Debatte Urbanität: Wir sind die Stadt

Negative Schlagworte wie Gentrifizierung prägen derzeit die Debatte. Um die Zukunft unserer Städte zu gestalten, braucht es positive Leitbilder.

Allein schon die Schlagworte, mit denen über die Entwicklung unserer Städte geredet wird: Gentrifizierung, Segregation, brennende Autos. Der Tonfall, in dem man über die Zukunft des urbanen Zusammenlebens spricht, ist entweder wehleidig oder halbstark. Die Hamburger Künstlerszene staunt, dass die Stadt der Pfeffersäcke wie ein Unternehmen geführt wird.

Die linksradikale Szene tauscht in der Hauptstadt die Kraft des besseren Arguments gegen die befeuernde Wirkung von Grillanzündern, um gegen Luxuskarossen in ihren Kiezen mobil zu machen. Und Bürgermeister wie Kommunalpolitiker trauern den alten Zeiten der "sozialen Durchmischung" hinterher. Die Botschaft wird mit dicken Tränensäcken und gerunzelter Stirn verkündet: Die Stadt ist nur noch etwas für Verlierer. Und alles wird noch viel, viel schlimmer.

Moment mal! Sahen die Innenstädte denn schnuckliger aus, als noch nicht von Segregation und Aufwertung die Rede war? Waren die Fassaden damals nicht grau, schmeckte der Kneipenkaffee nicht grauenhaft? Fror in den Außenklos im Winter nicht die Spülung, lag in der Wohnung keine braune Schicht verbrannten Kohlestaubs? Auch wenn die Frage berechtigt ist, welchen kulturellen Mehrwert "Coffee to go"-Stationen an jeder Straßenecke besitzen - jammern allein bringt es auch nicht. Die Ware Wohnen ist zwar teurer geworden - aber eben auch hübscher.

Brachflächen zu Pocketparks

Kein Zweifel, viele Städte haben an Lebensqualität gewonnen. In Stralsund erwecken junge Familien die ehemaligen Altstadtruinen zu neuem Leben. In Leipzig werden Pferdeställe zu Wohnungen umgebaut und Brachflächen zu Pocketparks. In Berlin haben Projektentwickler in den Baugruppen nicht nur eine preisliche, sondern auch eine ästhetische Konkurrenz bekommen. Die Wüstenrotgesellschaft hat sich eines Besseren besonnen: Stadt ist wieder in aller Munde.

Uwe Rada ist Berlin-Redakteur der taz. Seine Spezialgebiete sind Stadtentwicklungsprozesse sowie die polnische Gesellschaft. Zuletzt erschien im Siedler-Verlag von ihm: "Die Oder. Lebenslauf eines Flusses". Demnächst erscheint dort auch "Die Memel. Kulturgeschichte eines europäischen Stromes". Er wohnt in Prenzlauer Berg.

Dass aus einem Mehr an Aufwertung, Entmischung, Verdrängung nicht ein Weniger an Stadt wird - Stichwort: Provinzialisierung -, das ist die Aufgabe von Bürgern und Politikern gleichermaßen. Zugegeben: Die Spielräume sind begrenzt. Zwischen Flensburg und Garmisch, Aachen und Görlitz macht die Kommunalpolitik das Immergleiche - egal, ob im Rathaus die SPD, die CDU oder die Grünen die Bürgermeister stellen.

Um die verlorenen Stadtbürger der Suburbanisierungsjahre wieder einzusammeln, werden innerstädtische Flächen mobilisiert und schicke Neubauten aus dem Boden gestampft. Die negativen Auswirkungen dieser "Renaissance der Innenstadt" werden dann Quartiersmanagern und der sozialen Feuerwehr überlassen.

Nur: Was sollen die Kommunen anders machen? Die soziale Schere in vielen Quartieren geht nicht deswegen auseinander, weil die Besserverdienenden endlich ihre Lofts bekommen. Im Gegenteil: Viele machen für ihre Traumwohnung eine preiswertere Wohnung frei. Was den Städten zusetzt, ist die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt. Die aber kann kein Kommunalpolitiker per Dekret beenden.

