Debatte über EU-Asylpolitik: Einig nur darin, nichts zu ändern

Europa bleibt nach der Tragödie von Lampedusa uneins: Lauter Widerstand gegen den Umbau der Asylpolitik kommt aus Deutschland. Die Opferzahl steigt derweil weiter.

Während EU-Politiker über Asylpolitik streiten, geht die Suche nach Opfern vor der Küste Lampedusas weiter. Bild: dpa

LUXEMBURG/BERLIN/DÜSSELDORF/BRÜSSEL dpa/afp/ap | EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso will sich mit Überlebenden der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa treffen. Dazu reist der Politiker am Mittwoch gemeinsam mit EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf die italienische Mittelmeerinsel. Eingeladen hat die beiden der Ministerpräsident des Landes, Enrico Letta, der sich angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms vor allem aus Afrika von seinen europäischen Partnern alleingelassen fühlt.

Doch die EU-Innenminister hatten sich bei ihrem jüngsten Treffen trotz heftiger Kritik zu keiner umfassenden Änderung ihrer Asylpolitik durchringen können. Die Zahl der Opfer des Unglücks stieg derweil auf knapp 300.

Italien hatte seine Partner bei dem Ministertreffen am Dienstag in Luxemburg um mehr Hilfe gebeten. Doch die bestehenden Regeln zur Aufnahme von Flüchtlingen, die insbesondere Mittelmeerländer wie Italien belasten, bleiben erhalten, wie bei den Beratungen deutlich wurde.

Demnach bleibt das Land, in dem ein Flüchtling die EU erreicht, für das Asylverfahren und die Unterbringung verantwortlich. Die EU-Staaten wollen Italien aber mit europäischen Grenzschützern von Frontex bei der Rettung von Flüchtlingen aus Seenot unterstützen. Eine EU-Expertengruppe soll weitere Hilfe für die Mittelmeerländer ausloten.

Mehr Frontex-Einsätze im Mittelmeer

Die Grenzschutzbehörde Frontex solle künftig mehr Patrouillenfahrten im Mittelmeer machen, um die illegale Einwanderung in die EU zu unterbinden und Unglücke wie vergangenen Donnerstag mit Hunderten Toten zu verhindern, erklärte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am Dienstag. Bei der Konferenz in Luxemburg einigten sich die EU-Innenminister darauf, die Kompetenzen der Grenzschutzbehörde auszubauen.

Frontex solle seine Einsätze „von Spanien bis Zypern“ ausweiten, sagte Malmström. Wie genau sie die Patrouillen ausbauen will und bis wann ließ sie zunächst offen.

Umstrittene Statistik

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies in Luxemburg zugleich Kritik des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), zurück. Dessen Forderung, Deutschland müsse mehr tun, beweise „mangelnde Sachkenntnis“. „Deutschland ist das Land, das die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt.“

Laut Statistik kamen in Deutschland 2012 rund 945 Asylbewerber auf eine Million Einwohner, in Italien dagegen nur 260. „Das zeigt, dass die Erzählungen, dass Italien überlastet ist mit Flüchtlingen, nicht stimmen“, betonte der Minister. In dieser Statistik liegen aber andere Länder wie etwa Schweden oder Österreich mit weitem Abstand vorne.

289 Menschen starben vor Lampedusa

Taucher brachten derweil nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa auch am Dienstag Dutzende weitere Leichen an Land, die Zahl der Opfer des Unglücks vor Lampedusa stieg damit auf 289.

Nach Klagen von Deutschland und anderen Staaten über sogenannte Armutseinwanderung präsentierte die EU-Kommission bei dem Luxemburger Treffen einen Aktionsplan. Demnach will die EU die Staaten dabei unterstützen, Scheinehen zu bekämpfen und die Wohnsitze der Einwanderer leichter zu ermitteln. Geld aus dem Europäischen Sozialfonds soll ab Januar 2014 verstärkt in die soziale Integration und den Kampf gegen Armut gesteckt werden.

Friedrich wünscht sich eine Wiedereinreisesperre

Auslöser der Debatte sind Klagen deutscher Gemeinden über zunehmende Fälle von Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien, die in Deutschland Sozialleistungen beantragen. Meist handelt es sich dabei um Angehörige der Roma-Minderheit.

Friedrich forderte die EU auf, hart dagegen vorzugehen: „Es kann nicht sein, dass Freizügigkeit so missbraucht wird, dass man ein Land nur deswegen wechselt, weil man höhere Sozialhilfe haben möchte.“ Der Minister verlangte, klarzustellen, „ob wir diejenigen, die zur Leistungserschleichung nach Deutschland kommen, zurückschicken können und ihnen eine Wiedereinreisesperre auferlegen können.“

Scharfe Kritik an den Innenminister

Die EU-Kommission hält die Sorge Deutschlands für unbegründet. EU-Innenkommissarin Malmström sprach in Luxemburg von teils „stark übertriebenen“ Bedenken. Grünen-Chefin Claudia Roth warf Friedrich Populismus vor.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, warf Friedrich vor, die Tragödie vor Lampedusa zu nutzen, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. „Friedrich versucht, die AfD rechts zu überholen. So wird ein Klima erzeugt, das braune Banden ermutigt. Ein Innenminister, der sich als Hassprediger betätigt, ist eine Gefahr für die innere Sicherheit“, sagte Riexinger der Mitteldeutschen Zeitung (Online-Ausgabe).

Bulgarien und Rumänien sind seit 2007 EU-Mitglieder. Ab 2014 gilt für beide Staaten die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der EU. Manch einer – wie Friedrich – fürchtet, dass dann deutlich mehr Menschen aus diesen Staaten nach Deutschland kommen und die Sozialkassen belasten. Nach Statistiken stieg die Zahl der arbeitsuchenden Sozialhilfeempfänger aus diesen Ländern zwischen 2011 und 2012 in mehreren Städten erheblich – in Berlin um 38,8 Prozent, in München um knapp 60 Prozent.

Rotes Kreuz: Deutschland muss mehr Flüchtlinge aufnehmen

Das Deutsche Rote Kreuz hat die Bundesregierung aufgerufen, sich in der Europäischen Union für eine humanere Flüchtlingspolitik einzusetzen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. „Für Asylsuchende muss es eine legale und sichere Möglichkeit geben, nach Europa einzureisen und hier Schutz zu suchen. Solange dies nicht gewährleistet ist, sind weitere schreckliche Flüchtlingsdramen wie jetzt vor Lampedusa mit zahlreichen Todesopfern zu befürchten“, sagte DRK-Vizepräsidentin Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg der Rheinischen Post (Mittwochsausgabe).

Deutschland müsse auch bereit sein, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen, fügte sie hinzu. Im Sinne einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik müssten allerdings die Flüchtlinge gerecht auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.

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