Debatte um Mietendeckel: Wohneigentum ist keine Schande

Die Diskussion um den Mietendeckel wird grotesk: Einige arbeiten sich an Eigentümern einzelner Wohnung ab. Der Feind ist ein anderer.

Ein Demonstrant schlägt zwei Topfdeckel aneinander

Deckel drauf: Demonstration gegen Mieterhöhung und Gentrifizierung in Berlin Foto: Karsten Thielker

Fangen wir mit den Begrifflichkeiten an. Gerade hat der Berliner Senat den sogenannten Mietendeckel beschlossen. Ein richtig blödes Wort, das doch eigentlich etwas Gutes meint. Deckel auf Töpfen, in denen es brodelt und kocht, waren noch nie eine gute Idee, weder physikalisch noch politisch. So betrachtet darf meine Geburtsstadt Berlin künftig als einzigartige sozialpolitische Versuchsanordnung betrachtet werden: Entweder das Ding fliegt irgendwann komplett in die Luft. Oder der Deckel bleibt drauf und am Ende werden alle satt – auch die bislang hungrig Gehaltenen.

Eigentlich handelt es sich beim Mietendeckel um einen auf fünf Jahre begrenzten Mietenstopp. Betroffen sind davon anderthalb Millionen hauptstädtische Wohnungen, was bei dreieinhalb Millionen BerlinerInnen keine Kleinigkeit ist. Künftig müsse jene um ihr als Naturrecht verstandenes Renditeversprechen bangen, die schon bisher den Hals nicht voll bekommen haben: Anleger von börsennotierten Immobilientrusts, denen die Menschen in ihren „Mietsachen“ herzlich egal sind. Zumindest solange sie ohne zu mucken pünktlich zum 1. d. M. zahlen.

Das Problem ist nun jedoch, dass das Leben, wie so oft, nicht ganz so eindimensional zu erklären ist. Denn weil es den anonymen Immobilienmillionären aus Barcelona, Moskau oder Bad Godesberg bislang herzlich egal war und weiterhin ist, wenn Menschen in Berlin, München oder Frankfurt sauer auf sie sind und vor Sorge um ihren Platz im Leben schlecht schlafen, verlegen sich kritische MieterInnen neuerdings lieber darauf, EigentümerInnen einzelner Wohnungen oder Häuser zu schmähen.

Statt sich prinzipiell und gemeinsam gegen den überhitzten Wohnungsmarkt und globale Hedgefonds zu positionieren, richtet die Wut sich der Einfachheit und ideologischen Übersichtlichkeit halber auf EigentümerInnen einzelner Wohnungen und Grundstücke. Leute also, die sich privat Geld für einen Kredit borgen, sich von ihren Eltern und Großeltern schon zu deren Lebzeiten ihr Erbe oder einen Teil davon auszahlen lassen oder – ja, das gibt es – die ganz gut verdienen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bei Twitter etwa wurde diese Woche eine Kollegin, die den Mietendeckel wegen seiner Auswirkungen auf KleinvermieterInnen kritisiert hat, teils aufs Übelste beschimpft. Sie bekam Drohmails, wurde sexistisch angegangen oder ultimativ aufgefordert, ihre private finanzielle Situation öffentlich darzulegen. Sie wurde als wahlweise dummes junges Ding oder abtrünnige Neoliberale geschmäht.

Der schlichte argumentative Angang in der Debatte ist in der Regel etwa dieser: Dass du eine Wohnung bezahlen kannst, ich aber nicht, beweist, dass du ein privilegiertes Arschloch bist. Es wird dann gern ein bisschen persönlich, die Aufforderung, sich für Privatestes zu rechtfertigen, steht im Raum. Der eigene Distinktionsgewinn, zumal im zeigefreudigen digitalen Raum, wächst bei ansteigendem Ton recht angenehm.

Hier meine Gegenthese: Sorry, Wohneigentum ist keine Schande, erst recht nicht, wenn es um die selbst genutzte Immobilie geht.

Um die Sache hier etwas zu verklaren, soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich als Autorin dieses Textes glasklar der Arschloch-Fraktion angehöre. Ich besitze mit meinem Mann ein Haus im Brandenburgischen, das wir vor über zwanzig Jahren mit Unterstützung durch unsere Familien anfinanziert und dann fleißig abbezahlt haben. Wir waren Anfang dreißig, hatten zwei kleine Kinder und keinen Bock mehr, jeden Monat die üppige Szenequartier-Miete zu zahlen. Dann doch lieber das bisschen Geld, das wir verdienten, in was Eigenes investieren. Klingt uncool? War es auch. Aber eben auch nicht unschlau.

Wir hatten damals, Mitte der Neunziger, nicht gut verhandelt, der Kasten war im Grunde zu teuer und für den Preis nicht im allerbesten Zustand. Als dann während der deutschen Wirtschaftskrise in den 2000er Jahren der Wert der Immobilie sank und sank, befürchteten wir, das Ersparte unserer Nachkriegs-Elterngeneration hoffnungslos in den märkischen Sand gesetzt zu haben.

Unsere Stimmung hellte sich erst wieder etwas auf, als die ersten Freunde und Kollegen uns scheinbar nebenbei fragten, ob da draußen in den Weiten Brandenburgs noch etwas käuflich zu erwerben sei. Wenn diese hippen Hobos zu uns in die Provinz kommen wollten, dachten wir, mussten wir wohl irgendwas richtig gemacht haben. Und da hatten wir verdammt noch mal recht.

