Demonstration #Mietenwahnsinn: Der Popelpunker passt nicht mehr

Die Demo #Mietenwahnsinn endet dort, wo Potse und Drugstore ihr Domizil haben. Noch. Die Jugendzentren müssen einem Investor weichen.

Ein Gesicht auf einer Plakatwand

Der Popelpunker hängt seit den Achtzigern an der Plakatwand Foto: Daniél Kretschmar

Wenn am Samstagnachmittag die Demonstration Mietenwahnsinn ihren Abschluss an der Kreuzung Potsdamer/Pallas-/Goebenstraße findet, wird sie aus der dritten Etage des alten BVG-Gebäudes in großen Lettern begrüßt werden. „45 Jahre autonome Jugendzentren bleiben hier“, haben die beiden Kollektive der Potse und des Drugstore dort im letztem Jahr in die Fenster geschrieben.

Seit 1972 ist der Drugstore mit seinem Angebot selbst organisierter ­Jugendarbeit beispiellos in der Stadt. Der Schöneberger Jugendstadtrat ­Oliver Schworck (SPD) weiß um die Besonderheit des Objektes: „Dort findet eine sehr seltene Form der Jugendarbeit statt, die ein Angebot an Jugendliche macht, die sich sonst nirgendwo aufgehoben fühlen. Sie werden dort so angenommen, wie sie sind, und würden wahrscheinlich nicht in anderen Projekten ankommen können.“

Dass der Standort trotzdem zur Disposition steht, ist einer für Berlin nicht untypischen Fehleinschätzung der Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt geschuldet. Noch vor dem Mauerfall veräußerte der Senat das Gebäude an die BVG und mietete fortan die Räume für Drugstore, Potse und das Kinderkulturhaus PallasT. 2008 schließlich verkaufte die BVG das Objekt an ein Investorenkonsortium, das wiederum verkaufte.

Der neue Investor, die Intown Gruppe, kündigte den Mietvertrag zum 31. 12. 2015, ließ sich aber eine befristete Verlängerung um erst zwei und dann um ein weiteres Jahr vom Bezirk vergolden. Die im Bezirkshaushalt vorgehaltenen Kosten für die drei Etagen stiegen zwischen 2015 und 2018 von gut 200.000 Euro auf 366.000 Euro. Intown will im leer zu ziehenden Bereich wie schon in der benachbarten Hausnummer 182 einen Coworking-Space mit teuer zu mietenden Einzelarbeitsplätzen für Selbstständige aus der Kreativwirtschaft einrichten, dazu einen luxu­riö­sen Hostelbetrieb.

Einen so massiven Protest gegen Verdrängung gab es in Berlin noch nie: Mehr als 200 Initiativen, Gruppen und Organisationen wollen am Samstag, dem 14. April, ab 14 Uhr am Potsdamer Platz auf die Straße gehen. Sie fordern einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungs- und Mieten­politik. Endpunkt wird an der Kreuzung Potsdamer/Pallas-/Goebenstraße sein. Die Demo ist Abschluss der berlinweiten Mieten-Aktionstage mit einer Vielzahl von Veranstaltungen. Details unter mietenwahnsinn.info/aktionskalender/. (taz)

Mischung aus Frustration und Kampfgeist

Für die Kollektive klingen diese Begriffe aus der New Economy wie der blanke Hohn. Durch das mit bunten Graffitis verzierte Treppenhaus führt der Weg hinauf in den Drugstore, wo dieser Tage der Geruch von Sprühfarben durch die Räume schwebt. Aktivist*innen der Mieter*innenbewegung gestalten hier gemeinsam mit den Jugendlichen Transparente für die Mietenwahnsinn-Demonstration. Mitglieder der Kollektive, die, strikt den egalitären Gründungsideen folgend, nicht die Namen einzelner Aktiver in der Zeitung lesen wollen, demonstrieren eine Mischung aus Frustration und Kampfgeist. Sie wollen nicht hinnehmen, dass sie die Folgen einer verfehlten Immobilienpolitik der Stadt ausbaden und einem Spekulationsprojekt weichen sollen.

Grafik: infotext

Das Bemühen des Bezirks Schöneberg um Ausweichobjekte wird kritisch gesehen. So fühlen sich die Aktiven nicht zuletzt mit ihrer ganz prinzipiellen Frage nach einer möglichen Enteignung des Objekts nicht hinreichend ernst genommen. „Dass über dieses Ansinnen immer wieder gelacht wird“, sagen sie, „zeigt doch, wie feige die Politiker sind. Dabei müssten den wohlwollenden Worten von Senat und Bezirk aber auch mal Taten folgen.“

Die angebotene Fläche im Ersatzhaus in der Bülowstraße sei viel zu klein, und dass im selben Haus regulär Wohnraum vermietet werden soll, kann ganz neue Probleme verursachen. Gerade der Drugstore mit Konzerten und Partys sieht Konflikte vorprogrammiert. Stattdessen schlagen sie vor, die oberen Etagen für betreute Jugendwohnformen zu nutzen, die in das Gesamtkonzept integrierbar sind.

Jugendstadtrat Oliver Schworck versteht die Frustration, gerade über die Verkleinerung, verweist aber darauf, dass die Möglichkeiten des Bezirks begrenzt sind. Trotz der Differenzen zwischen den Vorstellungen der Kollektive und den Optionen des Bezirkes betont er jedoch, dass sich auf beiden Seiten eine konstruktive Zusammenarbeit entwickelt habe. Insbesondere die qualifizierten Zuarbeiten und Konzepte des Jugendzentrums seien herauszuheben: „Das empfinde ich als sehr positiv.“ Gründe für Verzögerungen in der Klärung verschiedenster Probleme sieht Schworck eher aufseiten der Verwaltung der Gewobag, des Eigentümers des Ausweichobjektes, als bei den Kollektiven.

Die Motivation sinkt

„Unser Ziel ist natürlich der Erhalt des Angebots von Potse und Drugstore“, so Schworck. Und dieses Angebot ist mehr als Thekenbetrieb, Konzerte, ja selbst Tonstudio, Probenraum und Werkstätten. Die Kollektive präsentieren selbstbewusst ihre Geschichte und Gegenwart als Träger selbst organisierter Jugendarbeit. „Wir bieten Zeit und Räume zum Andocken. Einen Raum, der anders funktioniert. Einen Ort, an dem man Fehler machen darf.“ Und dieser Ort leidet schon jetzt unter der drohenden Schließung. Reparaturen und Ausbauten bleiben liegen. Die Motivation sinkt, wenn die Räume ohnehin bald aufgegeben werden sollen.

Die Kollektive von Potse und Drugstore wollen nicht hinnehmen, dass sie einem Spekulationsprojekt weichen sollen

Die Kollektive sind sich sicher, dass sie ihre Ideale auch an einem neuen Standort verwirklichen können, wenn er denn den geforderten räumlichen Ansprüchen genügt. Auch künftig werden die Veranstaltungen wie schon seit 1972 immer kostenlos sein, weiterhin wird das Projekt ausschließlich durch ehrenamtliche Tätigkeiten getragen und offen für jene sein, die woanders kein Zuhause finden.

Ein glatter Übergang würde das aber gewiss nicht werden, sind sich die Aktiven sicher, schon allein wegen der großen Verbundenheit mit dem Ort. „Der Popelpunker über der Tür, die seit den Achtzigern bestückte Plakatwand, das ist doch alles Geschichte“, sagt eine Aktivistin, „Und so eine Geschichte, die kann man nicht einfach umziehen.“

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