Kompromisse zum Bürgergeld: Mehr Sanktionen, weniger Karenzzeit

Im Streit ums Bürgergeld gibt es Bewegung. Zuvor hatte der Sozialverband VdK eine Warnung ausgesprochen.

"Das Bürgergeld kommt" ist auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durch eine Brille zu lesen.

Kommt das Bürgergeld nun also wirklich? Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

BERLIN dpa/afp/rtr | Nach tagelangem Ringen haben die Ampelkoalition und die Union den Weg für das geplante Bürgergeld freigemacht. Beide Seiten erzielten in den Streitfragen zu der geplanten Sozialreform Kompromisse, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Koalitionskreisen in Berlin. Das Bürgergeld soll zum 1. Januar 2023 die heutigen Hartz-IV-Leistungen ablösen.

Die Union hatte verlangt, dass es mehr Sanktionen für Empfängerinnen und Empfänger gibt als ursprünglich geplant. Solche Leistungsminderungen sollen greifen, wenn Arbeitslose sich zum Beispiel nicht für einen Job bewerben, obwohl dies mit dem Jobcenter vereinbart war. Die Ampel hatte eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten vorgesehen, in denen es diese Sanktionen nicht geben sollte.

Zudem forderten CDU und CSU, dass Betroffene weniger eigenes Vermögen behalten dürfen, wenn sie die staatliche Leistung erhalten. Die Ampel hatte ein Schonvermögen von 60.000 Euro vorgesehen. In diesen Punkten soll es eine Einigung geben, wie von mehreren Seiten verlautete.

Dieses Schonvermögen soll nun 40.000 Euro betragen und 15.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt. Die geplante Karenzzeit von zwei Jahren, in denen die Kosten der Wohnung ohne weitere Überprüfung übernommen werden, wird auf ein Jahr verkürzt. Auf die sogenannte Vertrauenszeit von sechs Monaten, in denen auf Sanktionen aufgrund mangelnder Mitwirkung verzichtet werden sollte, entfällt ganz.

Die FDP hatte Grüne und SPD zuvor zu Kompromissen aufgefordert. Auch „noch attraktivere Hinzuverdienstregeln“ sollten dabei in den Blick kommen. Laut bisherigem Entwurf soll künftig mehr von seinem Einkommen behalten können, wer zwischen 520 und 1.000 Euro verdient.

Bereits geplant war, dass der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundestag einen Kompromiss an diesem Mittwoch festzurrt. Bis Freitag sollen Bundestag und Bundesrat das Bürgergeldgesetz beschließen. Zum 1. Januar sollen dann die Bezüge etwa von Alleinstehenden um mehr als 50 Euro auf 502 Euro steigen.

Mahnungen vom Sozialverband VdK

Im Streit zwischen Bundesregierung und Union um das Bürgergeld hatte der Sozialverband VdK zuvor vor einer Verzögerung der Reform gewarnt. Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag an diesem Mittwoch sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, das Bürgergeld müsse zum geplanten Zeitpunkt kommen. Sie mahnte zudem: „Bei allem Zeitdruck müssen trotzdem Kompromisse gefunden werden, die für eine wirkliche Verbesserung für die Betroffenen sorgen und in der Praxis gut umsetzbar sind.“

Verena Bentele, VdK-Präsidentin am Rednerinnenpult

Verena Bentele, VdK-Präsidentin, warnt vor Kompromissen beim Bürgergeld, die zulasten derer gehen, die das Geld dringend benötigen Foto: Britta Pedersen/dpa

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) drängte auf eine schnelle Einigung. Das Gezerre zwischen Ampelregierung und Union sei „unwürdig“. Es werde auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ausgetragen: Kindern und Jugendlichen, sagte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller der Stuttgarter Zeitung.

Nach den Plänen der rot-grün-gelben Bundesregierung soll die Sozialreform zum Jahresbeginn greifen. Das Bürgergeld soll das heutige Hartz-IV-System ablösen. Die Reform sieht unter anderem höhere Regelsätze und eine eingehendere Betreuung von Arbeitslosen vor. Sie war im Bundesrat am Widerstand von Landesregierungen mit Führung oder Beteiligung der Union gescheitert. Aus Sicht von CDU und CSU wird Betroffenen ein zu großes Schonvermögen zugestanden. Zudem müssten sie zu wenige Sanktionen bei Pflichtverletzungen fürchten.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte am Montag erklärt, Grundlage für eine Zustimmung der Union könnten nicht bloße Zusagen der Ampelkoalition sein, sondern nur ein fertig ausformulierter Gesetzentwurf. Beim sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro habe die Union im Frühjahr mit politischen Zusagen der Ampel „nur schlechte Erfahrungen gemacht“, erläuterte der CDU-Chef. Es sei von diesen Zusagen keine einzige eingehalten worden.

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) appellierte an die Union, sich kompromissbereit zu zeigen. „Es kann kluge Kompromisse geben, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Dann werden sich CDU/CSU aber auch bewegen müssen“, sagte Rehlinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Union müsse sich entscheiden, ob sie die Partei dauerhaft über das Land stellen wolle. „Die CDU-Ministerpräsidenten tragen Verantwortung für Millionen Menschen und nicht nur für das CDU-Präsidium“, erklärte Rehlinger.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten: „Mit gutem Willen lässt sich ein guter Kompromiss in Sachen Bürgergeld erzielen, für politische Scheindebatten ist das Thema ungeeignet.“ Bei der Kritik der Opposition am Bürgergeld schwinge „teilweise eine erschreckende Ignoranz und soziale Kälte“ mit, meinte er.

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