Debatte um Jugendgewalt: Im hessischen Glashaus

Die CDU scheint genug von Kochs Ideen zu haben. Selbst die CSU ist besonnener. Kein Wunder, ist die Jugendgewalt in Hessen doch besonders hoch.

Nicht nur Demonstranten auf der Straße, sondern auch CDU-Funktionäre wissen, dass Koch sein eigenes Haus in Sachen Kriminalpolitik schlecht bestellt hat. Bild: dpa

Roland Koch wird von der eigenen Partei zurückgepfiffen. Am Montag wandte sich das CDU-Präsidium gegen die Pläne des hessischen Ministerpräsidenten, das Jugendstrafrecht auf Kinder anzuwenden. "Es geht uns nicht um die Absenkung der Strafmündigkeit für Kinder", sagte Generalsekretär Ronald Pofalla nach der Sitzung des Präsidiums. "Kein Mensch will Kinder in Gefängnissen."

Inzwischen gilt das offenbar für Roland Koch selbst. Hatte er am Wochenende noch gefordert, das Strafrecht auf Kinder unter 14 Jahren anzuwenden, mühte sich die hessische Staatskanzlei am Montag darum, Kochs Aussagen zu relativieren: "Die Zuspitzung, die das Ganze erfahren hat, hat mich selbst überrascht." Ein Verschärfen des Jugendstrafrechts fordert die CDU-Führung aber weiterhin.

Dass die Union bei der Bestrafung von Kindern zurückweichen musste, dürfte vor allem an den heftigen Reaktionen liegen. Erst am Montag mussten die Christdemokraten wieder Kritik einstecken, dieses Mal von Kriminologen, Strafverteidigern und Staatsanwälten. Mehrere Verbände wie der Deutsche Strafverteidiger e. V. und die Neue Richtervereinigung widersprachen den Verlautbarungen der Unionsparteien, dass härte Strafen abschreckend auf kriminelle Jugendliche wirken würden. "Will Koch die 12- und 13-Jährigen etwa zu den älteren Tätern ins Gefängnis stecken?", schimpfte Klaus Pförtner, Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Die Idee sei "absoluter Quatsch". Auch den anderen Vorschläge der Union konnten die Fachleute nichts abgewinnen. Sie seien "ein Höhepunkt der Ignoranz gegenüber dem bestehenden Fachwissen", sagte Natalie von Wistinghausen von der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger. Untersuchungen zeigten, dass "härte Strafen dazu führen, dass jugendliche Täter schneller und öfter rückfällig werden". Notwendig sei es stattdessen, das "Bildungssystem zu verändern, welches vielen Jugendlichen keine Perspektive bietet". Diese Kritik wird von knapp tausend Rechtsanwälten, Sozialarbeitern und Polizisten gestützt, die eine Stellungnahme gegen mehr Härte im Strafvollzug unterschrieben haben.

Dass Roland Kochs Rezepte gegen Jugendkriminalität nicht sonderlich erfolgreich sind, zeigt eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Demnach stieg die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen durch jugendliche Täter in Hessen in Kochs Amtszeit rapide an - nämlich um 66 Prozent. Das ist weit mehr als in den anderen Bundesländern, wo diese schweren Gewaltdelikte zwischen 1999 und 2006 um etwa 28 Prozent zugenommen haben. Für den starken Anstieg sind Institutsdirektor Christian Pfeiffer zufolge vor allem Deutsche verantwortlich - und zwar zu etwa 90 Prozent.

Auf diese Studie reagierte das hessische Landeskriminalamt mit einer eigenen Statistik. Sie bestätigt, dass gefährliche und schwere Körperverletzungen in Hessen in Kochs Regierungszeit überdurchschnittlich zugenommen haben. Allerdings spricht die hessische Polizei von nur 30 Prozent - gegenüber 24 Prozent in den übrigen Ländern.

Für den neuen bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein ist der Streit um die Jugendkriminalität der erste sicherheitspolitische Testfall. 14 Jahre lang war er Innenminister, stolz darauf, der härteste von allen zu sein. Doch in der derzeitigen Debatte - die immerhin von einem Vorfall in München ausgelöst worden war - hat er sich bislang zurückgehalten.

Erst am Montag veröffentlichte das bayerische Kabinett Vorschläge zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Einige Hardlinermaßnahmen finden sich darunter: schnellere Ausweisung von ausländischen Straftätern, Warnschussarrest und eine Erhöhung des Strafmaßes für Heranwachsende. Aber schon in Sachen Videoüberwachung ist man vorsichtiger, und Kinder unter 14 Jahren möchte Beckstein ebenfalls nicht ins Gefängnis stecken.

Ansonsten vertraut die CSU auf Bekanntes: geschlossene Heime mit besonderer Betreuung, festem Tagesablauf und klaren Regeln. "Das erscheint uns zweckmäßiger als irgendwelche Erziehungscamps, bei denen sich die Leute nichts Genaues vorstellen können", meinte Beckstein und wies, wohl auch mit Blick auf die miserablen hessischen Zahlen, darauf hin, dass die Hälfte der bundesweit 200 Heimplätze in Bayern bereitstünden. Zugleich würden in Bayern jugendliche Straftäter schneller verurteilt als anderswo.

Die Heime sind allerdings nur die letzte Etappe eines umfangreichen Hilfsprogramms. 1,1 Milliarden Euro gibt Bayern jährlich für Jugendsozialarbeit aus. Dafür gibt es sogar Lob von den Fachverbänden. "Wir haben zu keiner Zeit in den letzten Jahren Kürzungen erlebt, das funktioniert", sagt Kurt Bräml, Geschäftsführer der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern.

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