Demo für Inklusion in Berlin: Dahin, wo das Leben ist

Für Teilhabe, gegen Diskriminierung: Am Samstag wird zum sechsten Mal in Kreuzberg und Neukölln „Behindert und verrückt“ gefeiert.

Pinke Schrift auf blauem Grund: "behindert und verrückt feiern"

Seit 2013 gibt es die Pride Parade Foto: imago/Steinach

BERLIN taz | „Erst einmal sollen wir einsehen, dass wir krank sind und dann sollen wir wieder funktionieren.“ Paula Franz beschreibt ein grundsätzliches Problem des Umgangs der Gesellschaft mit Menschen mit psychiatrischen Diagnosen. Der Stigmatisierung, den paternalistischen Zuschreibungen und einem allzu oft als repressiv empfundenen Hilfesystem stellt sie gemeinsam mit einer offenen Vorbereitungsgruppe das Konzept der „Pride Parade – behindert und verrückt feiern“ entgegen (Samstag, 23. Juni, 15 Uhr, ab Hermanplatz).

Menschen mit Behinderungen, psychiatrischen Diagnosen und deren UnterstützerInnen sind aufgerufen, sich selbst zu feiern, inklusive ihrer vermeintlichen Mängel und Defizite. Der Kampf gegen fortgesetzte Diskriminierungserfahrungen hat die Gruppe zusammengeführt. 2013 brachten sie die erste Parade auf den Weg. Sven Drebes, der seitdem dabei ist, erklärt, dass der Name Pride und ihre Verbindung von Party und Protest dabei nicht zufällig von der LGBTI-Bewegung übernommen wurde. Schließlich hätten viele queere Menschen sehr ähnliche Diskriminierungserfahrungen.

Neben der Zelebrierung individueller Diversität erhebt die Parade immer wieder auch Forderungen an die Politik. War das 2017 das breit diskutierte Bundesteilhabegesetz, fehlt solch ein Kristallisationspunkt in diesem Jahr. Die alltagspraktischen, oft einschränkenden Folgen politischer Regulierungen jedoch sind ständige Begleiter für Menschen mit Behinderungen. Paula Franz und Sven Drebes beschreiben konkrete Probleme von Menschen, die auf intensive Assistenz bei der Bewältigung des Alltags angewiesen sind. So werden die Assistenzleistungen in Berlin von vielen Bezirksämtern nicht getragen, wenn die Betroffenen sich in Krankenhäusern aufhalten. Deren standardisierte Pflegeleistungen, die auch Krankenkassen in ihren Abrechnungssystemen für ausreichend halten, decken den Bedarf keineswegs.

Diskriminierung und Stigmatisierung sehen Franz und Drebes derweil nicht als allein administrativ zu lösendes Problem. Beim Abbau von Barrieren seien nicht allein Politik und Verwaltung, sondern die Gesellschaft insgesamt gefragt, sagen sie. „Deshalb stellen wir uns mit der Parade ja auch nicht vors Kanzleramt, sondern dahin, wo das Leben ist“, so Drebes.

Die größte Herausforderung für das Orga­team ist die Mobilisierung ihrer Zielgruppe. Zunächst sei die Erreichbarkeit von Menschen mit Behinderungen oder psychiatrischen Diagnosen erschwert, da diese oft in hermetisch abgeschlossenen Hilfesystemen eingebunden seien. Zudem ist noch immer für viele die Angst vor einer Stigmatisierung allein durch die Teilnahme an einer Veranstaltung wie der Pride ein Hinderungsgrund.

Die OrganisatorInnen hindert das aber nicht, selbstbewusst ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum Abschluss der Parade werden sie die „Glitzerkrücke“ verleihen, einen Negativpreis für besonders inklusionsfeindliche Praxis in Politik und Wirtschaft. Die Nominierten werden vor Ort bekanntgegeben. Ganz basisdemokratisch erfolgt dann die Abstimmung unter den TeilnehmerInnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.