Wettbewerb der Siegerschulen

Doch die Kommunen können das Thema zum Gewinnerthema machen. Hat der Bevölkerungsrückgang in Leipzig, einer schrumpfenden Stadt, nicht zu neuen Grünflächen und mehr nachbarschaftlichem Engagement geführt? Warum nicht mehr Wettbewerb unter den Schulen, damit es auch unter den Bildungseinrichtungen mehr "Siegertypen" gibt? Warum nicht den Genossenschaftsgedanken reaktivieren, der den Städten schon einmal einen Entwicklungsschub brachte?

Politisch gibt es keine Alternative dazu, den sozialen Zusammenhalt und die Teilhabe zu fördern. Eine Stadt, die in lauter separate Milieus zerfällt, ist keine Stadt mehr. Der bisherige Umgang mit dem Thema aber ist zu larmoyant: Soziale Stadt muss rocken. Der politische Wille, das gemeinsame Leben in der Stadt zu gestalten, muss offensiv sein. Nehmen wir das Beispiel Spielplätze. Berlins rot-roter Senat hat es vorgemacht: Kinderlärm muss prinzipiell zumutbar sein. Anders gesagt: Wer kein Kindergeschrei mag, soll aufs Dorf.

Nehmen wir das Beispiel der neuen Nachbarschaften. Wer sagt eigentlich, dass die Werbeslogans der neuen Wohnparks, die dörfliche Abgeschiedenheit inmitten eines urbanen Quartiers versprechen, ohne Streit umzusetzen sind. Stadt ist immer auch Konflikt und ausgehandelter Kompromiss. Was in den Quartieren der Gründerzeit recht ist, sollte in den "Höfen", "Bögen" und "Gärten", die derzeit quer durch die Republik aus dem Boden wachsen, billig sein. American beauty ist ein frommer Disneytraum. Für städtische Nachbarschaften taugt er nicht. Es sei denn, man verwechselt Großstadt mit einem Provinzidyll à la "Bionade-Biedermeier", wie die Zeit das Leben im Berliner In-Bezirk Prenzlauer Berg einmal gehässig nannte.

Vom Ghetto zum Szeneviertel

Auch in so genannten Problemvierteln müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden. Was, bitte, ist daran falsch, leerstehende Geschäfte an Künstler zu geben? Warum nicht ein bisschen Aufwertung und "Soul Kitchen"-Gastronomie in Hamburg-Wilhelmsburg oder Berlin-Neukölln? Wer bei jeder Zwischennutzung gleich Vertreibung alteingesessener Mieter wittert, vergisst, dass er selbst gern in die Szenekneipe geht. Warum können manche Quartiere immer nur Ghetto oder Szeneviertel sein? Warum nicht beides?

Dass um die Zukunft der Quartiere in Berlin, Köln und Hamburg gestritten wird, ist eine Chance. Sich allein gegen die Politik oder gegen Besserverdienende zu richten, ist aber zu kurz gegriffen. Wir alle sind Stadt. Wir alle haben als Mieter oder Käufer am Wohnungsmarkt oder bei der Schulwahl für unsere Kinder an ihr Teil. Wir alle können zur Entmischung beitragen. Oder sie durch unser Engagement zu neuem Leben erwecken.

Ja, es geht um Stimmung und um Lust an Neuem. Warum nicht mit Aufklebern arbeiten? Auf einem steht "Stadt", auf dem andern "Dorf". Den grünen Aufkleber kann sich aufs Fahrrad kleben, wer sein Kind auf eine Gemeinschaftsschule bringt. Der rote Dorfaufkleber kommt auf den Porsche Cayenne. Am Heizpilz klebt beides. Auch das ist Wettbewerb und Dialog.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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