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Debatte über AbschiebungenDie Realitätsverweigerer der Union

Gereon Asmuth

Kommentar von

Gereon Asmuth

Die Union will von Mahnungen ihres Außenministers zur Lage in Syrien nichts wissen. Diesen Fehler hat Deutschland schon einmal gemacht.

„Wir haben natürlich immer noch im Stadtbild dieses Problem“: Damaskus, Syriens Hauptstadt, am 19. Oktober 2025 Foto: Izz Aldien Alqasem/imago

O ffensichtlicher geht es eigentlich gar nicht mehr. Die CDU betreibt komplette Realitätsverweigerung. Kompetenz, Abwägung, Ortskenntnis gar spielen keine Rolle mehr. Das einzige, was zählt, ist populistischer Rassismus, der Abschiebungen als Allheilmittel für sämtliche Probleme der Republik anpreist. Ganz egal, ob sie nun real sind oder allenfalls gefühlt.

Anders ist das seit Tagen anhaltende öffentliche Abwatschen von Bundesaußenminister Johann Wadephul nicht mehr zu erklären. Der ist der bisher ranghöchste Christdemokrat, der ins Nachbürgerkriegs-Syrien gereist ist. Er hat sich vor Ort kundig gemacht und festgestellt: Wir haben ein Problem. Im Angesicht der Ruinen einer völlig zerstörten Vorstadt von Damaskus kam ihm die logische Erkenntnis, dass man dorthin vorerst keine Menschen abschieben sollte.

Doch in der Union will man davon nichts wissen. Bundeskanzler Friedrich Merz verkündete prompt, dass „selbstverständlich“ nach Syrien abgeschoben werden könne. Wadephul sagte daraufhin in der Fraktion, Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945. Wohl in der Annahme, dass seine Frak­ti­ons­kol­le­g:in­nen sich vielleicht besser mit deutscher Geschichte als mit der Lage in Nahost auskennen. Aber die Folge war: Noch mehr Aufregung.

Denn von den versprochenen Abschiebungen will die Union, die sich ja schon im Wahlkampf den Xenophoben als Alternative zur Alternative für Deutschland angepriesen hat, auf gar keinen Fall abbringen lassen. Schon gar nicht durch ein ruiniertes Stadtbild in einem Vorort von Damaskus. Man darf mittlerweile davon ausgehen, dass weite Kreise der Union das nicht machen, um die AfD zu stoppen, sondern weil sie aus tiefstem Herzen rassistische Abschottung einer menschenzugewandten Problemlösung vorziehen.

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Die Abschiebungen sind lange vorbereitet

Angelegt wurde die Möglichkeit zur massiven Abschiebung schon vor fast einem Jahrzehnt. Bis Anfang 2016 hatten fast alle aus Syrien Geflüchteten in Deutschland Asyl bekommen – und damit einen sicheren, dauerhaften Aufenthaltsstatus, der die Basis für gelungene Integration ist. Dann aber verabschiedete die damalige schwarz-rote Bundesregierung unter Angela Merkel das sogenannte Asylpaket II. Sy­re­r:in­nen bekamen fortan in der Regel kein Asyl mehr, sondern nur noch den sogenannten subsidiären Schutz. Auf gut Deutsch bedeutet dies: Sie dürfen bleiben, solange Krieg ist. Aber dann eben nicht mehr.

Mit anderen Worten: Das ist eine lange vorbereitete Integrationsverweigerung von oben. Sie lässt die Betroffenen in einem Schwebezustand, in jahrelanger Unsicherheit – die auf vielen Ebenen die Probleme, die Mi­gra­ti­ons­kri­ti­ke­r:in­nen heute aufstoßen, erst geschaffen hat, statt sie zu beseitigen.

