Demoskopie vor Wahlen: Misstraut den Umfragen!

Wer hat wieviel verloren? Wer konnte zulegen? Mit Vorwahlumfragen wird Politik gemacht. Dabei ist die Aussagekraft meist überschaubar.

Zwei Männer, einer mit Mikro

Unten: Schmidt, SPD. Oben: Kretschmann, Grüne. In diesem Bild wie in den Umfragen. Foto: dpa

Zu den Zeiten von Konrad Adenauer wurden Umfragen, die zeigten, was die Bürger über Politik dachten, wie Staatsgeheimnisse gehütet. Sie waren Herrschaftswissen, das nur wenigen Auserwählten zur Verfügung stand.

Heute gibt es nichts, was Demoskopen entgeht und schleunigst unters Publikum gebracht wird. Alles wird ausgeleuchtet – keine Barriere hindert mehr den Forschungsdrang. Bis vor ein paar Jahren wurden eine Woche vor dem Wahltermin keine Umfragen mehr veröffentlicht. Das ist vorbei. Wir sind auf dem Weg zu einer komplett über sich selbst aufgeklärten, ausgefragten Gesellschaft. Allerdings kann Aufklärung eine vertrackte Sache sein, die gelegentlich in ihr Gegenteil umschlägt.

Wahlumfragen haben etwas Verführerisches. Sie versetzen uns, auch wenn wir von Hochschulpolitik in Sachsen-Anhalt oder der Agrarpolitik in Baden-Württemberg keinen blassen Dunst haben, in die Lage, in Bescheidwisserpose mitzureden. Spektakulär, dass Kretschmann mit den Grünen am Sonntag mehr Stimmen als die CDU bekommen wird! Spektakulär, dass die AfD in Sachsen-Anhalt stärker wird als die SPD!

Das Umfrageergebnis ist, was fast immer übersehen wird, eine Momentaufnahme aus der Vergangenheit, keine Prophezeihung. TV-Sender weisen mitunter per Beipackzettel darauf hin, dass diese Umfrage keine Prognose sei. Die suggestive Kraft der Zahlen, die doch nicht lügen, bricht das nicht.

Eine Präzision, die es nicht gibt

So rücken Umfragen in den Rang eines politischen Arguments. Ja, dass die in Umfragen hoffnungslos abgeschlagene Partei X so erfolglos ist, zeigt doch, dass sie den falschen Kandidaten hat, das falsche Programm oder sonst etwas. Das Bewusstsein, sich auf der Seite der Mehrheit zu glauben, ersetzt rasch kritische Reflexion.

Das ist kurios, weil die Zahlen eine Präzision vortäuschen, die es nicht gibt. Die Grünen, meldet Forsa drei Tage vor der Wahl, lägen in Rheinland-Pfalz bei sechs Prozent. Wenn man das Kleingedruckte liest, erfährt man, dass Forsa, wie alle Institute, bei 1.000 Befragten von einer Fehlertoleranz von drei Prozentpunkten ausgeht. Korrekt ausgedrückt hat Forsa herausgefunden, dass in den letzten sechs Tagen in Rheinland-Pfalz drei bis neun Prozent der WählerInnen die Grünen wählen wollten.

Umfrageergebnisse funktionieren wie Nachrichten: AfD vor SPD ist eine Meldung, AfD und SPD gleichauf nicht so

Ungut wirkt auch, dass Umfrageergebnisse einen Markt bedienen und es dementsprechend auch mal marktschreierisch zugeht. Die Logik ist: Wer möglichst aufsehenerregende Zahlen veröffentlicht, dem ist viel Resonanz sicher. Die jüngste Gründung, das Insa-Institut, das für die Bild arbeitet, publizierte am 22. Februar als erstes Institut Zahlen, denen zufolge die SPD in Sachsen-Anhalt nur 16, die AfD aber 17 Prozent wählen wollten (korrekt ausgedrückt: SPD 13 bis 19, AfD 14 bis 20 Prozent).

Diese Zahlen wurden in Zeitungen nachgedruckt und mehrten nebenbei auch die Bekanntheit von Insa. Heikel ist, dass diese anscheinend objektiven Zahlen aus einer Art Hexenküche stammen. Denn die reinen Umfrageergebnisse müssen stets noch gewichtet, langfristige Parteibindung und bisheriges Wahlverhalten müssen berücksichtigt werden. Dabei spielt, freundlich gesagt, Erfahrungswissen eine Rolle, unfreundlich gesagt, kann man so lange schütteln, bis man hat, was man braucht.

Simulierte Demokratie

Umfrageergebnisse funktionieren wie Nachrichten. Wenn sie neu sind, werden sie wahrgenommen, von Politikern verwendet, in Zeitungen wie Fakten kommentiert. AfD vor SPD ist eine Meldung, die Erregungskurven bedient, AfD und SPD gleichauf nicht so.

Und: Umfragen, zumal wenn sie direkt vor Wahlterminen veröffentlicht werden, bergen eine Gefahr. In der Quantentheorie gibt es das Phänomen, dass der Beobachter das Beobachtete selbst verändert. In der Physik ist das Theorie, bei Umfragen ein praktischer, wenn auch schwer nachweisbarer Effekt. Denn Wähler neigen wohl dazu, lieber zu den Siegern als zu den Verlierern zu gehören.

Zum demoskopischen Geheimwissen der Adenauer-Zeit führt zum Glück kein Weg zurück. Aber angesichts der Rückkopplungseffekte in der simulierten Demokratie sollte man Umfragen mit Skepsis begegnen. Mindestens.

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