Debatte über Inklusion auf Twitter: Meine, deine, unsere #Behindernisse

Vor zwei Jahren trendete der Hashtag #Behindernisse. Bis heute nutzen ihn Betroffene. Ihre Geschichten zeigen: Es läuft noch einiges falsch.

Menschen demonstrieren, auf einem Schild steht: Ich will wählen

Menschen mit Behinderung wehren sich gegen herabwürdigende Verhaltensweisen und Gesetze Foto: imago/Markus Heine

Eine Gehörlose, die nicht mitbekommt, dass ihr Zug ausfällt, weil die Ansage nur über Lautsprecher läuft. Eine Familie, die aus dem Lokal gebeten wird, weil sie dem Großvater beim Essen hilft. Ein Rollstuhlfahrer, der von einem Fremden gefragt wird, ob er eigentlich Sex haben kann. Geschichten, die auf Twitter unter dem Hashtag #Behindernisse auftauchen.

Vor zwei Jahren verwendete Blogger_in Ash (sie_er ist eine nicht-binäre trans Person) den Hashtag zum ersten Mal. Ash kommt vom Bodensee und hat mehrere Autoimmunerkrankungen, ist aufgrund von chronischen Schmerzen und andauernder Erschöpfung arbeitsunfähig. Wenn sie_er die Energie dazu hat, teilt Ash Gedanken auf Twitter, YouTube oder schreibt Blog-Einträge. So tauschte Ash sich vor zwei Jahren mit anderen Betroffenen auf Twitter darüber aus, dass er_sie die Bezeichnung „Mensch mit Behinderung“ ablehne, weil sich das so anhöre, als wäre die Behinderung Ashs Problem – es sei aber ein strukturelles Problem. Aus der Diskussion entstand die Idee, über behinderndes Verhalten im Alltag nachzudenken. Ash forderte Betroffene auf Twitter dazu auf, von ihren Schwierigkeiten zu erzählen und dabei den Hashtag #Behindernisse zu verwenden.

Ash glaubt, dass viele Betroffene Hemmungen haben, über Barrieren in ihrem Leben zu sprechen. Dafür brauche es schließlich erst mal einen Raum, den es in sozialen Netzwerken wie Twitter aber gebe. „Am Anfang war der Effekt riesig“, sagt Ash. „Es gab viele Leute, die mir geschrieben haben, dass sie dadurch zum ersten Mal getraut haben zu sagen, wie es ihnen eigentlich geht. Zu unserem zweijährigen Geburtstag möchten wir noch mal Leute motivieren, mitzumachen.“

Denn der Online-Austausch ist für Betroffene eine Chance. Schließlich können sie sich auch vom Bett oder vom Sofa aus beteiligen. Wenn die Belastungsgrenzen erreicht sind, loggen sie sich einfach aus, legen das Smartphone beiseite oder klappen den Laptop zu. Bei einer öffentlichen Veranstaltung geht das nicht. Dazu kommt, dass viele Räume nur über Stufen oder enge Gassen erreichbar sind. Soziale Netzwerke erleichtern den Austausch. Ende letzten Jahres twitterten viele Behinderte zum Beispiel unter #kaumzuglauben darüber, was sich für sie ändern muss.

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Durch den Aufruf auf Twitter lernte Ash auch Romy kennen und sie starteten die Homepage be-hindernisse.org. Romy hat eine linksseitige Hemiparese (eine teilweise Lähmung auf einer Körperseite) und studiert gerade im Master Science und Technology Studies. Gemeinsam sammeln sie die Tweets auf der Seite und ordnen sie verschiedenen Rubriken zu, wie „Fortbewegung“, „Medizin“ oder „Ämter und Behörden“. Dabei schreiben Ash und Romy die Betroffenen auf Twitter an, was sich für sie ändern müsste und veröffentlichen die Vorschläge auf der Homepage. Ashs größter Wunsch sei es zum Beispiel, dass Leute achtsamer seien und häufiger offene Fragen stellen. Aber eben nicht, um die eigene Neugier zu befriedigen. „Wenn ich mit Hilfsmitteln wie einem Rollator unterwegs bin, glauben manche Leute, sie hätten ein Anrecht auf Informationen. Die rennen über die Straße und fragen, was denn mit mir passiert sei. Ganz ehrlich: Warum glauben die, das ginge sie etwas an?“

Barrierefreie Bahnhöfe, mehr Verständnis von den Mitmenschen oder einfach nur erst genommen werden – die Wünsche der Betroffenen sind vielfältig. Der Hashtag soll deshalb auf die unterschiedlichen Probleme im Alltag aufmerksam machen und zeigen, wie verbreitet herabwürdigende Verhaltensweisen gegenüber Behinderten sind. Er soll dazu beitragen, dass Menschen ihre Denkweisen hinterfragen. So dass es am Bahnsteig auch Informationen für Gehörlose gibt. Und dass sie niemanden schief ansehen, weil er nicht selbst essen kann. Oder sich nicht ungefragt nach dem Privatleben fremder Menschen erkundigen.

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