Und es ist die Wiederholung einer fatalen Politik, die schon in den 1990er Jahren gegenüber den aus Bosnien Geflüchteten angewendet wurde. Den Rechtstitel des subsidiären Schutzes gab es damals zwar noch nicht, das Vorgehen aber war ähnlich. Bos­nie­r:in­nen erhielten eine Duldung. Die mehrfach verlängert wurde. Bis irgendein Entscheider in einer Ausländerbehörde entschied, dass es jetzt aber mal reicht.

Die Konsequenz: reihenweise Abschiebungen von ganzen oder auch nur halben Familien. Jugendliche, die allenfalls als Kleinkind in Bosnien gelebt hatten oder sogar in Deutschland geboren waren, die von der Polizei aus Schulen geholt und in Abschiebeflieger gesteckt wurden. All das lief fast immer nach Recht und Gesetz. Und war und bleibt dennoch absolut unmenschlich.

Alles muss raus, wenn nötig auch Wadephul

Denn Flüchtlinge sind Menschen. Sie bauen soziale Bindungen auf. Sie entwickeln ein Gefühl für ein Zuhause, auch wenn die Regierung das nicht vorsieht. Unionsfraktionschef Jens Spahn will Sy­re­r:in­nen gar zum Wiederaufbau in Syrien verdonnern, weil das angeblich patriotisch sei.

Deshalb werden Massenabschiebungen nach dem Modell Bosnien nun von Merz, Spahn, Dobrindt und Co. wortstark vorangetrieben. Alles muss raus, raus, raus. Und falls er dem weiter widersprechen sollte, dann eben selbst Außenminister Wadephul, der die Frechheit hat, seine Par­tei­kol­le­g:in­nen an die Realität, an das Machbare, vielleicht sogar an einen letzten Krümel christlichen Humanismus zu erinnern.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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11 Kommentare

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  • Reiche fair besteuern und mit dem Geld unter anderem Flüchtende aufnehmen und auch hier lassen, solange sie wollen. Außerdem: Länderbegrenzungen abschaffen. Nach wie vor haben alle Menschen auf der Erde das Recht sich frei auf dem Planeten zu bewegen. Alles andere ist Unrecht.

    • @bonus bonus:

      Letzteres gelingt leider erst, wenn die Menschen sich auch über eine Regierungsform einig sind, die dann den ganzen Planeten regiert.



      Wie gut das gelingen kann, sieht man ja schon an Europa...

  • Gelungener Kommentar, der aber leider die Ampel ausspart...



    Die haben ja auch alles mitgemacht, von EU-Außenlagern bis hin zu Abschiebungen nach Afghanistan - und die Ortskräfte in Pakistan hat die Ampel auch nur sehr zögerlich aufgenommen, bzw erst dann zum Thema erklärt, als absehbar war, dass die Ampel gescheitert ist...



    Insofern wie gesagt ein gelungener Kommentar, der aber - wohl aus Absicht - die Grünen von Kritik ausspart.



    Nun ja.

    • @Saskia Brehn:

      Die Grünen regieren nicht mehr und die FDP ist sogar aus dem Bundestag geflogen. Also richtet sich die Kritik jetzt gegen die, die den Kanzler stellen und ein "C" im Namen tragen. Das ist durchaus verständlich.

      • @Aurego:

        Das "C" in der Union ist genauso viel Wert wie das "grün" in Die Grünen.



        Die Union hat sich schon lange von jeglicher Nächstenliebe verabschiedet und die Grünen haben die Kohleverfeuerung in ungeahnte Höhen geschraubt und uns Gasverträge mit immens langer Laufzeit ans Bein gebunden. Auch im Flugverkehr oder so nichts "grünes" gemacht. Umwelt? Nada.



        Und die Kritik des Artikels beleuchtet den Werdegang seit 2016, insofern hätten da alle Parteien, die seit 2016 an der Macht waren und dementsprechend die Möglichkeit hatten, Akzente zu setzen, gewürdigt gehört.



        Passierte auch mit allen außer den Grünen...



