Demo gegen ultraorthodoxe Juden in Israel: Angst vor der Radikalisierung

Ultraorhodoxe bespucken ein kleines Mädchen, weil es nicht "sittsam" gekleidet ist und Frauen sollen im Bus hinten sitzen. Gegen den Fanatismus protestieren Tausende.

"Israel soll nicht wie der Iran werden": Auseinandersetzung zwischen Säkularen und Ultraorthodoxen in Beit Scheschem. Bild: reuters

BEIT SCHEMESCH taz | Mehrere tausend Israelis haben am Dienstag in der Stadt Beit Schemesch gegen religiösen Fanatismus ultraorthodoxer Juden demonstriert. Ausgelöst wurde der Protest, weil ein siebenjähriges Mädchen von Ultraothodoxen bespuckt worden war – es war in ihren Augen nicht sittsam genug gekleidet.

Zu der Kundgebung gegen die Benachteiligung von Frauen im öffentlichen Leben hatten neben Staatspräsident Shimon Peres diverse Menschenrechtsgruppen aufgerufen. Die Straßen in und nach Beit Schemesch, eine 80.000-Einwohner-Stadt zwischen Tel Aviv und Jerusalem, waren voller Polizeiwagen, die durch Helikoptereinsatz in der Luft unterstützt werden.

Es gab Androhungen von Gewalt durch extreme Orthodoxe, wenn die Demonstration am Dienstag abend tatsächlich auf dem Schulhof der Orot Mädchenschule stattfinden sollte. Die Schule war in die Schlagzeilen geraten, nachdem das Fernsehen einen Bericht über das siebenjährige Mädchen Na’ama Margolis, eine Einwanderin aus Amerika, gezeigt hatte, das von ultraorthodoxen Fanatikern bespuckt worden war.

Das ebenfalls ultraorthodoxe Mädchen soll nach Meinung der religiösen Eiferer nicht sittsam gekleidet gewesen sein. Der Vorfall stieß auch in gemäßigten religiösen Kreisen auf scharfe Kritik. "Die Diskriminierung von Frauen verstößt gegen die Tradition der Bibel und gegen die Grundprinzipien der Juden", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dazu in Jerusalem.

Auf der Demonstration, die gegenüber der besagten Schule stattfand, sprachen Politikerinnen und Politiker aller Parteien sowie auch ein orthodoxer Rabbi. "Beit Schemesch ist ein Symbol für die Radikalisierung einer säkularen Stadt geworden, aber Säkulare müssen hier auch noch leben dürfen", sagte Miri Regev von der regierenden konservativen Likud-Partei.

"Kampf um das Wesen Israels"

Tzipi Livni, Vorsitzende der Oppositionellen Kadima-Partei, sagte: "Ich möchte das alle die, die heute nicht hier sind, wissen, dass wir die gemäßigte zionistische Mehrheit sind und das Bild prägen, wie Israel gesehen wird. Das ist ein Kampf um den Charakter des Staates Israel. Jeder, der ein kleines Mädchen auf ihrem Schulweg anspuckt, spuckt uns allen ins Gesicht."

Das siebenjährige Mädchen, das sich nicht richtig kleidete, und seine Mutter Hadassah Margolis. Bild: dapd

Auch Nitzan Horowitz von der linken Meretz-Partei sagte während der Kundgebung, auf dem Spiel stehe die Frage, ob Israel ein fortschrittliches und demokratisches Land oder eine abgeschottete und rückständige Gesellschaft werde. Die Debatte sei ein Kampf um das Wesen Israels.

Anlass der Demonstration sind Forderungen von ultraorthodoxen Juden nach Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit. Frauen werden auf Schildern, verbal und durch Druck innerhalb ihrer Gemeinden aufgefordert, in Bussen und Straßenbahnen hinten zu sitzen oder sich an der Supermarktkasse in getrennte Schlangen zu stellen.

Tanya Rosenblit, die junge Frau, die sich vergangene Woche weigerte hinten im Bus zu sitzen und somit die öffentliche Diskussion über Unrechtmäßigkeit solcher Regeln von neuem auslöste, nahm ebenso an der Demonstration teil wie auch die Mutter des belästigten Mädchens, Hadassah Margolis, die dort die Kerzen anlässlich des jüdischen Channucka-Festes anzündete.

Polizisten als "Nazis" beschimpft

Viele der Demonstranten kamen aus Tel Aviv, Jerusalem und anderen Städten nach Beit Schemesch. Sie wollten den öffentlichen Raum verteidigen und ihn nicht den streng religiösen 10 Prozent überlassen. "Israel soll nicht wie der Iran werden" oder "Die Mehrheit bricht ihr Schweigen" stand auf Schildern und Flyern der Demonstranten bei den Protesten in Beit Schemesch.

Die Demonstration verlief friedlich bis auf den Moment, als ein ultraorthodoxer Zuschauer die Demonstranten mit Zwischenrufen provozierte, die ihn daraufhin umzingelten. Die Polizei griff ein bevor es zu Handgreiflichkeiten kam.

Am vergangenen Sonntag und Montag allerdings griffen Gruppen religiöser Fanatiker Polizisten, die ein Schild mit der Aufforderung zur Geschlechtertrennung entfernen wollten sowie Fernseh-Teams an. Besagtes Schild befiehlt, dass Frauen und Männer unterschiedliche Gehwege benutzen sollen - es wurden bereits das dritte Mal in dieser Woche auf- und wieder abgehängt. Die Männer, die versuchten das zu verhindern beschimpften die Polizisten als "Nazis". Fernsehjournalisten, die die Szene filmen wollten, wurden von bis zu 300 Männern angegriffen und mit Eiern und Steinen beworfen.

Der ultraorthodoxe Bürgermeister der Stadt, Moshe Abutbul, sagte auf einer Pressekonferenz, er werde nicht zurücktreten. Er unterstütze den Kampf gegen Extremismus in der Stadt und gehe gegen jene vor, die Gewalt gegen Kinder ausüben. Aber das umstrittene Schild hänge bereits seit zehn Jahren in der Stadt und es habe bis jetzt nie Beschwerden gegeben.

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