Demokratische Bedenken zum ESM: Lob der Streithansel

Es ist zweifelhaft, ob ein Gericht über das Niveau einer Bundestagsdebatte zu befinden hat. Doch im Falle des ESM-Urteils war das gut so.

Eine echte Augenweide: Peter Gauweiler (CSU). Bild: dapd

BERLIN taz | Gauweiler! Däubler-Gmelin! Und dann noch die Linkspartei! Alles notorische Quertreiber, verkappte Nationalisten, frustrierte Gemüter: Schnell und leicht hat sich die politökonomische Mehrheit ein Bild über die Karlsruher Kläger gegen ESM und Fiskalpakt gemacht. Hier die Vernunft, dort der Populismus.

Doch hat das Bundesverfassungsgericht die Klage ja ernst genommen. Dann aber bleibt die Frage: Was ist demokratisch daran, wenn juristisch vorgebildete Außenseiter das Bundesverfassungsgericht zur Rettung der Demokratie anrufen, nachdem vier von fünf Parteien im Bundestag für einen bestimmten Weg der Eurorettung gestimmt haben?

Die Antwort liegt nicht auf der Hand. Wieso das Bundesverfassungsgericht umwerfen kann, was der Bundestag beschlossen hat, war schon immer strittig. Der Verweis auf die Prozentzahl der Bürger, die dem Gericht vertrauen, oder auf das Grundgesetz, in dem die Rolle des Gerichts festgeschrieben ist, hilft da nicht weiter.

In der Tat ist es parlamentarisch-demokratisch zweifelhaft, dass ein Acht-Leute-Gremium in Karlsruhe sich aussucht, welche Frage es dieses Jahr auch noch spannend findet: Die RichterInnen befinden darüber, ob ihnen das Niveau der Bundestagsdebatte gereicht hat oder nicht, und malen sich danach Termine in ihren Sitzungskalender – Euro hin, Europa her.

Tempo von Finanzmärkten diktiert

Und doch war es dieses Mal gut, dass Karlsruhe eingeschaltet wurde und sich eingeschaltet hat. Bislang war es bei jeder Eurorettungs-Abstimmung im Bundestag zweifelhaft, ob das Parlament sich im von den Finanzmärkten diktierten Tempo überhaupt angemessen mit Lösungsalternativen befassen konnte.

Das kritisierte selbst der Bundestagspräsident. Die Finanz- und Eurokrise ist so groß und so komplex, dass auch viele als „Finanzexperten“ titulierten Politiker und Journalisten ihre Hilflosigkeit halbwegs offen zugeben. Ein erklecklicher Teil des Publikums hat nicht von ungefähr das Gefühl, dass die demokratische Steuerung des Prozesses versagt.

Eine Haftungssumme von 190 Milliarden Euro kann niemandem egal sein, der schon einmal einen Streit um 190 Millionen Euro für Schule, Gesundheit oder Umwelt verfolgt hat. Wenn am Ende alles nur halb so teuer wird – wunderbar.

Aber dass sich ein paar Streithanseln fanden, die die Instrumente zur Eurorettung noch einmal vom Bundesverfassungsgericht erklärt bekommen wollten, war demokratisch. Eine Demokratie kennt viele Foren. Je mehr von ihnen an der Diskussion darüber beteiligt sind, welches Europa wir wollen, desto besser.

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