Debatte über den arabischen Frühling: Tage der Früchte des Zorns

Brauchen Revolutionen zum Erfolg eine Führung - oder gerade nicht? In der Berliner Linken wird über die arabischen Aufstände heiß diskutiert.

Demonstration in Libanon gegen das politische System am vergangenen Wochenende. Bild: rtr

Während die Kämpfe in Libyen noch unentschieden sind, melden sich nun die Interpretatoren der arabischen Aufstände zu Wort, dazu häufen sich die linken Veranstaltungen. So ging es im Friedrichshainer Stadtteilladen "Zielona Gora" auf dem letzten "Roten Abend" der "Internationalen Kommunistinnen" um den Iran, nachdem daran erinnert worden war, dass die hiesige Linke auf besondere Weise mit dem Land verbunden ist: Bei ihren Protesten gegen den Besuch des Schahs in Westberlin hatte sie 1967 ihren ersten Toten zu beklagen: Benno Ohnesorg.

Die Hauptreferentin war eine iranische Aktivistin, die das 1979 auf den Alleinherrscher folgende Mullah-Regime ins Exil nach Berlin vertrieben hatte. Bis heute sei es derart gefestigt, sagte sie, dass an einen Volksaufstand im Iran noch nicht zu denken sei. Eine Forderung wie "Der Schah muss weg!" reiche eben nicht, man brauche eine die Widerstandsgruppen zusammenfassende Organisation mit Programm und Führung. Das sehen die Sprecher der Jugendorganisationen in Kairo offenbar anders: Sie bestehen darauf, dass es gerade von Vorteil sei, dass sie keine solche "Figuren" haben und die Gruppen selbst bestimmen, was sie tun und was sie wollen.

Auf der Nahost-Veranstaltung des Kreuzberger "Partisan.Net" am Samstag im Mehringhof verleitete das den aus Paris eingeladenen Hauptredner Bernard Schmid zu der Einschätzung: "Wir werden zwar keine Räterepubliken haben am Mittelmeer in einigen Jahren. Dennoch kann man sagen, dass die Organisations- und Aktionsformen de facto basisdemokratisch sind."

Wieder anders sahen das auf einer Veranstaltung in Prenzlauer Berg zwei Aktivisten vom Chaos Computer Club, die Bloggern in Oman und Libyen während der Internetsperren mit Rat und Gerät geholfen hatten: "Als das Internet abgestellt wurde, gingen die jungen Leute auf die Straße und spielten das nach, was sie zum Beispiel im Internet-Game ,World of Warcraft' gelernt hatten."

Die Ausgangslage ist jedoch in jedem arabischen Land anders: Während es in Tunesien laut Bernard Schmid die Unterschicht war, die den Aufstand begann, nachdem einer von ihnen vor einer Polizeiwache Selbstmord begangen hatte, war es in Ägypten die gut ausgebildete städtische "Facebook-Generation", nachdem die Polizei einen Blogger im Internetcafé totgeschlagen hatte. Ihren Protesten schlossen sich zunächst die Studenten und Intellektuellen an. Drei Tage später kamen die organisierten Gewerkschafter sowie Streikende aus dem Nildelta dazu. Schließlich das Subproletariat und die Fußballfans. Ab dem 8. Februar gab es zusätzlich eine Streikwelle, so Schmid.

Auf der Gegenseite spielt das Militär ebenfalls in jedem Land eine andere Rolle. In Libyen ist es auf die Seite der Aufständischen übergetreten und hat sich einem "Nationalrat" unterstellt, der seine Basis in den neuen "Volkskomitees" der "befreiten Gebiete" hat. Diese befinden sich im wirtschaftlich von Gaddafi vernachlässigten Osten des Landes. In Tunesien stellte sich das Heer zwischen Polizei und Demonstranten. In Ägypten hat das Militär, dem große Teile der Landwirtschaftsflächen gehören, den Übergang zu einer Neuordnung geschafft: "Das wird auf so etwas wie eine kontrollierte Demokratie hinauslaufen", meinte Schmid. Es gäbe zwar einen regen "Ideenaustausch", aber keine "Gegenmacht", die bereitstehe oder sich bilde - abgesehen von Libyen, wo man die Lage jedoch schwer einschätzen könne.

Auf der Iran-Veranstaltung hatte ein persischer Linker über die Proteste in Teheran geurteilt: "Für die Freiheit zu kämpfen, wenn damit nur die eigene, persönliche, gemeint ist, das reicht nicht." Und ein Friedrichshainer Linker hatte hinzugefügt: "Für eine Demokratie, wie wir sie hier kennen, zu kämpfen - ist doch auch nichts." Das sahen die vor der islamischen Diktatur geflüchteten iranischen Frauen, die sich zu Wort meldeten, natürlich differenzierter.

Der Pariser Soziologe Michel Maffesoli sieht einen Zusammenhang zwischen der "Jahrhundertrevolution der Araber", wie der Spiegel die Aufstände nennt, und den steinewerfenden Jugendlichen in der Pariser Banlieue sowie den sich in Internetforen anonym über Oral- oder Analsex austauschenden Jugendlichen. All dass zeuge vom Ende des "Individualismus", dem Leiden an der Privatisierung, der Rückkehr zum Gemeinschaftsideal und vom Wunsch nach Aufhebung aller Trennungen.

Auch die Aufständischen auf dem Tahrirplatz haben als das beglückendste Erlebnis erwähnt, dass Frauen und Männer aus allen Schichten, Altersgruppen und Konfessionen zusammengekommen waren, um gemeinsam zu kämpfen. Das hat auch hier in der Winterkälte so manchem Linken das Herz erwärmt.

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