die Nichtwähler sind inzwischen Obamas größte Herausforderung. Die demokratischen Wahlkampfstrategen sprechen von einer "Enthusiasmuslücke" zu den Republikanern. Aber warum können sich so viele von denen, die noch vor zwei Jahren enthusiastisch "Yes, we can" schrien, nun auf einmal nicht mehr für den einstigen Hoffnungsträger begeistern?

Die Antwort ist zumindest auf den ersten Blick einfach: It's the economy, stupid! Das wissen allerdings auch die Demokraten, spätestens seit Bill Clinton mit diesem Motto die Präsidentschaftswahlen gegen den Republikaner George Bush senior gewonnen hat.

Immerhin fiel Obamas bisherige Amtszeit in die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er-Jahre. Dafür kann er nichts. Er hat sich sogar redlich bemüht, das Schlimmste zu verhindern. Er hat die Banken vor dem Kollaps bewahrt und eine große Finanzreform durchgedrückt. Nur: Pluspunkte bei der Wählerschaft bringen steuerfinanzierte Bankenrettungspakete und tausendseitige windelweiche Gesetzeskompromisse nun wirklich nicht.

Was die Wähler sehen, ist der Zustand der Wirtschaft da, wo er sie direkt betrifft: auf dem Immobilienmarkt und auf dem Arbeitsmarkt. Mehr als 100.000 Häuser und Wohnungen werden in den USA zwangsversteigert - pro Monat. Fast 15 Millionen Amerikaner sind arbeitslos. Allein im vergangenen Monat wurden weitere 95.000 Stellen abgebaut. Die Erwerbslosenquote verharrt auf einem Rekordstand von 9,6 Prozent.

Die Wirklichkeit auf dem rauen amerikanischen Arbeitsmarkt ist dabei noch viel härter, als die Zahlen vermuten lassen. Würde man alle die mitzählen, die sich mit ein paar Stunden Arbeit über Wasser halten und gern mehr arbeiten würden, dann käme man auf eine Jobsuchendenquote von 17 Prozent. Und das bei einem sozialen Netz, das in den USA noch weit löchriger ist als hierzulande.

Mobile Unzufriedenheit

Aber erklärt das die miserablen Umfragewerte für die Demokraten? Nein, denn die Zufriedenheit mit Obama ist viel niedriger, als die wirtschaftliche Situation diversen demoskopischen Modellen zufolge nahelegen würde. Und so kritisieren die Befragten eben nicht nur die Wirtschaftspolitik der Regierung. Im Sommer hatte eine Umfrage des den Demokraten nahestehenden Instituts "Democracy Corps" ergeben, dass die US-Amerikaner das größte Problem weniger in der hohen Arbeitslosenquote sehen (6 Prozent) als darin, dass Obama ein Sozialist oder Kommunist sei (8 Prozent).

Zusammengefasst lautet das Ergebnis der repräsentativen Umfragen ganz einfach: Die US-Amerikaner sind insgesamt unzufrieden! Mal mit der Gesundheitsreform oder den Umgang mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, mal mit dem hohen Haushaltsdefizit, der Nachgiebigkeit gegenüber dem Preisdumping der Chinesen oder gegenüber den Einwanderern aus Lateinamerika - je nachdem, was die Meinungsforscher gerade auf ihren Fragebögen stehen haben. Und diese Unzufriedenheit trifft keineswegs nur die Demokraten, sondern auch republikanische Abgeordnete und Senatoren, die Protestwähler durch Vertreter der radikal rechten Tea-Party-Bewegung abzulösen drohen.

Zermürbter Optimismus

Die Amerikaner haben auch früher schon teilweise heftige Rezessionen ausgestanden, zuletzt beim Platzen der Dot-com-Blase. Die typische Entwicklung sah dabei stets so aus, dass der Optimismus sich noch schneller erholte als die Konjunktur. Sind die USA denn nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo es doch eigentlich noch jeder vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht hat oder zumindest bringen könnte, wenn er sich nur genug anstrengt? Was macht da schon eine zweifellos nur vorübergehende Rezession, ein vielleicht gekündigter Job aus. Doch im Unterschied zu früheren Krisen hat dieses Grundvertrauen diesmal schwer gelitten. Die Verunsicherung wächst.

Nicola Liebert ist freie Journalistin und Wirtschaftsexpertin. Sie hat mehrere Jahre in New York gearbeitet und dort den Crash der "New Economy" miterlebt.

Das spiegelt auch das heißeste Thema im aktuellen Wahlkampf wider: die Einwanderungspolitik. Im klassischen Einwandererland USA profilieren sich immer mehr rechte Hardliner, die an der Grenze zu Mexiko all diejenigen abgreifen, die über die alles andere als grüne Grenze zu gelangen versuchen. Arizona gab sich bereits ein extrascharfes Einwanderungsgesetz. Nebenan im traditionell recht aufgeschlossenen US-Staat New Mexico will eine Staatsanwältin mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund Gouverneurin werden: Eine Republikanerin wirbt mit dem Slogan "Wo ist der, der durchgreift?" gegen illegale Einwanderer. Mit ihrer wachsenden Xenophobie nähern sich die USA langsam an die Verhältnisse in Europa an.

Barack Obama hat sich vor den Wahlen zwar einen Unterstützer gesucht: Bill "It's the economy" Clinton. Immerhin hatte der in seinen ersten Midterm Elections auch die Mehrheit im Kongress an die Republikaner verloren, triumphierte dann aber zwei Jahre später wieder bei den Präsidentschaftswahlen. Aber diesmal ist alles anders. Das Erstaunliche an dieser Krise ist, wie sehr sie über Wirtschaftsprobleme hinaus ans Eingemachte geht: an den American Dream.

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