Delikatessen: Last exit: Hummer

Das Schalentier ist Massenware - zumindest in Neuschottland. Und für die Fischer eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten, seitdem die Kabeljaubestände kollabiert sind.

David Hoskin, der Hummerhändler, hält das Prachtstück hoch. Bild: Robert Stefan Weissenborn

Dave Hoskin kriegt den Prachtkerl gerade so zu fassen. Mit Mühe zieht er ihn aus dem Becken mit 2 Grad kaltem Salzwasser, denn er wehrt sich. Dann hält der Händler das Wesen mit dem rotbraunen Panzer in die Höhe. Die Scheren des Krustentiers haben in etwa die Ausmaße von Daves Kopf.

"Dieser Hummer ist 25 Jahre alt, wiegt 7 Kilo und ist unverkäuflich." Ein paar Blitze, und die beiden Kunden im Verkaufsraum von Ryer Lobsters Ltd. in Indian Harbour haben zumindest den Snapshot vom Riesenkrebs sicher.

Seit 2007 vertreiben die Hoskins als Groß- und Einzelhändler Hummer. Sie sind Gewinner einer Fischereikrise, in der Hummer boomt. Gleich hinter dem Verkaufsgebäude sind die Kaimauern des Dorfhafens. Frischer als hier bekommt man das Schalentier nicht, aber frisch ist beim Hummer so eine Sache. Denn er wird lebendig in den Kochtopf geworfen - fast überall.

Hummer ist eine hochpreisige Delikatesse. Das ist ein Allgemeinplatz und stimmt - bedingt. Denn während in anderen Teilen der Welt für einen meist vorgeknackten Hummer in Restaurants horrende Preise anfallen, ist das Tier im Osten Kanadas Massenware. Schon am Flughafen von Halifax führt kein Weg am Hummer vorbei. Im Gang neben der Haupthalle hat die große Seafood-Kette Clearwater ein zwei mal drei Meter großes Becken installiert.

Gedrängt im Wasser liegen Dutzende der Schalentiere, lebendig und mit gefesselten Scheren, ansonsten würden sie sich kannibalisieren. "12 Dollar kostet der hier", sagt der Verkäufer und nimmt das gekochte Exemplar wieder von der Waage. Der Preis für das Pfund: 9,89 kanadische Dollar, gut 7 Euro. Das ebenfalls angebotene treu-traurig dreinblickende Hummerstofftier als Mitbringsel ist mit umgerechnet 13 Euro dagegen teurer.

Hummertouren am Peggy's Cove an der kanadischen Ostküste. Bild: Robert Stefan Weissenborn

1992 verhängte Kanada ein Fischereimoratorium. Der Grund: der Kollaps der Kabeljaupopulationen - maßgeblich wegen Überfischung und des ungeheuren Fischhungers der Robben. Rund 40.000 Fischer verloren ihren Job. "Die Stimmung war aggressiv damals", sagt Bettina Saier von der Naturschutzorganisation WWF in Halifax. Was damals noch nicht abzusehen war, war die Potenzierung des Hummers: "Seit dem Einbruch des Kabeljaus sind die Bestände von Hummer, Shrimps und Schneekrabben an der kanadischen Atlantikküste explodiert." Was folgte, war der Boom der Krustentiervermarktung.

Die Auswüchse des Hummerreichtums sind teilweise absurd. Fluggäste können lebendigen Hummer in Transportboxen erwerben. Clearwater wirbt mit dem Slogan aus der Perspektive des Meeresbewohners: "Heading home? Mind if I tag along?" (Gehts nach Hause? Was dagegen, wenn ich mitkomme?).

Nach dem letzten Lebensabschnitt im Handgepäckfach einer Boeing gleiten die Tiere dann zum letzten Geleit, das sie selbst miterleben: ins kochende Wasser auf dem heimischen Herd.

