Debatte über Künstliche Intelligenz: Fatale Schlagseite

Die Gesellschaft muss sich beim Thema KI stärker einmischen. Vor allem beim Gestalten der sich jetzt bildenden Anwendungsstrukturen.

Grafische Darstellung: ein Chip im Gehirn eines Menschen

Der Mensch muss aufpassen, dass ihm nicht die Entscheidungsgewalt abhanden kommt Foto: imago/Science Photo Library

BERLIN taz | Die Diskussion über die Künstliche Intelligenz (KI), wie sie derzeit in Politik und Gesellschaft geführt wird, hat eine fatale Schlagseite. Zu sehr werden positive wie negative Auswirkungen für einzelne Anwendungsbereiche erörtert, etwa Medizin, Verkehrstechnik oder Fabrikproduktion. Völlig unterwertig ist dagegen die Debatte über die Gestaltung der entstehenden großtechnischen Strukturen zur Produktion und Nutzung von artificial intelligence, vor allem in der Polarität öffentlich-staatlicher Regulierung und privatwirtschaftlicher Verwertung und Reichtumsverteilung.

Auf dieses Defizit haben jetzt zwei Politikwissenschaftler des AIT ­Austrian Institute of Technology im neuen Technologiejahrbuch für das Europäische Forum Alpbach, den gegenwärtig in Tirol stattfindenden Thinktank für Innovation und Wissenschaft, hingewiesen. Der rasanten Entwicklung von Internet und KI könne der Staat kaum noch regulativ folgen, stellt AIT-Forscherin Petra Schaper-Rinkel fest: „Die Entscheidungen werden heute nicht primär in demokratisch legitimierten Kontexten, sondern von den großen technologischen Playern getroffen: Sie machen weltweit Gesellschaftspolitik.“ Die derzeitige Sozialpolitik beschränke sich dagegen auf die Auswirkungen der Technologien auf die Arbeit wie etwa das Entstehen des Crowdworking-Bereichs.

„Aber es kommt niemand auf die Idee, sich um die Gestaltung der Infrastrukturen zu kümmern, die arbeits- und sozialpolitisch zentral für die Zukunft sind“, bemängelt Schaper-Rinkel im Technologiejahrbuch, das ganz der KI gewidmet ist. „Im 19. Jahrhundert hat man aus guten Gründen die Telekommunikation oder die Bahn quasi nationalstaatlich organisiert.“ Die Begründung für das Primat der öffentlichen Hand: „Das sind die Infrastrukturen, auf denen der Fortschritt beruht.“

Schon jetzt verändere sich unter der Digitalisierungs­dynamik der Prozess der öffentlichen Wissenschaft massiv, ergänzt AIT-Innovationsforscher Matthias Weber. Auf die Geschwindigkeit der Innovationsprozesse könne die herkömmliche Forschungs- und Technologiepolitik „mit ihrer eher langsamen Herangehensweise nicht mehr schnell genug reagieren“.

Nötig ist aus Sicht der AIT-Experten eine Disruption weniger in der Innovation als vielmehr in der politischen Rahmengestaltung, womit sich dann auch viele Nebenprobleme erledigten. „Wenn etwa der Internethandel in Europa auf einer kollaborativen Plattform stattfinden würde statt auf Amazon“, gibt Petra Schaper-Rinkel zu bedenken, „ließe sich der Zugang zu den Daten demokratisch regeln.“

Dann gäbe es sowohl individuelle Transparenz als auch die Möglichkeit der Steuerung, Stichwort Datenschutz. Es könnten zugleich aber auch „gesamtgesellschaftliche Vorteile des Wohlfahrtsstaats allen zugutekommen“, zeigt sich die Wiener Technikforscherin überzeugt.

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