Denn die Zeiten hatten sich komplett gedreht. Aus Arm-aber-sexy-Berlin war Reich-und-unsexy-Berlin geworden. Meine Stadt war verkauft worden und hatte nun keinen bezahlbaren Platz mehr für Familien, Alte oder Lebenskünstler. Immobilien wurden zur Ware und der einsetzende Mangel entzweite die BewohnerInnen gefühlt in Mieter und Verbrecher. Seit vielen Jahren nun ist Berlin wieder geteilt: in Eigentümer und jene, die nicht schnell und – oft unverdient qua Herkunft, aber deshalb eben auch nicht schuldhaft – flüssig genug gewesen waren, sich in den Eigentümerstatus zu retten.

Panikmache der Immobilienbranche

Denn anders als Rettung kann man kaum nennen, was sich in jenen Jahren vollzog. 2004 hatte der rot-rot geführte Berliner Senat es für eine gute Idee gehalten, gemeinnütziges Wohnungseigentum an zwei global operierende Fondsgesellschaften zu verkaufen; der zuständige Finanzsenator war ein gewisser Thilo Sarrazin. Der Deal brachte die gesamte soziale Tektonik der Stadtgesellschaft ins Wanken.

Ab 2010, mit Beginn der Eurokrise, konnten sich Familien dann endgültig nicht mehr einfach entscheiden zwischen Miete oder Rate. AnlegerInnen aus Krisenländern und Autokratenstaaten steckten ihre Millionen in Berliner Altbauten. Der Mietmarkt war im Nu leergefegt, Wohnen wurde unbezahlbar sowohl für wachsende Familien als auch für Rentner, Alleinerziehende und jene traumhafte Vielfalt, die Berlin bis dahin ausgemacht hatte. Jene, die okaye Vermieter hatten, hielten sich an ihrer Butze fest und hofften, dass nicht doch irgendwann der Brief eines Immobilienanwalts in der Post liegt. Viel zu viele hofften umsonst.

Seither sind die Preise immer nur gestiegen. Der Mietendeckel ist der folgerichtige Versuch der Politik, Gier und neoliberaler Kälte etwas entgegenzusetzen. Schon sacken die Aktienwerte von Deutsche Wohnen oder Vonovia ab – massenhafter, anonymer Immobilienerwerb wird erfreulich unattraktiv.

Das aktuell lautstarke Geheule der global vernetzten Immobilienlobby, die Politik sei dafür verantwortlich, was wegen des Mietendeckels ab jetzt Grauenhaftes mit ihren angeblich ach so pfleglich behandelten MieterInnen passieren werde, ist wohlfeil und sehr wahrscheinlich nichts als Panikmache. Allein 2018 wurden in Berlin 27.500 Immobilien für 19,2 Milliarden Euro verkauft. Gleichzeitig ist die Zahl der Käufe um 11 Prozent gesunken – ein zunehmender Anteil der Immobiliengeschäfte in Berlin spielt sich also im oberen Preissegment ab.

Keine Lust auf Arschloch- und Privilegierten-Schmähung

Viele, auch sich selbst als links verstehende Zeitgenossen, haben in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten ihr Heil im Eigentum gesucht. Sie kauften sich in Baugruppen ein, in Stadtrandsiedlungen und neue Gated Communities. Dass sie Eigentümer wurden und es bis heute sind, darüber wird eher nicht so gern gesprochen.

Warum auch? Sein persönliches Schicksal einem unbekannten Bauinvestor anvertraut und die Anzahlung auf eine deutlich zu eng geplante und überteuerte Baulücke geleistet zu haben, stellte zu dieser Zeit mitunter die einzige Möglichkeit dar, sich vor anmarschierenden Immobilientrusts zu schützen. Aber sich dafür auch noch beschimpfen lassen? Danke, nein.

Es sind genau diese Leute, die heute beim Thema Mietendeckel lieber Stillschweigen bewahren, weil sie keine Lust haben auf Arschloch- und Privilegierten-Schmähungen. Das Beispiel der taz-Redakteurin zeigt ja, wie mit Leuten verfahren wird, die eine differenzierte, eine andere und von mir aus auch kritische Sicht auf Entscheidungen der Politik haben.

Die tatsächlichen Gegner, das sind doch nicht Leute wie die Kollegin. Oder ich auf meiner brandenburgischen Scholle. Oder das Paar, das sein geerbtes Haus in München vermietet. Das Problem sind die Trusts mit den Fantasie­namen, die sich durch deutsche Städte fressen und ihre Anwälte von der Kette lassen, wenn die Mieter nicht spuren.

Sich an EigentümerInnen abzuarbeiten, die ein Gesicht, ein Gewissen und vielleicht auch mal eine andere Meinung haben, ist eine wohlfeile moralische Entlastungshandlung, weil die anderen nicht zu fassen sind. Solange jedoch der Ton derart selbstgewiss und hochfahrend bleibt, wird es keine echte Auseinandersetzung geben, sondern nur marktgetriebenes Misstrauen. Übrigens auch kein Füreinander. Und das wird in spätestens fünf Jahren wieder nötig sein. Dann nämlich wird der Mietendeckel vom Topf genommen.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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