Auf den fliegenden Gourmet hat sich auch Hoskins eingestellt. "Fünf Stunden überlebt ein Hummer an der Luft", sagt der Geschäftsmann. "Wenn Sie ihn in nasses Zeitungspapier wickeln, sogar 48 Stunden." Die Verpackungen liegen auf einem Regal hinter ihm bereit - für die Transkontinentalkundschaft.

"Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt Hummer als Armeleuteessen und Fraß für Zuchthäusler", schreibt der US-amerikanische Autor und Literaturprofessor David Foster Wallace in seinem subversiven Essay "Am Beispiel des Hummers" über ein großes Hummerfestival im US-Staat Maine. "Den Verzehr von Hummer (vergleichbar mit dem von Ratten) hielt man schlicht für menschenunwürdig." In solchem Überfluss gab es das Scherentier an den neuenglischen Küsten, dass man die zuhauf angeschwemmten Exemplare zermahlte und als Dünger unterpflügte.

Diesem landwirtschaftlichen Zweck wird der Hummer heute nicht mehr zugeführt. Als zeitgeistliches Äquivalent aber kann die Entdeckung und Verarbeitung durch die Fast-Food-Industrie gelten. "Its McLobster season", wirbt McDonalds in seinen Restaurants in Halifax und anderen Städten. Für 7 Dollar und 12 Cent inklusive Tax bekommt der geneigte Kunde ein weiches Sandwich mit mehr oder minder geschreddertem Fleisch aus Dosen in einer transparenten Plastikverpackung aufs Tablett geworfen.

Die Verköstigung, abgesehen davon, dass einem die Arbeit des Panzerknackens erspart bleibt, erinnert nur entfernt an delikates Speisen. Ähnlich dürfte die Erfahrung beim Konkurrenten Subway ausfallen, der mit dem Slogan "Lobster is back! … catch one before theyre gone" (Hummer-Sandwich ist zurück! … fang dir einen, bevor er wieder weg ist) um Pseudofeinschmecker buhlt.

Der letzte Pfiff

Das Leid des Hummers indes ist nicht abschließend erwiesen. So manchen Pfiff eines sterbenden Hummers hat auch Dave Hoskin schon gehört. "Die Leute sagen immer, dieses Pfeifen sei der Todesschrei des Hummers. In Wirklichkeit entweicht nur laut zischend die Luft, wenn er in den heißen Topf kommt", ist er überzeugt.

Eine Studie der Uni Halifax habe belegt, dass die dick bepanzerten Tiere keinerlei Schmerzempfinden hätten. Anderer Ansicht sind die Tierrechtler von Peta, die eine Studie mit gegenteiliger Aussage anführen und auf ihrer Website Fans bekehren wollen - etwa mit einem Rezept "veganer Hummer", Hauptbestandteil Seitan.

Männer wie Donald Manuel schütteln angesichts solcher Diskussionen nur den Kopf. Seine Sorge: "Man sollte die Robben jagen dürfen in Neuschottland, sie fressen uns noch den restlichen Fisch weg." Für den ehemaligen Fischer im Dorf Peggys Cove, ebenfalls an der neuschottischen Südküste gelegen, sind die hundeartigen Schwimmtalente der Quell des Übels. "Sogar am Hummer vergreifen sie sich", schimpft der 81-Jährige. "Und nur den fangen die Fischer hier noch."

Manch einer bietet Hummertouren an. Denn die eigentlichen Schwärme, die hier in Massen vorkommen, sind die Reisebusse. Unterhalb des Leuchtturm-Originals entlassen sie ihre Insassen, die sofort die pittoresken Felsen wie Mohnsamen einen Donat besprenkeln, um die Naturgewalt des anbrandenden Atlantiks zu spüren.

Laut einem Artikel des Magazins Nature erholen sich die Kabeljaubestände vor der kanadischen Ostküste wieder. Doch bis auf Weiteres bietet der Hummer den lokalen Fischern in Peggys Cove und anderswo den letzten Ausweg. Die Tagesgäste auf den geschliffenen Felsrücken bekommen davon nichts mit.

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