        ...und der FDP, richtig. Über die lohnt aber nun wirklich kein Bericht mehr. Tote soll man ruhen lassen 😉

  • Ist ja klar, dass die FAZ jammert: "Johann Wadephul ist mit seiner Kommunikation entgleist. Die Worte des Außenministers machen für Kanzler Merz und die Union das Werben mit Erfolgen in der Migrationspolitik schwer."



    Aber was ist eigentlich das Problem mit der CDU? Sie wollten alles besser machen als die achso schlechte Ampel.



    Nur der zackige Fritze und seine Entourage können den Karren aus dem Dreck ziehen, hieß es.



    Und jetzt? Sie sacken die Lorbeeren der Ampelmaßnahmen ein und haben geringere Migrationszahlen.



    Jetzt könnte man ja eigentlich Mal daran arbeiten, die eigenen Versprechen zu beackern. Gäbe ja nach eigener Aussage ne Menge zu tun.



    Aber es scheint so zu sein, dass sie die (Re) Migrationsschlagzeilen dringender brauchen als die AfD. Sonst sieht es noch jeder: Der Blackrockkaiser ist ja nackich!

    Aber vielleicht war der Außenminister dem Blackrocker ja auch nur zu Diensten: So bleibt Migration in den Schlagzeilen und niemand kümmert sich um die wichtigen Dinge.

  • Der wichtige Unterschied zwischen Herrn Wadephul und seinen Kritikern ist: Er war dort und hat sich die Lage vor Ort angeschaut, die anderen nicht.

  • "Bis Anfang 2016 hatten fast alle aus Syrien Geflüchteten in Deutschland Asyl bekommen – und damit einen sicheren, dauerhaften Aufenthaltsstatus, der die Basis für gelungene Integration ist. Dann aber verabschiedete die damalige schwarz-rote Bundesregierung unter Angela Merkel das sogenannte Asylpaket II. Sy­re­r:in­nen bekamen fortan in der Regel kein Asyl mehr, sondern nur noch den sogenannten subsidiären Schutz. Auf gut Deutsch bedeutet dies: Sie dürfen bleiben, solange Krieg ist. Aber dann eben nicht mehr."

    Auch wenn ganz klassisch Asyl gewährt wird - wegen individueller Verfolgung durch staatliche Stellen -, kann dieses widerrufen werden, wenn die ursprünglichen Gründe (z.B.: das Assad-Regime ist nicht mehr) wegfallen. Das mag aufwendiger sein, weil es evtl. eine individuellere Prüfung erfordert als bei zuerkannter Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärem Schutz. Aber ist natürlich trotzdem möglich.



    Und ich halte es für etwas offensichtlich, Wadephuls offensichtlich emotional gerührtes Gestammel angesichts des sicherlich nicht zufällig besuchten, einzelnen Ortes jetzt plötzlich als Kronzeugen-Aussage für irgendwas ranziehen zu wollen.

    • @Kawabunga:

      Was ich von Syrern gehört habe, geht es ja nicht nur um zerstörte Orte, sondern um das Zusammenleben mit denen, die auf Seiten Assads für den ganzen Terror gesorgt haben, Armee, Scharfschützen, Folterer etc. Viele der Geflüchteten gehören zu Minderheiten, Christen, Kurden...ich verstehe, dass viele Angst haben, auch der Regierung nicht wirklich trauen. Das ist auch der große Unterschied zur Lage hier 1945, es war ein Bürgerkrieg.

    • @Kawabunga:

      Welche präzisen Gründe für subsidiären Schutz oder das Widerrufen von irgendwas sind denn jetzt weggefallen?



      Wenn Herr Wadephul sagt, dass man z. Zt. in Syrien nicht menschenwürdig leben kann, was halten Sie ihm genau entgegen? Haben Sie sich die Situation vor Ort angeschaut? Kennen Sie sich im aktuellen Syrien besser aus? Wenn ja, klären Sie uns bitte auf!

    • @Kawabunga:

      Durch Zufall wird tatsächlich der Außenminister nicht in Damaskus auftauchen. Aber was genau ist es, was da unterstellt werden soll?