Debütalbum von Waajeed aus Detroit: Funk und Dreck und Tech

Der Dancefloor-Produzent Waajeed veröffentlicht sein Debütalbum „From the Dirt“. Es ist choreografiert wie ein Gospelgottesdienst.

Porträt von Waajeed - doppelt belichtet und leicht verschoben übereinander gelegt, daher mit optischer Irritation

Good god: Waajeed ist definitiv im House Foto: DTRMedia

„Funk ist der gemeinsame Nenner bei allem, was ich produziere. Funk habe ich mit der Muttermilch aufgesogen, mit Künstlern wie George Clinton und die Ohio Players bin ich aufgewachsen. James Brown steckt in meinem Erbgut.“ Robert O’Bryant freut sich. Endlich ein Journalist, der die Musik einordnet, die der Detroiter unter seinem Künstlernamen Waajeed fabriziert.

Waajeed ist in Detroit geboren. Und nach einer Unterbrechung Anfang der Nullerjahre lebt der 43-Jährige heute wieder dort. In Detroit hat er auch sein Debütalbum „From the Dirt“ produziert und auf seinem Label Dirt Tech Rec veröffentlicht. Er nennt die Musik „new school“, der Sound sei nicht den Regeln von Genres und der Aufmerksamkeitsökonomie des Mainstreams unterworfen. „Ich bin weder Maler noch Fotograf noch Zeichner. Ich bin Künstler.“ Wo er recht hat, hat er recht, „From the Dirt“ ist Musik ohne Weiteres. Sie klingt, als hätte die Muse ihren Komponisten besonders intensiv geküsst.

Waajeed füttert den elektronischen Dancefloor mit einer Variante von House und Techno, der man die HipHop-Wurzeln anhört. Einst hat er als Platinum Pied Pipers Beats produziert und war mit J Dilla Teil der Crew Slum Village. Wie Dillas Großtaten funktioniert auch „From the Dirt“ als inspirierendes Ganzes, der Spannungsbogen der zehn Tracks ist bis zum Äußersten gespannt. Zudem ist das Album choreografiert wie ein Gospelgottesdienst: Was mit Eiltempo losgeht, zwischendurch runterschaltet, aber an allen Ecken und Enden der zehn Tracks Überraschungsmomente bereithält, steigert sich gegen Ende bei „I just wanna tell“ in Raserei.

Rasierklingenscharfe Streicher

Ein funky Konzert für den Heiland auf dem Dancefloor, antreibend und in jeder Sekunde erweckend. Nur ist der Spirit nicht einschmeichelnd, sondern Hardcore. Selbst die Streichersounds, die aus einem Synthesizer für den Track „After you Left“ das Arrangement unterlegen, klingen nach Rasierklinge. „From the Dirt“ hat die etwas andere affirmative Botschaft und sie holt die HörerInnen raus aus der Besinnlichkeit: Bewegt euch! Selbst die U-Bahn-Linie, die durch Detroit verläuft, heißt „People Mover“.

Waajeed repräsentiert auf seinem Debütalbum nie nur sich selbst, Detroit ist immer dabei. Die Beats sind so direkt und straight, dass sie auch im tiefen Winter Wärme spenden und das Selbstbewusstsein automatisch höher rauscht. „Detroit is black“, hat er einen Track betitelt. Er nennt Detroit „the bottom“, den Bodensatz. „From the Dirt, der Albumtitel, kommt vom Dreck der Leute, die ein Leben lang marginalisiert worden sind.“ Alles, was er kann, habe er sich selbst erarbeitet, erklärt Waajeed. „Hier wissen alle, ob Jung oder Alt, dass du dich nur auf dich selbst verlassen kannst. Du wächst in dem Gefühl auf, der Staat ist für dich nicht zuständig.“

Waajeed: "From the Dirt" (Dirt Tech Rec/Kompakt)

Detroit is black: „Atmosphäre, Musik, Essen, all das steht für eigenständige Kultur. Hier war ein Verkehrsknotenpunkt; Sklaven sind von Detroit aus auf Vermittlung von Harriet Tubman und anderen mit der Underground Railroad nach Kanada in die Freiheit geschleust worden.“ In der Stadtmitte am Ufer des Detroit River erinnert ein Bronze-Denkmal an die Zeit vor 150 Jahren: Eine Traube von Menschen macht sich daran, über den Fluss nach Kanada zu flüchten.

Der Punch von Joe Louis

Ganz in der Nähe steht auch eine Skulptur der geballten Faust des Boxers Joe Louis. „Sein Punch erinnert uns daran, dass der Kampf gegen Rassismus weitergeht und damit auch die Mühen, denen wir als Schwarze ausgesetzt sind. Egal, wer gerade der Bürgermeister ist, unser Mann bleibt Coleman A. Young. Er verkörpert den ultimativen schwarzen Widerstandswillen“, erklärt Waajeed.

Coleman A. Young (1918–1997) war der erste schwarze Bürgermeister Detroits, er regierte von 1974 bis 1994. In seine Amtszeit fiel der sogenannte white flight, der Wegzug der weißen Mittelklasse in die Vororte und somit der Verlust wichtiger Steuergelder. Detroit geriet nicht nur deshalb in Schieflage. Young konnte die Autoindustrie in der Stadt halten, aber sie hatte der Konkurrenz aus Japan und Europa wenig entgegenzusetzen. Die Kommune ging bankrott, deswegen endete keineswegs die kulturelle Bedeutung Detroits als Musikstadt.

Obwohl das berühmte Detroiter R&B-Label Motown Records 1972 den Firmensitz an die Westküste verlegte, lebt der Mythos von Motorcity Detroit auch im Technozeitalter weiter. Auch auf Waajeeds Album „From the Dirt“ erklingen die No-Nonsense-Haltung und der Einfallsreichtum der Musikszene. Young sprach von „the class struggle and the ass struggle“. Das definiert Waajeed so: „In der Phase des Niedergangs tobte hier Banden- und Drogenkriminalität, der sich selbst der Bürgermeister ausgesetzt sah. Trotzdem verweigerte er die Kontrolle durch US-Bundesbehörden. Seit Colemans Zeiten gilt für uns daher die Maxime: do it yourself.“

„Do it yourself“ haben einst die Punks angewandt, heute ist es Grundbedingung von Techno und House in Detroit: Es fehlt schlicht an Kapital und Logistik, also bringen die Akteure das Material unter die Leute, sobald Geld aufgetrieben wird. Den Sommer über kündigte Waajeed „From the Dirt“ mit zwei Maxisingles an. Inspirierenden House und Broken Beats gab es da zu hören. Über das Jetzt muss sich Waajeed keine Sorgen machen und der Zukunft sieht er gelassen entgegen. „Momentan fühlt sich die Stimmung in Detroit an wie ein Winter in Berlin. Aber der nächste Frühling kommt bestimmt. White supremacy ist in ihren letzten Zuckungen, ein 400 Jahre alter Drache, der noch mal die Zähne fletscht, bevor er jämmerlich verendet.“

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