Debatte über Tierversuche: Sollen Tiere für den Menschen leiden?

Wissenschaftler forschen an Tieren, um den Menschen besser zu verstehen. Auch an Primaten. Das ist ein ethisches Dilemma.

Ein Versuchsaffe schaut durch ein Gitter. Eine Hand mit Handschuh reicht ihm etwas zu essen

Eine notwendige Qual? Foto: dpa

Wir teilen Tiere in Haustiere, Nutztiere und Versuchstiere ein. Das prägt unser Verhältnis zu ihnen. Den einen geben wir Namen, wir umsorgen sie und trauern, wenn sie sterben. Die anderen werden zu Steak und Schnitzel. An letzteren testen wir Medikamente und Forschungsfragen.

Mit der Unterteilung regeln wir nicht nur den unterschiedlichen Umgang mit den Tieren, sondern gestehen ihnen auch unterschiedliche Rechte zu. In der Massentierhaltung gelten andere Gesetze, was Haltung und Tötung angeht, als bei Tierversuchen.

Der griechische Philosoph Aristoteles hat die Lebewesen in ein hierarchisches Stufenmodell eingeordnet, mit dem Menschen als „Krone der Schöpfung“. Aus der Hierarchie folgte die Legitimation zur Beherrschung der scheinbar niedrigeren Spezies – und zu ihrer Verwertung für den Nutzen der höher gestellten.

Im Streitgespräch, das am Samstag, 30. Juli, in der taz. am wochenende erscheint, treffen zwei Koryphäen ihres jeweiligen Forschungsfelds erstmals aufeinander und diskutieren über die Moral von Tierversuchen. Die deutsche Philosophin und Tierethikerin Ursula Wolf kritisiert darin die „Sonderstellung des Menschen“. Sie fragt: Mit welchem Recht verwenden wir Tiere so, wie es uns bei Menschen nie in den Sinn käme?

Am Sonntag demonstrieren tausende Erdogan-Fans in Köln. Wie schätzen Deutsch-Türken die aktuelle Lage in der Türkei ein? taz-Autor Volkan Agar war in der Kölner Keupstraße und sprach mit Anwohnern und Ladenbesitzern. Seine Reportage lesen Sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Juli. Außerdem: Eine Tierethikerin und ein Affenforscher diskutieren über Moral und Tierversuche. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit erklärt nach den Anschlägen, was die Täter eint. Und ein taz-Autor beschreibt seine Sammelleidenschaft für Schockbilder auf Zigarettenschachteln. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Für den Neurowissenschaftler und Leiter des Deutschen Primatenzentrums Stefan Treue gibt es hingegen eine klare „Spezies-Grenze“, er spricht sich dagegen aus, Tieren Menschenrechte zuzugestehen. „Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, dass der Mensch die nötigen kognitiven Fähigkeiten besitzt, für sich selbst zu entscheiden“, sagt der Leiter des Primatenzentrums. Für Ursula Wolf ist das kein Argument für einen anderen moralischen Umgang mit Tieren. „Ansonsten könnten wir ja auch sagen: Wir nehmen für die Tierversuche nicht nur Affen, sondern auch Säuglinge.“ Sie ist der Meinung, dass Tierversuche nur dann legitim sind, wenn die Tiere gar nicht oder nur punktuell dabei leiden müssen.

Wolfs geht bei der moralischen Bewertung von der Leidensfähigkeit eines Lebewesens aus, man nennt diese Position pathozentrisch. Eine andere Position ist es, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen, das nennt man dann anthropozentrisch. Ursula Wolfs pathozentrische Position stützt sich auf ein Denken, das Arthur Schopenhauer geprägt hat. Die Basis uneigennützigen Handelns ist nach Schopenhauer die Erkenntnis des Eigenen im Anderen, dabei schließt er auch Tiere mit ein. Immanuel Kants anthropozentrischer Ansatz lässt sich daran erkennen, dass er forderte, der Mensch solle vor allem deshalb keine Tiere quälen, weil es ihn emotional abstumpfen lässt. Und diese Verrohung würde sich wiederum negativ auf den Umgang der Menschen miteinander auswirken.

Für Peter Singer, der als Begründer der modernen Tierethik gilt, sind Leidensfähigkeit und Selbstbewusstsein eines Lebewesens die Basis moralischer Überlegungen. Die Zugehörigkeit zur Spezies „Mensch“ ist für den Philosophen nicht ausschlaggebend. Ähnlich wie beim Rassismus geht er davon aus, dass die Unterteilung in Spezies ein soziales Konstrukt ist und kritisiert die Praxis als „Speziesismus“. Problematisch wird seine Argumentation, wenn er die Präferenzen, die ein geistig weiter entwickeltes Lebewesen wie ein erwachsener Hund oder ein Affe besitzt, über die eines Säuglings oder geistig beeinträchtigten Menschen stellt.

Theoretische Überlegungen stoßen allerdings schnell an eine Grenze, wenn sie mit der Realität konfrontiert werden. Sobald viele Menschenleben auf dem Spiel stehen, wie das bei globalen Epidemien und chronischen Erkrankungen der Fall ist, wird anders gehandelt. Meistens wird in diesen Debatten dann die Fortdauer und Verbreitung menschlichen Lebens zum allerhöchsten Ziel der Politik erklärt.

Der Tierforscher Stefan Treue fordert im Gespräch eine „allgemeine Ethik“ und stellt die Frage, warum für Tierversuche andere Gesetze gelten als für die Massentierhaltung. Er sieht sich als Tierfreund und sagt: „Gäbe es einen Durchbruch, der dieselben wissenschaftlichen Erkenntnisse und Fortschritte ohne Primatenversuche ermöglichen würde, würde ich sofort aus der Primatenforschung aussteigen.“ Doch solange das nicht der Fall ist, sind Tierversuche für ihn notwendiges Übel.

Was denken Sie darüber? Müssen Tiere für den Menschen leiden? Diskutieren Sie mit!

Das von Heike Haarhoff moderierte Streitgespräch zwischen der Tierethikerin Ursula Wolf und dem Leiter des Deutschen Primatenzentrums lesen Sie in voller Länge in der taz.am wochenende vom 30./31. Juli.

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