Depesche: Einsam in der melancholischen Lobby

taz-Autorin Christiane Rösinger reist zum Eurovision Song Contest ins aserbaidschanische Baku. Eindrücke von der Etappe Brno-Istanbul.

Im Orchideen-Saal des Hotels Ambassador in Nis. Bild: Claudia Fierke

Tag eins

Es ist ganz unwirklich, dass wir jetzt tatsächlich losfahren. Es war nur eine Idee, als vor einem Jahr Ell und Niki den Eurovision Song Contest gewannen: Da müsste man hinfahren! Nach Aserbaidschan, in dieses seltsame Land, von dem keiner richtig weiß, wo es liegt. Bis Dresden und Prag ist alles so normal, letzte Woche sind wir die gleiche Strecke zum Auftritt in Wien gefahren, es hat so gar nichts Exotisches. Raps blüht an der Autobahn in Tschechien genauso unnatürlich gelb wie in Bayern, die Gartenzwergausstellungen an der Straße kennen wir schon, auch die Knödel, die wie Baguettescheiben aussehen.

Was wissen wir von Brno? Eine verlassene Gegend – Erotikcenter, Fabrikruinen, verlassene Häuser. Ist Brno eine „shrinking city“ oder hat uns das Navigationsgerät gerade zufällig durch die verfallenen Straßenzüge geschickt, und parallel spielen sich Barockwunder ab? Es ist keine Vergnügungs- und keine Bildungsfahrt, es müssen Kilometer gefressen werden. Langsam wirkt die Landschaft ein bisschen weniger vertraut.

Christiane Rösinger ist Musikerin, Schriftstellerin und taz-Autorin.

Wir nähern uns Belgrad auf der berühmtesten europäischen Fernstraße, dem Autoput durch Exjugoslawien. Aus Serbien kam die Gewinnerin 2007 mit dem Lied „Moltiva“ – wir können in Belgrad nur zu Abend essen – als Getriebene des ESC! Das Gefühl, wirklich weit weg von zu Hause zu sein, stellt sich zum ersten Mal in Nis ein. Sozialistischer Städtebau, ein Kriegerdenkmal erinnert an die Befreiung von den Türken, ein dekorativer Springbrunnen, McDonald’s. Im fünfzehnstöckigen Hotel Ambassador sind wir wohl die einzigen Gäste. Der Security-Mann sitzt in der melancholischen Lobby und schaut Fußball, die überbesetzte Rezeption versprüht den verloren geglaubten Charme des Ostblocks.

Am nächsten Morgen müssen wir durch mehrere leere Frühstückssäle gehen, um unseren, ebenfalls leeren, namens „Orchidee“ zu finden. Kein Mensch ist zu sehen, ab und zu geht eine Tür auf. Schließlich bringt uns ein Kellner mit schleppendem Gang und der ortstypischen, schwermütigen Resignation zwei Tassen Kaffee.

Tag zwei

Nach der Fahrt über den Balkan wirkt die Türkei so vertraut und westlich, man kennt die Sprache ein bisschen, man kennt die Schrift und das Essen. Trotzdem ist es kein Zuckerschlecken, in die 14-Millionen-Stadt Istanbul reinzufahren. Wir sind am Taksim-Platz verabredet. Und erst einmal wie erschlagen vom Leben, das uns dort Freitagnacht erwartet. Autos und Taxis haben sich vierspurig ineinander verkeilt, dazwischen rangieren Zuckerkringelverkäufer und andere Händler mit allen möglichen Gefährten, Menschengruppen bewegen sich von allen Seiten durch das hupende, wogende Verkehrschaos, Polizisten pfeifen schrill und fuchteln mit den Armen, Musik dröhnt aus den Autoboxen – wie klein und idyllisch Berlin im Vergleich dazu ist!

Tag drei

Am Samstag haben wir frei und können endlich mal tun, was Städtetouristen so tun: durch die Straßen gehen, in Cafés sitzen, rumhängen. Für den Song Contest interessiert sich hier niemand so richtig. Gestern hat die berühmteste türkische Sängerin Bülent Ersoy, eine transsexuelle Diva, in einer Liveshow im Fernsehen einfach ihr Orchester und ihre Fans stehen lassen, weil ihr alles zu langweilig war. Man mutmaßt, sie war betrunken. Abends spielt Galatasaray Istanbul gegen den Stadtrivalen Fenerbahce, von der anderen, asiatischen Seite, und die Straßen sind schwarz vor Menschen. Nach dem Abpfiff macht sich alles zum Autokorso Richtung Taksim-Platz auf, Fahnen mit den Löwen, brüllende Männer, kreischende Mädchen, hupende Autos. Feuer werden gezündet, noch Stunden später knallt und raucht es überall. Wir müssen bald weiter zum Schwarzen Meer.

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